Politik

Moskaus Milliarden für KiewVon der Leyen will letzten Trumpf für die Ukraine ausspielen

18.11.2025, 15:55 Uhr verstlLea Verstl
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Insgesamt müssen nach Angaben der EU-Kommission bis Ende 2027 mindestens 135,7 Milliarden Euro für die Ukraine organisiert werden. (Foto: picture alliance / abaca)

Die EU-Kommissionspräsidentin will ran an das russische Vermögen, das auf Konten in Belgien liegt. Noch bleibt die belgische Regierung bei ihrem Veto. Dabei ist es illusorisch, in Brüssel anderweitig 140 Milliarden aufzutreiben. Es könnte sich um die letzte große Finanzspritze für Kiew handeln.

Jetzt mal Hand aufs Herz: Gibt es denn eine realistische Alternative? Wer diese Frage im Europaparlament stellt, bekommt ein Kopfschütteln als Antwort - in vielen Fraktionen. Nein, die Europäische Union kommt nicht umhin, die eingefrorenen russischen Milliarden in Belgien anzufassen, damit die Ukraine nächstes Jahr weiterkämpfen kann. Ohne Geld droht dem kriegsgebeutelten Land die Kapitulation. Am Ende geht es um nichts weniger als um das Überleben des ukrainischen Staates.

Brüssel will seinen letzten Trumpf für Kiew ausspielen. Wladimir Putin würde die Nutzung des festgesetzten russischen Vermögens besonders weh tun - die Mitgliedstaaten dagegen erstmal nichts kosten. Deshalb ist diese Lösung unter den 27 europäischen Regierungen konsensfähiger als alle anderen Optionen, die für die Finanzierung weiterer Ukraine-Hilfen auf dem Tisch liegen.

Insgesamt müssen nach Angaben der EU-Kommission bis Ende 2027 mindestens 135,7 Milliarden Euro für die Ukraine organisiert werden. Es handelt sich um eine äußerst optimistische Schätzung. Denn die Behörde geht dabei von einem Kriegsende irgendwann im kommenden Jahr und einer anschließenden Senkung der Militärhilfen aus. Um die Abwehr des russischen Aggressors zu finanzieren, ist Kiew auf Brüssel angewiesen. Von den USA gibt es so gut wie nichts mehr geschenkt. Der US-Präsident lässt sich lieber Waffen von den Europäern abkaufen, statt sie zu spenden.

Von der Leyen nennt Vorstoß "Reparationskredit"

Auch unter den Ländern in der EU sinkt die Bereitschaft allmählich, für die Unterstützung der Ukraine immer tiefer in die eigene Tasche zu greifen. Jetzt bläst nicht nur Friedrich Merz zum Sturm auf die eingefrorenen Vermögenswerte der russischen Zentralbank. Neben dem Kanzler wirbt auch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dafür, die 200 Milliarden Euro zu nutzen, die auf Konten des Zentralverwalters Euroclear in Brüssel liegen. Das macht von der Leyen in einem Brief deutlich, den sie an die Staats- und Regierungschefs schickte. Sie drängt darin auf eine rasche Einigung. Zudem betont sie, die Auswahl an anderen Optionen sei begrenzt.

Um erneut eine große Summe für Kiew bereit zu stellen, könnte die EU entweder gemeinsame Schulden aufnehmen - was Deutschland ablehnt, weil es dafür größtenteils haften müsste. Oder aber die einzelnen Länder zahlen, abseits ihrer bilateralen Hilfen, aus nationalen Haushalten in ein großes EU-Hilfspaket ein. Das wiederum steht für Länder wie Italien oder Frankreich außer Frage, die angesichts ihrer immensen Staatsverschuldung kaum noch Spielraum sehen. Laut von der Leyen käme als vierte und letzte Option noch ein Mix aus gemeinsamen EU-Schulden, nationalen Hilfszahlungen und der Nutzung der russischen Vermögenswerte auf die ein oder andere Weise in Frage.

Bislang sieht von der Leyens Plan vor, das festgesetzte russische Vermögen in Schuldtitel umzutauschen, um das Geld anschließend Kiew zu überweisen. Aus rein juristischer Perspektive verliert Moskau so nicht den Besitzanspruch auf die Mittel. 140 Milliarden Euro sollen so zusammenkommen. Die Ukraine muss die Summe erst zurückzahlen, falls Russland die Invasion stoppen und Reparationen leisten sollte. Von der Leyen nennt die Vorgehensweise deshalb "Reparationskredit".

Belgische Regierung will nicht alleine haften

Die Idee, der Ukraine mit Moskaus festgesetzten Milliarden unter die Arme zu greifen, ist nicht neu. Die Vermögenswerte der russischen Zentralbank in Belgien werden bereits genutzt. Ein paar Milliarden Euro an Zinsgewinnen aus dem Vermögen werden jedes Jahr abgeschöpft. Die G7-Staaten sichern dadurch über mehrere Jahre einen 50-Milliarden Dollar schweren Kredit für Kiew ab.

Allerdings sperren sich der Zentralverwalter Euroclear und die belgische Regierung bislang gegen von der Leyens Plan, die russischen Mittel noch umfassender zu nutzen. Die Bedenken sind nachvollziehbar - möchten die Belgier doch nicht als einzige für diese kreative Form der Kreditaufnahme haften. "Es wäre absurd, Belgien mit den Risiken im Stich zu lassen. Die Europäische Union und ihre Mitgliedstaaten müssen über einen solidarischen Absicherungsmodus eine Lösung finden und gemeinsam das Ausfallrisiko tragen", sagt Hannah Neumann, die für die Grünen im Verteidigungsausschuss des Europaparlaments sitzt, im Gespräch mit ntv.de.

An einem solchen Mechanismus wird hinter den Kulissen in Brüssel bereits gearbeitet. Und in ihrem Brief präsentiert von der Leyen jetzt Möglichkeiten, wie sich Risiken fair verteilen ließen. Bislang reicht das jedoch nicht aus, um alle Bedenken zu zerstreuen. Offiziell hat die belgische Regierung noch kein grünes Licht gegeben.

Putin provoziert Belgien mit hybriden Attacken

Früher hatten auch Mitgliedstaaten wie Deutschland und sogar von der Leyen selbst Vorbehalte. Es grassierte die Angst vor Putins Gegenmaßnahmen, die etwa in Russland tätige Unternehmen aus der EU treffen könnten. Zudem wurde vor rechtlichen Schritten und einer Schwächung des Euro als Reservewährung gewarnt. Die Befürchtung: Internationale Anleger könnten sich aus Europa zurückziehen, wenn die EU auf das russische Zentralbankvermögen zugreift.

Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Europaparlament, wischt diese Bedenken vom Tisch. "Die EU wird als Finanzplatz keinen Schaden nehmen. Das ist eine Ausrede. Jeder sieht, wie schwer wir uns mit den juristischen Folgen tun und wie genau wir abwägen. Jeder weiß, wie die Lage ist: Es gibt Krieg in Europa und die Ukraine braucht viel Geld", sagt die FDP-Politikerin gegenüber ntv.de. Momentan flüchteten jedenfalls keine Anleger aus der EU. Es fließe im Gegenteil relativ viel Geld nach Europa, da die erratische Politik des US-Präsidenten Investitionen in den Dollar zu einem hohen Risiko machten, sagt Strack-Zimmermann. Die EU dürfe sich auch nicht von Putins Drohgebärden abhalten lassen, fordert sie.

Der Kreml hält die EU-Mitgliedstaaten mit allerlei hybriden Provokationen auf Trab. Polen etwa macht die russischen Geheimdienste für den Sprengstoffanschlag auf eine strategisch wichtige Bahnlinie verantwortlich. Zwei Monate zuvor drangen russische Drohnen in den polnischen Luftraum ein. Viele weitere Mitgliedstaaten meldeten in den vergangenen Wochen Verletzungen ihres Luftraums - darunter auch Belgien.

"Die Belgier stehen bei der Verwendung des eingefrorenen russischen Vermögens auch auf der Bremse, weil sie Sorge haben, dass sie Opfer hybrider russischer Angriffe werden. Und tatsächlich gab es in den letzten Wochen verstärkte Drohnenflüge über Belgien", sagt Markus Reisner, Oberst des Generalstabs im Österreichischen Bundesheer, im Gespräch mit ntv.de. Dennoch hält Reisner es für richtig, der Ukraine Moskaus Milliarden als Militärhilfe zukommen zu lassen. Reisner sieht in dem Vorstoß den Versuch der EU, "noch einen Unterschied zu machen, während der Druck auf die Ukraine massiv zunimmt." Was aber passiert, wenn der Krieg nicht nächstes Jahr endet, wie in der rosigen Prognose der EU-Kommission? Dann wird die ukrainische Regierung in Brüssel wieder Klinken putzen und die Hand ausstrecken müssen. Und, wenn sein Pech hat, ein Kopfschütteln als Antwort bekommen.

Quelle: ntv.de

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