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Minister auf Erklärtour Wenn Habeck nur könnte, wie er wollte

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Ein Herz für den Wirtschaftsminister: Habeck beim Handwerkspolitischen Forum Ost in Leipzig.

Ein Herz für den Wirtschaftsminister: Habeck beim Handwerkspolitischen Forum Ost in Leipzig.

(Foto: IMAGO/Christian Grube)

Wirtschaftsminister Habeck trifft das Handwerk, besucht Unternehmen und spricht mit Bürgern. Die haben viele Fragen und Forderungen, für die er Verständnis zeigt. Doch seine Antworten verweisen vor allem auf die Schuld anderer.

Robert Habeck hat den Handwerkern und selbstständigen Unternehmern im Osten eine für sie eher überraschende Nachricht mitgebracht: Der grüne Wirtschaftsminister präsentiert sich auf der Podiumsdiskussion auf der Mitteldeutschen Handwerksmesse in Leipzig als Stimme der wirtschaftlichen Vernunft in der deutschen Regierung. "Wenn der Deal ist 'Macht das, was die Wirtschaftsweisen sagen' - ich mach das sofort", sagt der Vizekanzler. Doch leider, leider könne er nicht. Die Zwänge und Logiken des politischen Betriebs, die Weigerung von Union und FDP, die Schuldenbremse zu reformieren oder zumindest auszusetzen, das Bundesverfassungsrecht, Sie wissen schon…

Wenn er nur könnte, wie er wollte, dann wäre die Lage besser, lässt Habeck die Zuhörer - grob zusammengefasst - wissen. Dann würde der Bund mehr investieren, dann ginge der Bürokratieabbau schneller voran. Vor diesem Hintergrund hat Habeck auch kein Interesse, die Lage zu beschönigen. Eine Woche vor der offiziellen Vorstellung der Konjunkturprognose der Bundesregierung nimmt er in Leipzig die entscheidende Zahl vorweg: Das Bruttoinlandsprodukt werde 2024 nur um 0,2 Prozent steigen, "was dramatisch schlecht ist, das muss man sagen". Die Probleme des Handwerks seien ihm geläufig: "Die Bürokratie ist erdrückend, in vielerlei Hinsicht", sagt er. "Das Zweite sind die fehlenden Arbeitskräfte." 122.000 offene Stellen gebe es im deutschen Handwerk. Drittens komme die schwache Auftragslage hinzu, insbesondere in der Baubranche.

Deutschlands Konjunkturprobleme erklärt der Wirtschaftsminister einmal mehr mit der bekannten Dreifaltigkeit externer Schocks: die weggefallene Billigenergie aus Russland, die notwendige, aber auch immens teure Aufrüstung angesichts der russischen Aggressionen, die Unsicherheit ob der chinesischen Wirtschaft und einem möglichen Angriff auf Taiwan. Das zusammengenommen sei ein "perfect storm", der alles über Jahrzehnte Unterlassene mit Wucht aufdecke: verpasste Investitionen in die Infrastruktur, die überbordende Bürokratie, fehlende Digitalisierung.

Lob vom Handwerkspräsidenten

Doch der um seine Wiederwahl am 8. September kämpfende sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer sieht das Problem eher bei Habeck und der Ampel-Regierung selbst: "Hier geht es um Mikrosteuerung des Staates", sagt der CDU-Politiker. Das deutsche Lieferkettengesetz, das Arbeitszeitgesetz, Diskussionen über eine Vier-Tage-Woche: All dies gehöre beendet. Deutschland müsse auf "mehr Freiheiten" setzen, sagt Kretschmer. Deutschland produziere zu teuer. "Das kann man doch nicht alles wegsubventionieren mit irgendwelchen Schulden." Habecks Vorschlag an die Union, mit einem Sondervermögen Unternehmen massive Abschreibungen von Zukunftsinvestitionen zu ermöglichen, lehnt er ab.

Robert Habeck zwischen Michael Kretschmer und Jörg Dittrich.

Robert Habeck zwischen Michael Kretschmer und Jörg Dittrich.

(Foto: IMAGO/Christian Grube)

Lob von Kretschmer hat Habeck wohl auch nicht erwartet. Sein öffentlicher Schulterschluss mit Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wagner zu Wochenbeginn ist das Maximum dessen, was er binnen einer Woche von der CDU bekommen kann. Dafür tut ihm Handwerkspräsident Jörg Dittrich den Gefallen: Ob der Wirtschaftsminister denn wisse, was die Betriebe umtreibt, werde er oft gefragt: "Ja, er weiß es", sagt Dittrich. Sein Zentralverband des Deutschen Handwerks hat dem Minister zum Jahresanfang 44 Forderungen überreicht, die Habeck als "perfekt" lobt, weil sie so detailreich und konstruktiv seien. Leider fielen davon nur drei in die Zuständigkeit seines Hauses. Eines davon, das Vergaberecht für öffentliche Bauaufträge "wollen wir jetzt schnell entbürokratisieren", stellt Habeck in Aussicht. Und der Rest? Ländersache, kommunale Zuständigkeit, Mehrebenen-Zuständigkeit, Europarecht. Er werbe dennoch für eine Umsetzung der Vorschläge, sagt Habeck - und erntet Applaus.

Das war so nicht unbedingt zu erwarten, mehr schon die Buhrufe von zufällig vorbeischlendernden Messebesuchern sowie die abfälligen Kommentare, als Habeck später ein paar Messestände besucht. "Trauen sich hier noch her, ey", pöbelt ein Mann, der ausweislich seines T-Shirts beruflich Pumpen installiert. "Was der uns alles angetan hat", ruft ein anderer, der einen Button in den Farben der Reichsfahne an der Jacke trägt. "Hau ab!", schallt es von den Essensständen Richtung Ministertross.

Jeden Unzufriedenen kann Habeck nicht treffen

Ein Vater zeigt auf Habeck und erklärt seinen Kindern im Grundschulalter in breitem Sächsisch: "Guckt mal, der hat nichts Ordentliches gelernt." Der promovierte Philosoph bekommt davon wenig bis nichts mit. Dafür muss er Pressefragen beantworten zum wenige Stunden zuvor wegen aggressiver Proteste abgesagten Aschermittwoch der Grünen im baden-württembergischen Biberach. Ihm war Anfang Januar selbst Ähnliches widerfahren, als wütende Bauern ihn daran hinderten, eine Nordseefähre zu verlassen. "Das ist ein Protest gewesen, der ausdrücklich das Gesprächsangebot nicht gewollt hat", sagt Habeck am Donnerstagmorgen über Biberach, als er das Hightech-Unternehmen Jenoptik besucht. Deshalb diskreditiere sich dieser Protest selbst.

Gespräche sucht Habeck dieser Tage am laufenden Band: Nach seinen Firmenbesuchen in Berlin und dem Treffen mit dem Regierenden Bürgermeister trifft der Wirtschaftsminister in Leipzig die Handwerker und am Abend eine Runde von Lesern der "Leipziger Volkszeitung". Er spricht mit den Azubis und den Angestellten von Jenoptik in Jena, trifft die IHK-Präsidenten Thüringens sowie dreißig Unternehmer in Erfurt und besucht eine Schokoladenfabrik in Schmalkalden. Habeck will sich erklären, er glaubt an die Kraft der persönlichen Begegnung. Aber ein Bundesminister kann nicht annähernd jeden Unzufriedenen im Land treffen. Davon gibt es inzwischen schlicht zu viele.

Die Mehrheit der relevanten Wirtschaftswissenschaftler wähnt Habeck hinter sich: Die große Transformation der Wirtschaft hin zur Klimaneutralität sei ebenso wenig ohne massiven staatlichen Kapitaleinsatz zu stemmen wie ein kräftiger Anschub der Konjunktur. Habeck hätte auch gerne mehr Geld gegeben, um energieintensiven Unternehmen einen Brückenstrompreis zu gewähren, bis in ausreichender Menge günstige grüne Energie am Markt ist. Habeck würde gerne jährlich dreistellig investieren, schlug der Union in einem auch für die Koalitionspartner unerwarteten Schritt vor, über ein Sondervermögen zu sprechen. Dieses soll deutlich umfangreichere Unternehmensabschreibungen ermöglichen, als es mit dem für 2024 auf 3 Milliarden Euro geschrumpften Wachstumschancengesetz möglich ist. Das ursprünglich vorgesehene Volumen von 8 Milliarden Euro scheiterte am Widerstand der Länder, die sich nicht imstande sahen, die Steuerausfälle auf ihrer Seite zu kompensieren.

Habeck zeigt Verständnis, ohne in der Sache zuzustimmen

Doch im Gespräch mit der ostdeutschen Wirtschaft kommt die Forderung nach mehr Geld kaum auf. Rund 80 Prozent der Unternehmen in Deutschland sind Kleinstunternehmen mit maximal neun Beschäftigten und höchstens 2 Millionen Euro Umsatz - im Osten ist der Anteil noch höher. Diese Firmen schielen weder auf viele Millionen oder gar Milliarden an Ansiedlungsunterstützung noch in erster Linie auf die steuerliche Verrechnung von Investitionen.

Ihre Themen lauten: Energiepreise, die Höhe der Lohnnebenkosten, aufwändige Dokumentationspflichten, langwierige Antragsverfahren sowie Auflagen im Arbeitnehmer- und Umweltschutz, Hürden bei der Fachkräfte-Gewinnung aus dem Ausland sowie lebensferne Vorgaben und Besteuerung von Unternehmensnachfolgen, fehlende Planbarkeit bei der Steuergesetzgebung. Wiederholt bekommt Habeck die Forderung nach einem Moratorium in der deutschen und europäischen Gesetzgebung zu hören, damit die Unternehmer sich nicht immer neues Wissen ranschaffen und zu viel ihrer Arbeitszeit auf Bürokratie verwenden müssten.

Der Wirtschaftsminister ist geübt darin, für derlei Klagen Verständnis zu zeigen, ohne in der Sache zuzustimmen. Beim Wust an Bürokratie ist er bei den Unternehmern. Das Bundeswirtschaftsministerium schickt inzwischen Teams in Unternehmen, um gemeinsam Antragsverfahren durchzugehen und widersinnige und verzichtbare Regelungen zu identifizieren. Der Wirtschaftsminister hat die Unternehmer aber auch unter Verdacht, und das sagt er ihnen so, sie wollten eine Politik, die sich aus der Wirtschaft ganz raushält - außer, wenn sie für ihre Firmen gerade Geld vom Staat bräuchten.

Habecks Amtsverständnis ist, die Wirtschaft ein Stück weit zu steuern, und das geschieht über Regulierung und Anreize. Doch ersteres ist kleinteilig und langwierig, für zweiteres fehlt ihm das Geld, zumindest um schnell aus der Konjunkturkrise zu kommen. Ein spürbar anziehendes Wirtschaftswachstum statt der schwarzen Null hätte für einen Wirtschaftsminister, der seine Kanzlerambitionen noch nicht aufgegeben haben dürfte, einen besonderen Charme: Es erreicht deutlich mehr Menschen, als es der reisefreudigste Politiker je tun könnte.

Quelle: ntv.de

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