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Die Kriegsnacht im Überblick Selenskyj feiert "historischen Tag" - Städte im Donbass unter heftigem russischen Feuer

Wolodymyr Selenskyj will die "Grauzone zwischen der EU und Russland in Osteuropa" beseitigt wissen.

Wolodymyr Selenskyj will die "Grauzone zwischen der EU und Russland in Osteuropa" beseitigt wissen.

(Foto: REUTERS)

In der Ukraine hallt der gemeinsame Besuch von Kanzler Olaf Scholz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron und Italiens Ministerpräsident Mario Draghi nach. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj feiert die Zusagen als "historisch", Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko "freut sich riesig" und auch Botschafter Andrij Melnyk stimmt in die Lobeshymnen ein. Er setzt auch darauf, dass nun zugesagte Waffenlieferungen auch ankommen. In der Ostukraine stehen indes ukrainische Stellungen weiter unter heftigem Beschuss.

Selenskyj sieht "historischen Tag" für Ukraine

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach nach dem Treffen in seiner abendlichen Videoansprache von einem "historischen Tag" für sein Land. Noch nie seit ihrer Unabhängigkeit sei die Ukraine so dicht an die Europäische Union herangerückt. Dank des Mutes ukrainischer Männer und Frauen könne Europa eine neue Geschichte der Freiheit schreiben "und endlich die Grauzone zwischen der EU und Russland in Osteuropa beseitigen".

Die Ukraine hatte kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs am 24. Februar einen Antrag auf Annahme in die EU gestellt. Die EU-Staaten beauftragten die EU-Kommission dann, sich damit zu befassen und eine Empfehlung abzugeben. Eine Entscheidung der EU-Staats- und Regierungschefs zum Beitrittsantrag der Ukraine könnte bereits beim nächsten Gipfeltreffen fallen, der am kommenden Donnerstag in Brüssel beginnt.

Scholz: Weg in die EU ist "ein sehr voraussetzungsvoller"

Kanzler Olaf Scholz sagte im ZDF, der Weg der Ukraine in die EU sei "ein sehr voraussetzungsvoller", der auch "sehr lange Zeit" in Anspruch nehmen könne. Der Status als Beitrittskandidat bedeute aber, dass die Hoffnung auf dem Weg nach Europa für die Menschen der Ukraine konkret werde. Zum Zeithorizont sagte der SPD-Politiker, das könne niemand seriös beantworten. "Aber es lohnt sich, das ist doch die Botschaft."

Als Voraussetzungen für einen EU-Beitritt nannte der Kanzler in ZDF und ARD Fortschritte etwa bei der Rechtsstaatlichkeit und der Korruptionsbekämpfung. Aber: "Wir haben uns entschlossen, dass die Ukraine zur europäischen Familie gehört", betonte der Kanzler im Interview mit ntv. Konkrete Zusagen für weitere Waffenlieferungen an die Ukraine machte der Bundeskanzler am Donnerstag in Kiew nicht. Man tue das Notwendige, und zwar wohlüberlegt, sagte Scholz bei ntv. Dies habe dafür gesorgt, dass Deutschland bisher einen "sehr effizienten Beitrag" geleistet habe.

Melnyk sieht in Zusagen zu EU-Beitrittsstatus "starke Message"

Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, erwartet von Scholz Überzeugungsarbeit in der EU für einen Kandidatenstatus des Landes. Die Ukraine hoffe, dass der Kanzler dafür sorge, dass die notwendige Einstimmigkeit beim EU-Gipfel erreicht werde, sagte Melnyk in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner". "Da sind wir noch nicht über den Berg", fügte der Diplomat hinzu.

Melnyk bezeichnete die Zusagen Scholz' als "starke Message" an sein Land. Ein EU-Beitritt der Ukraine sei kein Geschenk, sondern auch in deutschem Interesse. Die Ukraine wolle kein Bittsteller sein, sondern etwas leisten, auch im Bereich der Sicherheit, betonte Melnyk. Mit Blick auf die Lieferung schwerer Waffen sagte der Botschafter, er hoffe, dass nach dem Besuch die Erkenntnis da sei, mehr zu tun. Er appelliere nochmals an Scholz, seine Zurückhaltung zur Lieferung von Waffen zu überprüfen, die sofort lieferbar wären.

Mehr zum Auftritt Melnyks im ZDF lesen Sie hier.

Weitere Reaktionen: Kuleba begrüßt Scholz' Zusage - Klitschko: "Wir freuen uns riesig"

Auch der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba bewertet den Scholz-Besuch in seinem Land positiv. Für die Ukraine sei es wichtig gewesen, dass der Kanzler die durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine angerichtete Zerstörung in der Ukraine "mit eigenen Augen sieht", sagte Kuleba in der ARD. Er denke, dass diese Zerstörung auf Scholz "Eindruck" gemacht habe. Scholz habe sich bei seinem Besuch engagiert gezeigt, im Rat der Europäischen Union einen Konsens zu einem möglichen EU-Beitritt der Ukraine zu erzielen. "Das war die wichtigste Botschaft heute", betonte der ukrainische Chefdiplomat. Die Ukraine wisse, dass sie nicht sofort volles Mitglied werden könne und Reformen durchsetzen müsse. Es sei aber wichtig, dass alle sagten, die Ukraine gehöre zu Europa.

Kiews Oberbürgermeister Vitali Klitschko sagte zu den Ankündigungen von Scholz, Draghi und Macron: "Das ist eine sehr, sehr gute Nachricht. Wir freuen uns riesig". Es sei ein Traum der Ukraine, ein Teil der europäischen Familie zu sein. Dafür zahle die Ukraine mit dem Leben von Menschen. "Wir kämpfen für Freiheit, wir kämpfen für die demokratischen Werte, für die Zukunft unserer Kinder", sagte der Oberbürgermeister. Klitschko und forderte gleichwohl weitere Waffenlieferungen. "Wir brauchen mehr. Jeder in Deutschland, jeder in Europa muss endlich mal begreifen: Wir brauchen Verteidigungswaffen", sagte Klitschko. Die Ukraine verteidige nicht nur ihr Land, ihre Städte und Familien. "Wir verteidigen euch", sagte Klitschko.

Großbritannien: Russland hat Krieg "strategisch verloren"

Nach Einschätzung des britischen Generalstabschefs Tony Radakin hat Russland den Krieg gegen die Ukraine bereits jetzt "strategisch verloren". Der Angriff auf das Nachbarland sei ein "entsetzlicher Fehler Russlands" gewesen, sagte Radakin. Mit seinem Krieg gegen die Ukraine habe Russland die NATO gestärkt und Finnland und Schweden dazu gebracht, einen Aufnahmeantrag bei dem Militärbündnis zu stellen. Es sei zwar möglich, dass Kreml-Chef Wladimir Putin in den kommenden Wochen "taktische Erfolge" in der Ukraine erzielen werde, sagte Radakin. Allerdings habe Putin ein Viertel der Stärke seiner Armee für "winzige" Geländegewinne geopfert. "Die russische Maschinerie wird zerrieben und sie gewinnt dabei täglich ein paar - zwei, drei, fünf - Kilometer." 50.000 russische Soldaten seien getötet oder verletzt worden. "Russland ist dabei zu scheitern."

USA besorgt über Umgang mit ausländischen Kriegsgefangenen in Russland

Die USA rufen Russland dazu auf, ausländische Kämpfer in der ukrainischen Armee, die sich in der Gewalt der russischen Armee befinden, gemäß der Genfer Konventionen als Kriegsgefangene zu behandeln. Laut US-Außenamtssprecher Ned Price gilt ein dritter US-Bürger als in der Ukraine vermisst. Berichten zufolge waren in der vergangenen Woche zwei als freiwillige Kämpfer in die Ukraine gereiste US-Bürger in russische Gefangenschaft geraten. Die Regierung von Präsident Joe Biden hat US-Bürger dazu aufgerufen, nicht als freiwillige Kämpfer in die Ukraine zu reisen. Vor Kurzem waren zwei Briten und ein Marokkaner, die sich den ukrainischen Kämpfern angeschlossen hatten, in einer von pro-russischen Separatisten kontrollierten Region in der Ostukraine wegen des Vorwurfs des Söldnertums zum Tode verurteilt worden.

Schwere russische Angriffe in der Ostukraine

Die ukrainischen Truppen im Osten des Landes liegen nach Angaben ihrer Führung weiter unter schwerem russischem Feuer mit Artillerie und Mehrfachraketenwerfern. Der Generalstab nannte vor allem die seit Tagen umkämpften Städte Sjewjerodonezk und Lyssytschansk sowie deren Umgebung. An zwei anderen Stellen der Front sei es dagegen gelungen, ein Vorrücken des Feindes abzuwehren. Die Angaben sind bislang nicht überprüfbar.

Im Gebiet Charkiw hinderten russische Truppen mit Artilleriefeuer die Ukrainer daran, dichter an die Grenze zwischen beiden Ländern vorzurücken, hieß es. An Frontabschnitten bei der Stadt Donezk und bei Saporischschja gebe es russische Entlastungsangriffe, um ukrainische Truppen zu binden.

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Das wird heute wichtig

  • In St. Petersburg findet das Internationale Wirtschaftsforum statt, zu dem in diesem Jahr wegen des Krieges viel weniger ausländische Gäste gekommen sind. Trotzdem will der russische Präsident Wladimir Putin diese Bühne nutzen und erläutern, wie er die Rohstoffgroßmacht trotz der Sanktionen weiterentwickeln will.
  • Die EU-Kommission berät über den Kandidatenstatus für die Ukraine. Die EU-Kommission wird aller Voraussicht nach die Empfehlung abgeben, dem Land den Kandidatenstatus zu gewähren. Die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder wollen sich bei einem Gipfel Ende kommender Woche damit befassen. Die EU-Staaten müssen letztlich einstimmig entscheiden.

Alle weiteren Entwicklungen des Tages können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.

Quelle: ntv.de, jog/dpa/AFP

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