Teherans Spiel mit dem Feuer Iranischer Angriff könnte sich als Win-win-Situation für Israel erweisen
16.04.2024, 15:35 Uhr Artikel anhören
Am Sonntag fand in Kopenhagen eine propalästinensische Demonstration statt.
(Foto: IMAGO/Ritzau Scanpix)
Teheran war der große Nutznießer des Gaza-Krieges. Der iranische Angriff auf Israel könnte sich aber als strategischer Fehler erweisen. Der Schattenkrieg droht zu eskalieren.
Ein persisches Sprichwort sagt: Geduld ist ein Baum, dessen Wurzeln bitter, dessen Früchte aber süß sind. Für das iranische Mullah-Regime gilt dies zumindest als Hoffnung auch mit Blick auf Israel, genauer: mit Blick auf die Zerstörung Israels. Denn die Vernichtung des jüdischen Staats bis 2040 ist nichts weniger als offizielle Staatsdoktrin des Iran.
Mit dieser Perspektive dürfte die iranische Regierung die Zeit aktuell auf ihrer Seite sehen, denn ein langer Waffengang Israels in Gaza bietet Vorteile für Teheran. Zunächst einmal, weil die Kräfte des Landes so gebunden sind. Allein die hohen Kosten der israelischen Militärkampagne machen einen Krieg gegen iranische Verbündete und Handlanger wie der libanesischen Hisbollah unwahrscheinlicher. Doch mit dem Großangriff des Iran droht der Konflikt der Erzfeinde eine neue zu Phase erreichen.
"Dies ist ein historisches Ereignis", erklärt Avi (Name geändert), ein ehemaliger Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet. "Es war das erste Mal, dass der Iran Israel direkt von seinem eigenen Territorium aus angegriffen hat. Das Mullah-Regime musste nach dem israelischen Angriff in Damaskus Stärke zeigen." Der Schlag mit mehr als 300 Drohnen, Marschflugkörpern und ballistischen Raketen auf den jüdischen Staat gilt als Racheakt für ebendiesen Angriff am 1. April. Israel hatte dabei einen hohen General der islamischen Revolutionsgarden und andere Regime-Angehörige getötet.
"Iran hat am meisten profitiert"
Seit der islamischen Revolution 1979 stehen sich Teheran und Jerusalem feindlich gegenüber, seitdem tobt ein Krieg im Verborgenen, hauptsächlich über Irans Stellvertreter und Handlanger in der Region. Dazu gehört auch das am 7. Oktober 2023 verübte barbarische Massaker auf Zivilisten in Israel, verübt von der palästinensischen Terrororganisation Hamas, das zum aktuellen Gaza-Krieg führte. Die Hamas ist das wichtigste sunnitische Mitglied der hauptsächlich schiitischen, vom Iran angeführten "Achse des Widerstands". Der Überfall der Hamas auf Israel hat den Iran zum Nutznießer gemacht.
"Der Iran hat am meisten von dem Waffengang in Gaza profitiert", sagt Mosche Salomon, ehemaliger Unterhändler bei israelisch-palästinensischen Friedensverhandlungen. "Durch die Unterstützung ihrer Stellvertreter und Verbündeten haben sie nicht nur das Bild eines unverwundbaren jüdischen Staats untergraben, sondern auch die wachsende Chance auf eine Versöhnung zwischen Saudi-Arabien und Israel. Teheran wird versuchen, den Gaza-Krieg zu nutzen, um andere Staaten im Nahen Osten davon abzubringen, die Beziehungen mit Israel zu vertiefen."
Diplomatische Initiativen gegen Israel
Teheran hat den Konflikt bereits genutzt, um mit dem Libanon, Syrien und Katar über eine Ausweitung der bilateralen Beziehungen zu sprechen. Hochrangige iranische Politiker starteten eine intensive Kampagne im Nahen Osten, die darauf abzielte, auf der Basis der wachsenden negativen Stimmung gegenüber Israel die eigenen Beziehungen zu arabischen Staaten zu stärken. Dabei stechen vor allem die Vertiefung der diplomatischen Beziehungen zu Saudi-Arabien - eigentlich Rivale des Iran in der Region - und eine Annäherung an Ägypten hervor.
"Der Iran befindet sich in der diplomatischen Offensive", sagt Salomon. "Selbst auf den sogenannten Globalen Süden haben sie ihren Einfluss ausgeübt, wo Länder wie Südafrika oder Nicaragua Israel vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag anklagen. Staaten, die insgesamt 60 Prozent der Bevölkerung dieser Gruppe ausmachen, haben entweder direkt oder indirekt rechtliche Schritte in dieser Angelegenheit unterstützt."
Desinformationskampagnen in und gegen Israel
Nachdem die Führung des Iran der Hamas grünes Licht zum brutalen Massaker in Israel gegeben hatte, startete die iranische Regierung ihre antisemitische Stimmungsmache und Desinformationskampagne, um den jüdischen Staat zu dämonisieren. Dazu gehören auch die Finanzierung und Organisation weltweiter Massendemonstrationen, bei denen die Vernichtung Israels gefordert wird. Die iranische Propaganda zielt darauf ab, im Westen antiisraelische Botschaften zu verbreiten, damit sich ihr Verhältnis zu den USA und der EU verschlechtert.
"Für Teheran ist es fast noch wichtiger, die israelische Gesellschaft auseinanderzubringen", sagt Meir Javedanfar, Politikwissenschaftler an der Reichman-Universität in Herzlia. "Besonders im letzten Jahr, während der Demonstrationen gegen die Justizreform, als die Spannungen im jüdischen Staat intensiver wurden. Das Mullah-Regime hat versucht, diese Kluft mit Desinformationen zu vertiefen."
Dem Nahost-Experten zufolge nutzen iranische Agenten gefälschte israelische Profile in sozialen Medien, um eine Seite gegen die andere aufzuhetzen. Laut Shin Bet hat die Islamische Republik gefälschte Online-Konten genutzt, um Israels Bürger für Spionage zu rekrutieren. "Diese Kampagne werden sie fortsetzen", sagt Javedanfar. "Iranische Geheimdienste intensivieren dort ihre Aktivitäten. Auch ihre Cyberangriffe auf Israel, die seit dem 7. Oktober zunahmen."
Der Schattenkrieg droht zu eskalieren
Auch wenn Teheran seine Mitternachtsoffensive vom Wochenende als großen Sieg feiert, so richtete sie kaum Schaden an. Die israelische Flugabwehr schaltete 99 Prozent der Raketen aus, und selbst Staaten wie Jordanien halfen.
"Sollte Israel keinen Gegenschlag planen, kann der iranische Angriff als Win-win-Situation betrachtet werden", sagt Avi, der Ex-Agent. "Zwar hat Teheran seine Ehre wieder hergestellt, doch unfreiwillig Jerusalem den ersten strategischen Erfolg in diesem Krieg beschert, denn es hat Israel wieder näher an Washington gebracht. So eine Gefahr vereint auch das Volk und könnte sogar Ministerpräsident Benjamin Netanjahu helfen, an der Macht zu bleiben."
Irans "Feuerring"-Strategie soll Israel eigentlich mit Terrorgruppen einkreisen. Doch der jüdische Staat könnte sich nun gezwungen sehen, zum Gegenschlag auszuholen und wichtige Punkte wie Häfen, Raffinerien und auch die Atomanlagen im Mullah-Staat anzugreifen. Viele sehen einen Wendepunkt. Der Schattenkrieg droht zu eskalieren.
"Wir stehen am Rande eines gefährlichen Abgrunds", fürchtet Mosche Salomon. "Schon seit dem Angriff der Hamas droht der Nahe Osten zu explodieren. Es fehlt entscheidende Abschreckung gegen die Mullahs." Trotz des langfristigen Plans des Iran glaubt er nicht an einen atomaren Holocaust. Er weiß um die Entschlossenheit seines Landes, sollte dessen Existenz auf dem Spiel stehen. "Der 7. Oktober war so etwas wie das israelische Pearl Harbor", sagt Salomon. "Doch der 7. Dezember 1941 war der Anfang vom Ende des japanischen Kaiserreiches. Das wird auch die Islamische Republik wissen."
Quelle: ntv.de