Politik

Kuleba passt Kriegsziele an Ukraine will Russen nun ganz vertreiben

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Die russischen Truppen sollen die Ukraine wieder komplett verlassen, sagte Außenminister Kuleba.

(Foto: IMAGO/ITAR-TASS)

Unmittelbar nach Beginn des Überfalls durch Russland ging es für die Ukraine erst einmal darum, überhaupt irgendwie zu bestehen. Doch das Selbstvertrauen in Kiew wächst. Außenminister Kuleba nennt in einem Interview neue Kriegsziele.

Das wird nicht lange dauern, dachten die meisten, als Russland damit begann, die Ukraine anzugreifen. Doch die Experten lagen falsch. Die russische Armee unterwarf das Land nicht in ein paar Tagen - im Gegenteil. Die Ukrainer verteidigten ihr Heimat wild entschlossen und stoppten so die russische Übermacht - die ihrerseits mit logistischen Problemen kämpfte. Von einer Eroberung des ganzen Landes und einer Absetzung der Regierung ist keine Rede mehr. Nach dem Scheitern der Einnahme von Kiew hat Präsident Wladimir Putin seine Truppen auf den Donbass konzentriert. Und auch dort scheinen die Russen Probleme zu haben. Jedenfalls verläuft ihr Vormarsch schleppend. Zuletzt meldete auch die Ukraine wieder Geländegewinne nahe dem strategisch wichtigen Cherson.

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Der ukrainische Außenminister Kuleba.

(Foto: dpa)

Das führt zu neuem Selbstbewusstsein in der ukrainischen Regierung. Außenminister Dmytro Kuleba hat in einem Interview mit der Londoner "Financial Times" nun sogar die Kriegsziele angepasst. "Das Bild des Sieges ist ein sich entwickelndes Konzept", sagte er der Zeitung. "In den ersten Monaten wären ein Sieg für uns ein russischer Rückzug bis zu den Stellungen, die sie vor dem 24. Februar besetzten, sowie Reparationszahlungen gewesen." Das sei nun anders. "Wenn wir an der militärischen Front stark genug sind und wir die Schlacht um den Donbass gewinnen, die entscheidend für die Kriegsdynamik sein wird, wird ein Sieg für uns natürlich die Befreiung unseres restlichen Territoriums sein."

Kuleba zufolge wäre das notwendig, um die ukrainischen Häfen am Schwarzen Meer wieder zu öffnen. Dort befinden sich Großstädte wie Odessa und Mariupol. So könnte man den Export wieder in Gang bringen. Wenn das Land noch mehr militärische Unterstützung erhalte, sei man in der Lage, die russischen Truppen aus der Region um Cherson zu vertreiben, die Schwarzmeer-Flotte zu besiegen und die Blockade des Seewegs aufzuheben. Laut der Zeitung räumte Kuleba ein, dass dieses Maximalziel vielleicht nicht erreicht werden könne. In dem Fall sei man zu Verhandlungen bereit, wolle aber mit den "bestmöglichen Karten" daran herangehen.

"Permanenter Mechanismus" für Waffenlieferungen gefordert

Neben einem Öl- und Gas-Embargo des Westens gegen Russland forderte Kuleba auch, die Waffenlieferungen zu beschleunigen und zu verstetigen. "Wenn die Schlacht heute tobt und Artillerie und Drohnen morgen ankommen, ist das nicht die Art und Weise, wie es laufen sollte", sagte er. Mit dem erfolgreichen Einsatz von Anti-Panzer-Waffen und Luftabwehrraketen aus westlichen Lieferungen habe die Ukraine Vertrauen gewonnen. In der westlichen Wahrnehmung sei das ein "game changer" gewesen. Er forderte einen "permanenten Mechanismus", der Waffenlieferungen ermöglichen soll, auch damit westliche Alliierte nicht auf ihren Bestand zurückgreifen müssen.

Aktuell würde besonders Artillerie benötigt, inklusive Haubitzen, die die Ukraine auch bereits erhalte. Kuleba forderte zudem Raketensysteme, die mehrmals hintereinander feuern könnten - die habe man noch nicht bekommen. Kuleba sagte, er hätte lieber moderne US-Systeme statt altes Sowjetmaterial. Dies hätten ihm die Amerikaner auch zugesagt.

An diesem Dienstag traf Kuleba in Kiew mit seiner deutschen Amtskollegin Annalena Baerbock zusammen. Er dürfte mit großem Interesse vernommen haben, dass in wenigen Tagen die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland beginne - sie sollen den Umgang mit der hochmodernen Panzerhaubitze 2000 lernen. Lange und laut hatte sich Kiew über mangelnde militärische Hilfe aus Berlin beklagt. Mittlerweile hat die Bundesregierung beschlossen, der Ukraine über einen Ringtausch mit Slowenien schwere Waffen zukommen zu lassen und auch deutsche Flugabwehrpanzer des Typs "Gepard" zu liefern.

"Ukrainer sterben für Grundwerte Europas"

Das Verfolgen der erweiterten Kriegsziele der Ukraine könnte den Krieg womöglich verlängern. Am Montagabend hatte Frankreichs Präsident Emmanuel Macron bei seinem Besuch in Berlin noch darauf gedrungen, "so schnell wie möglich" einen Waffenstillstand zu erreichen. Nur so könnten die Verhandlungen zwischen Kiew und Moskau für einen Frieden und einen dauerhaften Rückzug der russischen Truppen zum Abschluss gebracht werden. Bundeskanzler Olaf Scholz nannte es "wichtig, dass jetzt eine Deeskalation weiter vorangetrieben wird, jedenfalls was die Rhetorik betrifft".

Im Gespräch mit der "Financial Times" zeigte sich Kuleba zuversichtlich, dass der Westen die Ukraine weiter unterstützt - auch weil der Krieg zu einem neuen Zusammenhalt geführt habe. Vor drei Monaten habe es noch geheißen, die Demokratie sei im Niedergang begriffen und autoritäre Regime seien auf dem Vormarsch. Der Krieg habe die USA und die EU wieder zusammen gebracht. Kuleba betonte, dass die Ukraine der EU beitreten möchte. "Die Ukraine ist der einzige Ort in Europa, an dem Menschen für die Grundwerte der EU sterben. Ich denke, das sollte man berücksichtigen."

Quelle: ntv.de, mit dpa

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