Politik

Der Kriegstag im Überblick Moskau sieht sich in Luhansk fast am Ziel - Baerbock setzt Zeichen in der Ukraine

Annalena Baerbock bei einem Besuch der ukrainischen Kleinstadt Irpin.

Annalena Baerbock bei einem Besuch der ukrainischen Kleinstadt Irpin.

(Foto: picture alliance / photothek)

Die deutsche Außenministerin, Annalena Baerbock, zeigt sich erschüttert bei ihrem Besuch in Butscha und erklärt, man sei es den Opfern der Gräueltaten schuldig, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Aber auch ein Besuch beim Präsidenten Selenskyj und dem Kiewer Bürgermeister Klitschko stehen auf der Agenda. Derweil glaubt sich Moskau einen großen Schritt näher bei der Einnahme des ostukrainischen Gebiets Luhansk und lässt auch beim Beschuss des Asow-Stahlwerks in Mariupol nicht nach. Der 76. Kriegstag im Überblick.

Baerbock trifft Selenskyj und besucht Butscha

Außenministerin Annalena Baerbock hat als erstes deutsches Regierungsmitglied Kiew besucht. Die Grünen-Politikerin machte sich heute unter anderem in den Kiewer Vororten Irpin und Butscha ein Bild von der Zerstörung. In Butscha wurden nach dem Abzug der russischen Truppen mehr als 400 Leichen gefunden - teils mit auf den Rücken gebundenen Händen. "Wir sind es diesen Opfern schuldig, dass wir hier nicht nur gedenken, sondern dass wir die Täter zur Verantwortung bringen und ziehen", sagt Baerbock. Außerdem kündigte sie die Wiedereröffnung der deutschen Botschaft in Kiew mit eingeschränktem Betrieb an. Bei einem Treffen mit ihrem ukrainischen Amtskollegen Dmytro Kuleba machte sie klar, dass Deutschland künftig komplett ohne Energie des "Aggressors" Russland auskommen wolle. "Deshalb reduzieren wir mit aller Konsequenz unsere Abhängigkeit von russischer Energie auf Null - und zwar für immer", sagte die Ministerin. Am Abend traf sie den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Es sei von großem Wert für das Land, dass sich Deutschland solidarisch zeige mit dem ukrainischen Volk, sagte Selenskyj bei dem Treffen.

Außenministerin: Solidarität werde mit Kiew nicht nachlassen

Gegenüber Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko sicherte Baerbock zudem weitere Unterstützung im militärischen Bereich wie auch beim Wiederaufbau zu. Der russische Präsident Wladimir Putin versuche, eine demokratische Entwicklung der Ukraine zu verhindern, sagte Klitschko bei dem Treffen. Er wolle ein russisches Imperium aufbauen. "Wir wissen nicht, wie weit er gehen wird", sagte Klitschko. "Ihr Besuch in der Kriegszeit ist sehr wichtig für uns", sagte er zu Baerbock. Der Bürgermeister zeigte ihr bei einem Rundgang einen Teil der Stadt.

Niederländischer Außenminister im Bombenkeller

Der niederländische Außenminister Wopke Hoekstra hat wegen eines Luftalarms bei seinem Besuch in der Kiew eine Zeit lang in einem Bombenkeller verbringen müssen. Der 46-Jährige brachte sich am Abend vor einem geplanten Treffen mit Bürgermeister Vitali Klitschko in Sicherheit, als die Sirenen vor russischen Luftangriffen warnten. Hoekstra war mit dem Zug gemeinsam mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock nach Kiew gereist und hatte mit ihr einige Termine wahrgenommen. Baerbock selbst war dem Vernehmen nach nicht betroffen von der Schutzmaßnahme.

Scholz: Kein schneller EU-Beitritt der Ukraine

Nach ihrer Rückkehr aus der Ukraine hat Bundestagspräsidentin Bärbel Bas Tempo beim EU-Beitritt für die Ukraine gefordert. Bei der Debatte gab Bundeskanzler Olaf Scholz zu bedenken, dass die EU-Verhandlungen mit den sechs Westbalkan-Staaten Priorität haben müssen. Im Übrigen würden für alle Beitrittsverhandlungen dieselben Standards und Anforderungen gelten, sagte er zur Debatte, ob man die Aufnahmemodalitäten für die Ukraine abkürzen sollte. Ähnlich argumentierte die Bundesaußenministerin. Baerbock stellt der Ukraine eine Vollmitgliedschaft in der Europäischen Union in Aussicht. Auf dem Weg dahin könne es aber "keine Abkürzung" geben, sagte die Grünen-Politikerin in Kiew.

Mehr als 1000 Soldaten sollen sich im Asow-Stahlwerk verschanzt haben

In dem von russischen Truppen belagerten Asow-Stahlwerk in Mariupol befinden sich nach Angaben der ukrainischen Regierung noch mehr als 1000 ukrainische Soldaten. "Hunderte sind verletzt", sagte die ukrainische Vize-Regierungschefin Iryna Wereschtschuk. Einige der Soldaten seien "schwer verletzt" und müssten "dringend" aus dem Stahlwerk herausgeholt werden, sagte Wereschtschuk. "Die Situation verschlimmert sich täglich." Sie wies zudem Angaben von zwei örtlichen Behördenvertretern zurück, wonach sich noch rund 100 Zivilisten in dem Werk aufhalten sollen. "Das stimmt nicht", sagte sie. Unterdessen kam es dort zu schweren Beschuss durch russische Truppen. Die ganze Nacht lang sei das Gelände aus der Luft angegriffen worden, sagte der Vizekommandeur des Asow-Regiments, Swjatoslaw Palamar, der Zeitung "Ukrajinska Prawda".

Moskau will bereits zur Grenze von Luhansk vorgedrungen sein

Über heftigen Beschuss hat auch der Luhansker Gouverneur Serhij Hajdaj berichtet. Demnach gab es in den vergangenen 24 Stunden bis zum Morgen 22 Angriffe. Am Morgen waren in mehreren ukrainischen Regionen Sirenen zu hören, die vor Luftangriffen warnten, darunter in Lukansk, Charkiw und Dnipro. Russland spricht schon lange davon die Region Luhansk komplett einnehmen zu wollen. Nun berichten sie davon bis an die Verwaltungsgrenzen des Gebiets Luhansk vorgedrungen zu sein. Die Kleinstadt Popasna, die bis vor kurzem noch schwer umkämpft war, sei nun "gesäubert" von ukrainischen "Nationalisten", sagte der Sprecher des Verteidigungsministeriums in Moskau, Igor Konaschenkow. Gouverneur Hajdaj widersprach aber deutlich und bezeichnete die russischen Aussagen als "Fantasie.

Ukraine stellt Gas-Transit in Region Luhansk ein

Kriegsbedingt stellt die Ukraine ab Mittwoch den Transit von russischem Gas im Gebiet Luhansk im Osten des Landes ein. Damit fielen bis zu 32,6 Millionen Kubikmeter Gas pro Tag weg - das sei fast ein Drittel der täglich über die Ukraine nach Europa transportierbaren Höchstmenge, teilte der ukrainische Gasnetzbetreiber am Dienstag mit. Aufgrund der russischen Besatzung sei es unmöglich geworden, über den Punkt Sochraniwka Gas an andere Verteilstationen weiterzuleiten, hieß es. Der Betreiber berief sich auf einen Fall "höherer Gewalt".

US-Geheimdienst: Donbass für Russland nur ein Zwischenziel - Moskau hinkt Zeitplan hinterher

Laut US-Geheimdienstkoordinatorin Avril Haines bereitet sich der russische Präsident Wladimir Putin auf einen "langwierigen Konflikt in der Ukraine vor, bei dem er nach wie vor Ziele über den Donbass hinaus erreichen will". So sei Putin entschlossen, eine Landverbindung zur pro-russischen Separatistenregion Transnistrien im Osten der Republik Moldau zu schaffen. Putin dürfte demnach auch das Kriegsrecht ausrufen, sagte die US-Geheimdienstdirektorin vor dem Streitkräfte-Ausschuss des US-Senats. Weil Putins Ziele größer seien als die Fähigkeiten der russischen Streitkräfte, sei es "wahrscheinlich", dass der Präsident in den kommenden Monaten einen zunehmend "unvorhersehbaren und potenziell eskalierenden" Weg einschlage. Wie nun aus Kreisen des US-Militärs bekannt gegeben wurde, liegt Russland mindestens zwei Wochen hinter dem eigenen Zeitplan für die Invasion der Donbass-Region. Dies gelte auch für den Süden der Ukraine, sagt ein hochrangiger US-Militärvertreter, der namentlich nicht genannt werden will.

Pentagon: Kein Hinweis auf Hyperschallraketen-Einsatz in Odessa

Das US-Verteidigungsministerium hat keine Hinweise auf den Einsatz von Hyperschallraketen bei den jüngsten russischen Angriffen auf die ukrainische Hafenstadt Odessa. Er könne den Einsatz solcher Waffen nicht bestätigen, sagte ein hochrangiger Ministeriumsmitarbeiter in einer Telefonschalte mit Journalisten. Luftangriffe auf Odessa hätten in den vergangenen Tagen aber zugenommen. Nach Darstellung des ukrainischen Militärs hatte die russische Luftwaffe in der Nacht Hyperschallraketen vom Typ Kinschal auf die südukrainische Hafenstadt abgefeuert. Der US-Ministeriumsvertreter sagte, es gebe keine Hinweise auf einen Angriff auf Odessa durch Bodentruppen oder vom Schwarzen Meer aus. "Odessa steht immer noch fest unter ukrainischer Kontrolle."

Rücktrittswelle von Gouverneuren in Russland

Gleich fünf russische Gebietschefs legen innerhalb weniger Stunden ihren Posten nieder oder wollen nicht mehr zur Wiederwahl antreten. Offiziell geben sie ihr Alter und lange Amtszeiten an. Darunter etwa Sergej Schwatschkin aus dem sibirischen Tomsk und sein Kollege Igor Wassiljew aus dem rund 1000 Kilometer nordöstlich von Moskau gelegenen Kirow. Bei vielen Bürgern aber sorgte die Rücktrittswelle für Verwunderung und auch Spekulationen. Im Nachrichtendienst Telegram fragten sich mehrere Nutzer, ob die Gebietschefs möglicherweise den seit zweieinhalb Monaten andauernden Krieg gegen die Ukraine und die wirtschaftlichen Folgen für Russlands Provinzen nicht länger mittragen wollten. Andere spekulierten, dass die fünf Politiker sich eventuell nicht loyal genug gegenüber dem Kreml verhalten hätten. Belege dafür gab es bislang keine.

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Quelle: ntv.de, ysc/dpa/AFP/rts

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