Politik

Rettungsmission der Silberlocken "Entschuldigung, die Katze aus dem Fischgeschäft möchte auch etwas sagen"

Selbsternannte Silberlocken und Partei-Urgesteine der Linken (v.l.n.r.): Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch.

Selbsternannte Silberlocken und Partei-Urgesteine der Linken (v.l.n.r.): Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Dietmar Bartsch.

(Foto: ntv)

Noch vor wenigen Jahren war die Linke im Osten eine Volkspartei. Diese Bastion hat sie verloren, im Westen ist sie mittlerweile aus fast allen Landtagen verschwunden. Die "Mission Silberlocke" soll der Partei trotz mieser Umfragen immerhin den Wiedereinzug in den Bundestag sichern. Bei einem Live-Podcast im "ntv Salon" erzählen die Urgesteine Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow, wie die Rückkehr zur "Kümmerer-Partei" gelingen soll. Auch Thema? Die "Scheiß-Beschlüsse", die Ramelow sein Amt gekostet haben und die Frage: Ist der frühere thüringische Ministerpräsident eigentlich Ossi oder Wessi? Und Björn Höcke? Ein Rotzlöffel.

ntv.de: Was ist die "Mission Silberlocke"?

Bodo Ramelow: Um es deutlich zu sagen, es geht nicht darum, die Partei zu retten. Wir wollen eine bestimmte politische Sichtweise im Bundestag erhalten: Wie gehen wir mit Kinderarmut um? Altersarmut? Kindergrundsicherung? Die war geplant und ist nicht gekommen. Wir als "Mission Silberlocke" wollen diese Themen laut in den Orbit geben.

Und das gelingt, wenn Sie drei bei der Bundestagswahl jeweils einen Direktwahlkreis gewinnen, auch wenn die Linke an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert?

Gregor Gysi: Sie haben recht, unsere Partei befindet sich in einer Krise. Aber wenn es uns nicht mehr im Bundestag gibt, haben wir dort nur von der Mitte bis Rechtsaußen Debatten. Es gibt keine linken Argumente, das schwächt selbst die Union. Sind wir im Bundestag, kommen wir in den Medien und auch in der Gesellschaft vor. Sind wir nicht im Bundestag, dann nicht. Wir drei ältere Herren haben uns entschlossen, dafür zu kämpfen, linke Argumente in unserer Gesellschaft zu erhalten. Es wäre fatal, wenn es sie nicht mehr gäbe.

Dietmar Bartsch: Natürlich ist es auch eine Kommunikationsidee. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, mit drei Direktmandaten kommt man in Fraktionsstärke in den Bundestag. Das Zeichen an alle Wählerinnen und Wähler von Flensburg bis zum Bodensee ist: Eure Stimme ist nicht verschenkt. Und politisch haben wir doch eine relativ übersichtliche Situation: Jeder weiß, der Kanzler wird vermutlich Friedrich Merz heißen und vermutlich mit den Sozialdemokraten koalieren. Dann haben wir AfD, FDP und vielleicht das BSW in der Opposition. Die Achse der Politik wird gerade nach rechts geschoben, eine linke Partei ist als Gegengewicht dringend notwendig.

Wonach haben Sie die drei Wahlkreise ausgesucht?

Dietmar Bartsch: Gregor Gysi hat seinen Wahlkreis Treptow-Köpenick in Berlin gefühlt seit 1812 immer gewonnen. Bodo Ramelow war bei der Landtagswahl in Thüringen auch überzeugend. Ich habe in Rostock zweimal kandidiert und wurde zweimal Zweiter. Das sind unsere Möglichkeiten.

Bodo Ramelow: Dazu tritt Sören Pellmann in Leipzig-Süd an und wird zum dritten Mal sein Direktmandat holen. Unsere neue Parteivorsitzende Ines Schwerdtner wird in dem Berliner Wahlkreis aktiv, der bisher von Gesine Lötzsch vertreten wurde. Das sind fünf mögliche Wahlkreise. Wir drei sind aber die Abteilung Seniorenexpress, denn wir wurden als alte, weiße Männer bereits aussortiert. Das verbindet uns, wir sind Rentner.

Wie viele Jahre sind Sie eigentlich schon in der Politik?

Gregor Gysi: Dietmar Bartsch und ich kennen uns seit 1990.

Bodo Ramelow: Und ich kenne euch seit 1990 aus dem Fernsehen (lacht).

Dietmar Bartsch: Wir sind schon lange dabei und haben gemeinsam riesige Erfolge gefeiert und herbe Niederlagen eingesteckt. Und eins ist offensichtlich: Würde die Linke gerade bei 10 Prozent stehen, bräuchte es uns nicht. So sind wir im Gespräch und kämpfen darum, dass wir am 23. Februar die Fünf-Prozent-Hürde schaffen.

Gregor Gysi: Lassen Sie mich inhaltlich noch etwas Wichtiges sagen: In den USA und vielen europäischen Staaten geht die Entwicklung nach rechts, zum Teil sogar extrem rechts. Das ist furchtbar. Wenn wir keine Argumente mehr von links haben, schränkt das unsere Gesellschaft in der Breite der Diskussion ein. Das geht nicht.

Wir wollen die Harmonie nicht stören, aber die Linke befindet sich doch in einer existenziellen Krise, weil die Gesellschaft in den vergangenen Jahren bei Wahlen über ihre Argumente befunden hat: Die finden wir nicht gut genug.

Gregor Gysi: Nein, die Menschen haben sich abgewandt, weil wir Fehler begangen haben. Wir waren zerstritten und mit uns selbst beschäftigt. Deswegen haben die Leute sich gesagt, die haben keine Zeit für mich und für die Vertretung meiner Interessen. Auf dem letzten Parteitag hat man die Schlussfolgerungen daraus gezogen. Jetzt können wir wieder die linke Partei sein, die mehr Zustimmung bei den Wählerinnen und Wählern bekommt.

Sie treten alle drei im Osten an und sind dort auch tief verwurzelt. Ist die Linke wieder eine Ostpartei?

Gregor Gysi: Nein. Wir sind eine bundesweite Partei, die sich wieder verstärkt dem Osten widmet. Wir hätten nicht zulassen dürfen, dass wir uns dort zurückziehen. Das hat die AfD genutzt.

Was ist denn passiert? Wie hat die AfD Ihnen den Rang als Kümmerer-Partei abgelaufen?

Gregor Gysi: Die AfD ist keine Kümmerer-Partei, aber passiert ist Folgendes: Die PDS hat sich mit der WASG zur Linken vereinigt und viele haben gedacht: Jetzt kommt unsere große Stunde im Westen. Daraufhin wurde der Osten vernachlässigt. Das hätte man nie tun dürfen. Das ist korrigiert worden. Unsere Parteivorsitzende Ines Schwerdtner hat einen Prozess gestartet, dass wir wieder zur Kümmerer-Partei werden.

Kandidatenchecks bei RTL

Vor der Bundestagswahl am 23. Februar spricht Pinar Atalay unter dem Titel "RTL Direkt spezial: Der Kandidatencheck" mit allen Spitzenkandidaten der Parteien. Diese Folgen stehen noch aus:

  • Mi., 22.1., 22.15 Uhr: "RTL Direkt spezial" mit Sahra Wagenknecht (BSW)

  • Mo., 17.2., 22.15 Uhr: "RTL Direkt spezial" mit Christian Lindner (FDP)

In der Zwischenzeit ist es im Osten aber voll geworden. Neben der AfD tummelt sich dort auch das BSW. Ist es nicht widersprüchlich, dass sich gleich drei Parteien auf den Osten stürzen, und gleichzeitig erzählt uns die Linke, der Osten sei politisch unterrepräsentiert?

Dietmar Bartsch: Er ist unterrepräsentiert, das ist Fakt. Wie viele Landesminister aus dem Osten gibt es im Westen? Null. Wie viele aus dem Westen gibt es im Osten? Viele. In jedem Bundesland.

Wie zählt Herr Ramelow in dieser Statistik eigentlich? Ist er Wessi oder Ossi?

Dietmar Bartsch: Er ist im Westen geboren, aber lebt schon lange in Thüringen.

Aber wo steht er in Ihrer Statistik?

Dietmar Bartsch: Natürlich ist er ein Wessi, ist doch klar.

Bodo Ramelow lebt seit mehr als 30 Jahren im Osten und ist immer noch ein Wessi?

Dietmar Bartsch: Wenn eine Katze im Fischgeschäft geboren ist, ist sie noch lange kein Fisch. Das ist Quatsch. Es stimmt auch nicht, dass wir den Osten verloren haben. Wir stellen die Oberbürgermeisterin von Rostock. Mecklenburg-Vorpommern hat eine rot-rote Landesregierung. In Thüringen gibt es keine Grünen und keine FDP im Parlament. Bodo Ramelow hat trotz der Verluste mit der Linken 13 Prozent der Stimmen geholt. Wir stellen im Osten weiterhin Landräte und Oberbürgermeister. Aber ja, wir haben Zustimmung verloren, weil wir als Opposition Dinge versprochen haben, die wir in Regierungsverantwortung nicht realisieren konnten. Das haben die bundespolitischen Rahmenbedingungen nicht erlaubt. Deswegen ist der Protest bei zwei anderen Parteien gelandet. Das müssen wir korrigieren. Aber wir werden niemals nur Ostpartei sein. Wir regieren ja auch in Bremen.

Aber das erklärt doch nicht …

Bodo Ramelow: Entschuldigung, die Katze aus dem Fischgeschäft möchte auch gerne etwas zu dieser Frage sagen. Ich bin vor 35 Jahren als Gewerkschafter aus dem Westen in den Osten gekommen, um Gewerkschaftskollegen beizustehen. Ich habe so großen Respekt vor denen, die auf die Straße gegangen sind. Das waren keine Wessis. Das waren die, die in den Friedensgebeten waren. Und dann stellt sich Björn Höcke, dieser Rotzlöffel, der damals 17 Jahre alt war, hin und sagt: Dafür sind wir nicht auf die Straße gegangen, und: Die AfD vollendet die Wende. Das sind Sätze, da falle ich tot um. Der vereinnahmt einfach die DDR-Entwicklung und tritt die mutigen Menschen der DDR mit Füßen. Der Mist, der uns tatsächlich permanent die Stimmung kaputt macht, ist, dass wir Dinge aus dem Osten einbringen könnten, um Gesamtdeutschland positiv zu verbessern, es aber nicht tun. Ein Landambulatorium oder eine Gemeindeschwester würde im niedersächsischen Teufelsmoor, wo ich geboren bin, genauso gebraucht werden wie im Pfälzerwald. Deswegen sage ich: Ich bin kein Ossi, aber ich habe zugehört und versucht zu übersetzen.

Trotzdem hat sich die Stimmung in Thüringen gegen sie gedreht.

Bodo Ramelow: Ja, wir hatten Corona und ich musste alle Scheiß-Beschlüsse vertreten! Das hat mich am 1. September auch mein Amt gekostet.

Die Corona-Wut?

Bodo Ramelow: Auch. Dazu kommen die landwirtschaftlichen Proteste, die sofort unterwandert worden sind. Wir haben die Reichsbürger der Gruppe Reuß. Der sitzt gerade im Knast, weil er einen Putsch geplant hatte. Diese Stimmungen sind da und die werden von der AfD aufgesaugt wie ein Schwamm.

Und dagegen gab es kein Mittel?

Bodo Ramelow: Das Mittel dagegen hat mir Katja Wolff genannt. Sie hat mir gesagt, sie geht zum BSW, weil sie der AfD Stimmen wegnehmen will. Am Ende hat sie meine Stimmen mitgenommen. Ich persönlich habe zwar als einziger Spitzenkandidat in Thüringen meinen Wahlkreis direkt gewonnen, weil man mich als Amtsträger geachtet hat. Aber am Ende ist der Populismus während des Wahlkampfs zur Normalität geworden. Die Bürger in Thüringen haben mir gesagt, es muss sich was ändern. Wenn ich gefragt habe, was sich ändern muss, haben sie gesagt: alles. Und dann hat Sahra Wagenknecht abends in jeder Talkshow versprochen, dass sich alles ändern und Frieden herrschen wird, wenn man in Thüringen das Bündnis Sahra Wagenknecht wählt. Weil wir in Thüringen ja auch über Krieg und Frieden in der Ukraine entscheiden …

Gregor Gysi: Bei der Einheit wurde ein Fehler begangen, man hat die DDR auf drei Dinge reduziert: die Staatssicherheit, die Mauertoten und die SED. Das muss aufgearbeitet werden, aber für das Leben in der DDR hat man sich überhaupt nicht interessiert. Ich könnte Ihnen lauter demütigende Beispiele aufzählen, mit denen den Ostdeutschen mitgeteilt wurde, dass sie nichts geleistet haben. Deshalb fühlen sie sich ausgegrenzt und immer noch als Deutsche zweiter Klasse.

Es wirkt leicht unterkomplex, wenn Sie diese Anfälligkeit für Populismus damit erklären, dass die Ostdeutschen immer schlecht behandelt worden sind.

Gregor Gysi: Wenn mehr als die Hälfte der Staatssekretäre in Bayern aus dem Osten käme, würden die Bayern von Kolonialisierung sprechen. Im Osten ist das ganz normal. Es kommen so viele Faktoren zusammen … in der DDR kannte man Menschen muslimischen Glaubens kaum. Das hatte ebenfalls Folgen. Aber darüber möchte ich mich gar nicht aufregen, denn wir sind bemüht, dass unsere Bürgerinnen und Bürger - in Bayern genauso wie in Thüringen und Sachsen - anfangen zu wissen, dass die Wahl der populistischen, rechts ausgerichteten AfD ein Fehler ist. Darum müssen sich alle bemühen.

Angenommen, es gelingt Ihnen, die Linke in den Bundestag zu bringen, was dürfen Sie sich von Ihrer Partei für die Rettung wünschen? Bekommt jeder ein Auto?

Dietmar Bartsch: Darüber habe ich bisher nicht nachgedacht, das muss ich mir noch überlegen.

Gregor Gysi: Ich kann Ihnen das sofort sagen! Ich wünsche mir erstens, dass sich unsere Partei nicht mit sich selbst beschäftigt, sondern mit den Interessen der Leute. Und zweitens möchte ich ein großes Fass Bautzner Senf, der schmeckt hervorragend.

Bodo Ramelow: Bautzner Senf? Lieber Born Senf (lacht). Aber was ich gerne hätte: die Gregor-Gysi-Medaille am Bande.

Mit Dietmar Bartsch, Gregor Gysi und Bodo Ramelow sprachen Nikolaus Blome und Sebastian Huld. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das vollständige Gespräch können Sie sich vollständig im ntv-Podcast "Wieder was gelernt" anhören oder hier anschauen.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

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Quelle: ntv.de

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