Bitumen-Produktion in Schwedt Straßenbau-Engpässe durch Ölembargo befürchtet
10.05.2022, 18:20 Uhr
Das Schicksal der Raffinerie in Schwedt ist auch über den Raum Berlin-Brandenburg hinaus relevant.
(Foto: IMAGO/Fotostand)
Sollte der Betrieb der Ölraffinerie in Schwedt abrupt gestoppt werden, hat das nicht nur Auswirkungen für Mitarbeitende sowie die Energie-Versorgung von Ostdeutschland. Vertreter der Industrie warnen, dass auch für den Straßenbau erhebliche Konsequenzen drohen könnten.
Ein Lieferstopp von russischem Öl an die PCK-Raffinerie in Schwedt könnte laut Einschätzung des Präsidenten des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie, Peter Hübner, extreme Folgen für den Straßenbau haben. Die Raffinerie in Schwedt produziere "ein Drittel des in Deutschland für den Straßenbau benötigten Bitumens, nämlich 1,3 von vier Millionen Tonnen", sagte Hübner der "Wirtschaftswoche". Auf einem Drittel der Baustellen drohe ein Mangel des notwendigen Baustoffs.
Die EU-Staaten verhandeln derzeit über ein Ölembargo gegen Russland. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte bei einem Besuch der Raffinerie PCK im brandenburgischen Schwedt am Montag betont, dass der Standort auch bei einem Stopp der Öllieferungen aus Russland erhalten bleiben soll. Die Raffinerie ist der wichtigste Lieferant für Mineralölerzeugnisse im Raum Berlin-Brandenburg.
Hübner, der auch Vorstandsvorsitzender des Straßenbaukonzerns Strabag ist, warnte vor einem fehlenden Problembewusstsein in der Bundesregierung für die Versorgung der Bauindustrie mit Mineralölprodukten. "Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck befasst sich zwar intensiv mit Schwedt", sagte Hübner. Die Relevanz der Bitumen-Produktion für den Straßenbau fehle aber bislang in dessen Stellungnahmen.
"Welle gestoppter Bauinvestitionen wird kommen"
Auch die Baupläne von Industrieunternehmen leiden demnach stark unter den gestiegenen Rohstoff- und Energiepreisen. Laut Hübner wird die deutsche Industrie bis zu 40 Prozent der ursprünglich geplanten Bauvorhaben nicht umsetzen. "Eine Welle gestoppter Bauinvestitionen kommt unweigerlich auf uns zu", warnte er. Die Kosten für neue Gewerbebau-Projekte dürften demnach um 20 bis 30 Prozent ansteigen. Hübner rechnet demnach mit Investitionsausfällen in Milliardenhöhe. So hätten bereits die Unternehmen MAN Energy Solutions und die Flensburg Brauerei Planungen für neue Logistikzentren auf Eis gelegt. Geplant waren Investitionen in Höhe von 65 Millionen Euro.
Auch Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke dringt nach dem Besuch von Habeck auf Versorgungssicherheit und den Erhalt der Raffinerie PCK. "Jetzt müssen Taten folgen", sagte der SPD-Politiker. Er fordert vom Bund, die Versorgung in Ostdeutschland zu sichern, die Arbeitsplätze von PCK und beteiligten Unternehmen zu erhalten und einen Umbau der Raffinerie finanziell zu flankieren.
Der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, sieht in dem geplanten Ölembargo die Chance, die Raffinerie schnell auf eine klimafreundlichere Produktion umzustellen. "Niemand möchte mehr mit dem Eigentümer Rosneft zusammenarbeiten", sagte der SPD-Politiker im RBB24-Inforadio. Daher sei in Schwedt ein kompletter Umbruch nötig.
"Enormes Risiko für Ostdeutschland"
In Schwedt endet die Pipeline "Druschba" (Freundschaft) aus Russland, deren Öl bei PCK verarbeitet wird. Die Raffinerie versorgt Berlin und Brandenburg zum Großteil mit Treibstoff. Rund 1200 Menschen sind nach Angaben der Landesregierung dort beschäftigt. Habeck sucht nach alternativen Öl-Quellen über die Häfen Rostock und Danzig. Damit kann allerdings nicht die komplette Leistung der Raffinerie gesichert werden. Außerdem kann nach Angaben des Bundeswirtschaftsministeriums zunächst zum Teil auch Öl aus der nationalen Reserve kommen.
Die Bundesregierung erwägt als letztes Mittel eine Enteignung oder eine Treuhandlösung für PCK. Der Bundestag will am Donnerstag über Gesetzespläne dazu beraten. Die Betreiber der Raffinerie Leuna in Sachsen-Anhalt haben schon Alternativen für russisches Öl angebahnt. Die Linksfraktion im Bundestag ist gegen einen EU-Importstopp für russisches Öl. Ein Embargo wäre ein "enormes Risiko für Ostdeutschland, aber auch insgesamt für die Wirtschaft in Deutschland", sagte Fraktionschefin Amira Mohamed Ali in Berlin. "Und wir sind der Meinung, dass dieser Weg nicht beschritten werden sollte." Es gebe auch große Fragezeichen, ob ein Ölembargo den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bremsen würde.
Quelle: ntv.de, fzö/dpa/AFP