Ablenkung vom Chaos in Paris Macron steht vor dem Totalausfall - und stürzt sich auf die Ukraine


Macron widmete der Außenpolitik in den vergangenen Tagen viel Zeit, während seine Regierung implodierte.
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Emmanuel Macron soll laut Medienberichten über die Entsendung von Soldaten in die Ukraine nachdenken. Es wäre nicht das erste Mal. Frankreichs Präsident will in der Außenpolitik Stärke demonstrieren - während er zu Hause in Paris auf fast verlorenem Posten kämpft.
Innenpolitisch steht Emmanuel Macron kurz vor dem Totalausfall. Daran ändert auch die Ernennung des neuen Premierministers François Bayrou nichts. Denn der Vertraute des französischen Präsidenten ist künftig auf die Duldung der Linken oder des Rechtsradikalen Rassemblement National (RN) angewiesen. Sonst steht die neue Regierung wegen des Streits um den Haushalt nach nur wenigen Monaten wieder vor dem Aus - so wie die alte unter Michel Barnier.
Der einzige Hoffnungsschimmer für Macron in der misslichen Lage: die Außen- und Verteidigungspolitik. Hier hat er, weitgehend unbehelligt vom Parlament, verfassungsgemäß die Entscheidungsgewalt. Also gibt er sich Mühe, möglichst sichtbar das Zepter zu schwingen. Nun drangen an die polnische Presse Informationen, wonach Macron nach dem Ende des Kriegs mit Russland 40.000 Soldaten als Friedenstruppe in die Ukraine entsenden will. Bestätigen wollte der Élysée-Palast dies nicht, allerdings hatte Macron den Einsatz französischer Bodentruppen in der Ukraine zuvor bereits mehrmals ins Spiel gebracht.
Macron widmete der Außenpolitik in den vergangenen Tagen viel Zeit, während seine Regierung implodierte und sein liberales Bündnis Ensemble zwischen dem rechten und linken Lager in der Nationalversammlung auf verlorenem Posten kämpft. Am Samstag etwa traf sich Macron in Paris mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj und seinem künftigen US-Amtskollegen Donald Trump. Letztgenannter will den Krieg in der Ukraine bekanntlich in 24 Stunden beenden. Trump soll bereits an einer Strategie feilen, um Kiew und Moskau an den Verhandlungstisch zu zwingen.
Macron und Scholz verbindet die Regierungskrise
Mit dem Treffen der drei Präsidenten sendet Macron ein klares Signal: Bis seine Amtszeit 2027 endet, will er an vorderster Front die Sicherheitspolitik in Europa mitbestimmen. Bundeskanzler Olaf Scholz war bei der Zusammenkunft anlässlich der Wiedereröffnung der restaurierten Kathedrale Notre-Dame nicht dabei. Protokollarisch passte das: Es kam Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier. Über das Verhältnis zwischen Scholz und Macron wurde oft spekuliert, zumindest ihre Leidensgeschichte verbindet die zwei. Schließlich sind sowohl die französische als auch die deutsche Regierung jüngst aufgrund des Streits um den jeweiligen Haushalt für das kommende Jahr zusammengebrochen – ihre politischen Gegner geben Scholz und Macron dafür die Schuld.
Ansonsten eint den Kanzler und den französischen Präsidenten nicht viel, am allerwenigsten wohl ihre Einstellung zur Ukraine-Politik. Während Scholz sich im Wahlkampf als besonnener Friedenskanzler positioniert, indem er bei der militärischen Unterstützung auf Mäßigung setzt, provoziert Macron gerne mit verwegenen Vorstößen - dabei liefert Deutschland deutlich mehr Waffen als Frankreich.
Die Lage für Macrons Vorpreschen ist momentan besonders günstig: Zwischen Vertretern mehrerer NATO-Staaten gibt es nach Informationen der Nachrichtenagentur dpa seit Wochen vertrauliche Gespräche darüber, wie ein möglicher künftiger Waffenstillstand in der Ukraine überwacht werden könnte. Hintergrund ist Trumps Ziel, die Kriegsparteien zu Verhandlungen zu drängen. In diesem Zusammenhang scheint ein Vorschlag Macrons über die Entsendung Zehntausender europäischer Soldaten in die Ukraine gar nicht so abwegig, obgleich eine Bestätigung noch ausbleibt.
Ukraine bräuchte Hunderttausende Soldaten in Pufferzone
So schloss auch der österreichische Militärexperte Gustav Gressel den Einsatz europäischer Bodentruppen in der Ukraine im Gespräch mit ntv.de nicht aus, sollte Trump seine Pläne durchziehen und den Europäern mehr Verantwortung für ihre Sicherheit zuschieben. Damit die NATO eine Pufferzone in der Ukraine effektiv gegen russische Truppen verteidigen kann, sähe Gressel "300.000 Mann als Untergrenze an, um nicht in eine zu starke Unterlegenheit im Vergleich zu Russland zu kommen. Die gesamte NATO Response Force (NRF) ist so stark, und es ist nicht sicher, ob wir die unter den europäischen Alliierten überhaupt zustande bekommen."
In diesem Zusammenhang wäre es keine Überraschung, wenn Macron bei seinem Besuch in Warschau mit dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk über die Entsendung von 40.000 europäischen Soldaten in die Ukraine gesprochen hätte. Offiziell schweigen sich die verschiedenen Regierungen in der EU allerdings zum Thema Friedensplan aus. Nach einem Treffen mit Macron dementierte Tusk die Berichte, wonach sich sein Land an einer Friedenstruppe in der Ukraine beteiligen will.
Ob und welche Regierungen in Europa ihre Soldaten irgendwann in die Ukraine entsenden müssen, hängt auch von Trump ab - der noch gar nicht im Amt ist. Die Diskussion hilft Macron jetzt aber bereits, um von dem Chaos zu Hause in Paris abzulenken. Als Oberbefehlshaber der französischen Truppen kann Macron die Stärke demonstrieren, die ihm als Staatsoberhaupt mit einem zersplitterten Unterhaus fehlt. Dort wird mit Bayrou als neuem Premier kaum Frieden einkehren. Grüne und Sozialisten hatten sich bereits mehrfach gegen Bayrou ausgesprochen.
Soll der rechtsradikale RN für ihn wieder das Zünglein an der Waage sein, nachdem die Partei von Marine Le Pen bereits die Regierung Barnier sprengte? Eines steht fest: Scheitert die Nationalversammlung erneut an der Verabschiedung des Haushalts, steht wieder ein Misstrauensvotum an - über das Bayrou stolpern würde. Dann werden die Rufe nach dem Rücktritt Macrons lauter, die inzwischen sogar aus seiner eigenen Partei dringen. Mit vagen Plänen für die europäische Sicherheit lassen die sich dann auch nicht mehr ersticken.
Quelle: ntv.de