Politik

Politologe Höhne im Interview "Was wir im Osten erleben, ist in vielen Ländern Europas der Normalfall"

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Björn Höcke ist Landesvorsitzender der AfD Thüringen, die mit ihm stärkste Kraft bei der Landtagswahl wurde.

Björn Höcke ist Landesvorsitzender der AfD Thüringen, die mit ihm stärkste Kraft bei der Landtagswahl wurde.

(Foto: picture alliance/dpa)

Die Wahlen in Thüringen und Sachsen enden mit historischen Erfolgen der AfD. Wie geht es nun weiter? Sollte die CDU mit der Linken zusammenarbeiten? Und was ist da eigentlich los in den beiden Bundesländern? Der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne gibt ntv.de Antworten.

Herr Höhne, die Menschen in Sachsen und Thüringen haben gewählt. In Thüringen ist die AfD stärkste Kraft, in Sachsen holt sie ebenfalls fast ein Drittel der Stimmen. War das ein schlechter Tag für die Demokratie?

Der Politikwissenschaftler. Prof. Dr. Benjamin Höhne forscht und lehrt an der TU Chemnitz.

Der Politikwissenschaftler. Prof. Dr. Benjamin Höhne forscht und lehrt an der TU Chemnitz.

(Foto: Franziska Höhnl/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild)

Ja, der Rechtspopulismus fordert die Demokratie heraus. Er hat ein Problem mit der Vielfalt von Parteien und ihren Sichtweisen. Er behauptet, das alleinige wahre Sprachrohr "des Volkes" zu sein. Er spricht seinen politischen Gegnern damit im Grunde die Daseinsberechtigung ab. Das ist höchst problematisch für unsere Parteiendemokratie. Zugleich ist zu konstatieren, dass der Populismus heutzutage zur Demokratie dazu gehört. Er ist die dunkle Seite der Demokratie. In der Auseinandersetzung mit dem Rechtspopulismus geht es also vor allem darum, wie klein er gehalten werden kann.

Könnte man auch sagen: Macht euch locker, so ist Demokratie. Unerwünschte Ergebnisse gehören dazu.

Das könnte man bei jeder normalen Partei, die die demokratischen Spielregeln akzeptiert, so sagen. Bei Rechtsaußenparteien wissen wir aber aus der eigenen Geschichte, wohin die Reise gehen soll. Aktuell bilden andere europäische Länder wie Ungarn mahnende Beispiele. Besonders die höchstrichterliche Rechtsprechung ist dem Rechtspopulismus ein Dorn im Auge. Sie schränkt seinen Gestaltungswillen ein und setzt ihm Grenzen. Zudem legt er Hand an die Grundfesten der pluralistischen Demokratie und die öffentlich-rechtlichen oder privaten Medien.

Gilt das auch für das Bündnis Sahra Wagenknecht? Die Partei setzt ebenfalls auf Populismus.

Dies ist umstritten. Wir wissen noch nicht genau, in welche Richtung sich die Partei entwickelt. Man kann sie nicht klar nur links oder nur rechts zuordnen. Ich habe einigen Widerspruch aus dem BSW-Lager erfahren, nachdem ich in unserem letzten Gespräch Züge einer Anti-System-Partei ausgemacht habe. Dabei glaube ich, Frau Wagenknecht fände eine solche Einordnung gar nicht falsch. Es gibt einen offenbar wachsenden Anteil von Menschen in Deutschland, die mit der gegenwärtigen Demokratie nichts anfangen können. In diesem Becken fischt auch Wagenknecht - vielleicht mit hehren Zielen. Aber sie scheut auch keine unseriösen Parolen, zum Beispiel zum Ukraine-Krieg, die auf der Landesebene gar keinen politischen Lösungsansatz finden können.

Der Bundestrend spielt bei Landtagswahlen immer eine Rolle. Viele Kommentatoren sagen: Im Wahlergebnis steckte besonders viel Unzufriedenheit mit der Ampel-Politik. Wie sehen Sie das?

Dieses Narrativ hat man sich in konservativen Kreisen zurechtgelegt. Nur warum profitiert dann die AfD vom Ampelzwist, aber kaum die Union als stärkste Oppositionspartei? Sicherlich hat die Ampel-Koalition den Wahlkämpfern von SPD, Grünen und FDP kaum Rückenwind verschafft. Aber sie als alleinigen Grund für das Erstarken der AfD heranzuziehen, wäre zu einfach. Da gibt es viele Gründe, auch europaweite, über die wir lange reden könnten. Ein regionalspezifischer: Viele Menschen im Osten haben nicht das Gefühl, die Demokratie in ihrem Sinne beeinflussen zu können.

Warum sind SPD, Grüne und FDP in Sachsen und Thüringen so schwach?

Die Grünen und die FDP wurden im Osten von Anfang an als West-Importe gesehen. Sie haben nur wenige Mitglieder und eine dünne Wählerbasis. So ein breites, vielfältiges Bewegungsmilieu, in dem die Grünen in der alten Bundesrepublik verankert waren, gab es im Osten nie. Auch die klassisch bürgerliche FDP-Klientel muss man im Osten länger suchen. Die SPD gründete sich 1990 neu. Dabei konnte sie sich nicht wie die CDU auf Parteistrukturen aus der DDR stützen, die Blockpartei gewesen war. Die SPD grenzte sich entschieden von der PDS ab und konnte damit auch keinen Mitgliederzufluss aus der ehemaligen SED verbuchen. Auch auf klassische kollaterale Organisationen wie Gewerkschaften konnte sie sich kaum stützen.

Aber in Brandenburg oder Mecklenburg-Vorpommern gilt das auch und dort ist die SPD viel stärker.

In Brandenburg konnte die SPD tatsächlich so etwas wie ein Stammland aufbauen. Dies dürfte mit dem früheren Spitzenpersonal zu tun haben. Manfred Stolpe hatte in den 1990er Jahren erfolgreich ein Landesvater-Image aufgebaut. Dabei kam ihm sicherlich zugute, dass er ein Ministerpräsident war, der aus dem Osten stammte. Auch seine Sozialministerin, die SPD-Politikerin Regine Hildebrandt, war sehr beliebt, weit über ihr Bundesland hinaus.

Was sagen Sie zu Thüringen? Die einzige Regierungsmöglichkeit wäre nun CDU, SPD, BSW und Linke oder mit Tolerierung der Linken. Ist der Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der CDU gegenüber der Linken inhaltlich noch zeitgemäß?

Nein. Die CDU sollte den Unvereinbarkeitsbeschluss gegenüber der Linkspartei aufgeben. Dies habe ich schon im Frühjahr dieses Jahres vorgeschlagen. Die CDU will regieren. Dies ist konstitutiv für ihr Selbstverständnis. Sie sieht sich als Managerin der Macht, die die Probleme der Menschen pragmatisch löst. An ideologischen Grundsatzschlachten hat sie keine Freude. Deswegen ist sie koalitionspolitisch flexibel. Von der Linken ist keine Revolution ausgegangen. Stattdessen wurde in Thüringen sozialdemokratische Politik gemacht. Das weiß die CDU natürlich. Sie muss nun entscheiden, was für sie das kleinere Übel ist: mit Ramelows Linkspartei zusammenarbeiten oder am überkommenen kommunistischen Feindbild festhalten und Steigbügelhalter für Höckes Weg an die Macht sein.

Davon mal abgesehen: Wäre das eine gute Idee? Wie soll das gehen mit drei oder auch vier Parteien?

Das wird schwierig. Da gibt es nichts schönzureden. Der bisherige Ministerpräsident Bodo Ramelow könnte in der Tat eine Moderationsrolle spielen, wenn es um die Einbeziehung seiner eigenen Partei geht.

Wenn nun AfD-Wähler sagen: Die größte Fraktion sollte auch die Regierung führen. Wäre das so falsch? CDU und SPD sagen das doch auch immer.

Natürlich sind solche Aussagen nachvollziehbar. Aber unsere Demokratie ist nun mal eine parlamentarische Demokratie. Wenn eine Partei nicht die absolute Mandatsmehrheit erreicht, braucht sie Koalitionspartner. Wenn sich diese nicht finden, kann sie keine Regierung bilden. Dabei hat die AfD der CDU die Abgrenzung leicht gemacht. Die AfD hat sich kaum gemäßigt, sondern hält an ihrem harten rechten Kern um Höcke fest, der immer wieder Signale ins rechtsextreme Spektrum aufblitzen lässt. Dies wirkt in der Mitte der Gesellschaft abschreckend.

Die AfD hat nach dem Anschlag von Solingen nicht noch einmal groß zugelegt. Ist bei rund einem Drittel der Stimmen ihre Obergrenze erreicht?

Einige meiner Kollegen vertreten diese These. Andere wiederum befürchteten, dass die AfD noch stärker von Solingen hätte profitieren können. Die Wahlbeteiligung ist gestiegen und es gab eine Gegenmobilisierung. Davon haben die kleineren Parteien bis hin zur CDU profitiert.

In der deutschen Debatte wird der Osten als der Sonderfall in Deutschland behandelt. Aber wenn man sich umsieht jenseits der Landesgrenzen - ist nicht eher Westdeutschland der Sonderfall in Europa?

Dies könnte man tatsächlich so sagen. Was wir im Osten erleben, Werte um die 30 Prozent oder mehr für Rechtspopulisten oder Rechtsextreme, ist in nicht wenigen europäischen Ländern der Normalfall. Im Westen Deutschlands ist das etablierte Parteiensystem noch immer recht robust, weil die Parteien in der Gesellschaft breit verankert sind. Mit der CDU und CSU gibt es nach wie vor eine starke christdemokratische Parteiengemeinschaft. Auch die SPD hält den Anspruch hoch, Volkspartei zu sein. Parteien, die kontinuierlich so viele Wähler binden, finden sich in anderen europäischen Ländern nur noch selten.

Welche Haltung wäre nun angebracht: Soll man AfD-Wähler wie verirrte Schafe behandeln, die in den Schoß der Demokraten zurückgeführt werden müssen? Oder als gefährliche Überzeugungswähler von Rechtsextremen?

Parteien werden wohl immer versuchen, Menschen von ihrer eigenen Programmatik zu überzeugen und auch von anderen Parteien zurückzugewinnen. Aber es ist eine berechtigte Frage, wie aussichtsreich letzteres ist. Eine Person mit gefestigten rechtsextremen Einstellungen wird wohl kaum eine normale Partei wie zum Beispiel die CDU wählen. Es wird auch schwierig, Personen mit rechtspopulistischen Einstellungen zurückzuholen, wenn sie nicht ohnehin von der AfD aus dem Nichtwählerlager mobilisiert wurden. Diese pflegen in rechten Blasen ihre Verschwörungstheorien und kruden Weltsichten, schimpfen über das Gendern und hetzen gegen Menschen mit Migrationshintergrund. Rechtspopulistische Erzählungen liegen irgendwann wie ein Schleier auf der eigenen Realitätswahrnehmung. Dass dann jemand alles Internalisierte einfach so ablegt und beispielsweise bei der SPD neu anfängt, kann ich mir gerade schwer vorstellen.

Das BSW ist auf Anhieb zweistellig in beide Landtage eingezogen. Aber der AfD hat das kaum geschadet, eher der Linken. Wie erklären Sie das?

Die rechtspopulistische "Wagenburgmentalität", wie es Marcel Lewandowsky nannte, hält die "AfD-Gefühlsgemeinschaft", eine Bezeichnung von Florian Spissinger, zusammen. Die meisten AfD-Wähler haben offenbar keinen Anlass gesehen, auszubrechen. Es hat sich eine Stammwählerschaft herausgebildet, wie wir sie von anderen Parteien kennen. Dies sind loyale Wähler, die unabhängig von Negativschlagzeilen ihrer eigenen Partei treu bleiben.

Was ja durchaus ungewöhnlich ist, weil die Wählerbindung im Osten insgesamt viel schwächer als im Westen ist.

Nicht wenige im Osten haben die Parteien aus dem Westen in den 1990er Jahren als aufoktroyiert empfunden. Dies ist bei der AfD anders. Dort konnten die Mitglieder von Anfang an das Parteileben aktiv mitgestalten, Richtungs- und im Grunde alle Personalentscheidungen selbst treffen. Es gab eine große Offenheit zur Straße, zu Bewegungen wie Pegida. Die AfD weist ein sehr hohes Maß an innerparteilicher Demokratie auf. Verfahren der internen Willensbildung sind transparent und inklusiv. Mitglieder müssen kaum befürchten, für rechte Äußerungen kritisiert zu werden. Diese organisatorischen Rahmenbedingungen wirken sich positiv auf die Identifikation mit der AfD aus und stärken deren Konzentrationsfunktion im rechten Spektrum.

Es heißt doch immer, die AfD sei keine demokratische Partei. Ist sie es also doch?

Bei der internen Organisation ist sie sogar besonders demokratisch. Aber nicht in ihrem Verständnis von der Demokratie auf der Staatsebene. Da ist sie antipluralistisch und damit antidemokratisch.

Für eine Regierungsbeteiligung erwartet Wagenknecht eine gemeinsame Linie in der Außenpolitik. Kann es da um mehr als warme Worte gehen? Die Bundesländer haben doch gar keinen Einfluss auf die Außenpolitik.

Richtig, die Außenpolitik ist Sache des Bundes. Vielleicht hofft Frau Wagenknecht darauf, indirekt Einfluss auf die nächste Bundesregierung durch ihre wahrscheinlichen Koalitionen nehmen zu können. Diese könnte von der CDU und CSU geführt werden. Aber ich denke, es war bloß Wahlkampfpolemik, die ihr Stimmen bringen sollte.

In Sachsen ist die CDU mit Michael Kretschmer vor der AfD gelandet. Was haben die anders als in Thüringen gemacht? War es der ständige Einsatz von Kretschmer mit unzähligen Lokalterminen und Gesprächen? Also erklären, reden, „mitnehmen“? Ist das das Modell, das hilft?

Seine unermüdliche Umtriebigkeit hat bestimmt dazu beigetragen, ein bekannter und beliebter Ministerpräsident zu werden. Er will nah bei den Menschen sein und ist dabei so emsig wie kaum ein anderer Ministerpräsident in Deutschland. Es gibt aber auch Kritik. Er neigt sich womöglich manchmal etwas in die Richtung von denjenigen, die er auf diesen Terminen trifft. Darunter sind sicherlich nicht wenige organisierte Personen, die beispielsweise in rechte Netzwerke eingebunden sind. Unzufriedene, die von der AfD mobilisiert wurden. Wenn er sich Russland zugewandt äußert, weiß er, das kommt in solchen Kreisen an.

Muss man sich an Minderheitsregierungen gewöhnen oder wird es irgendwann wieder wie früher?

Ich würde nicht ausschließen, dass es auch wieder klare Mehrheiten in Zweiparteienkoalitionen geben kann. Aber die Tendenz ist eine andere: hin zu flexiblerem Wahlverhalten und mehr Dynamik beim Parteienangebot. Minderheitsregierungen sind wahrscheinlicher geworden. In Sachsen wird es voraussichtlich nicht dazu kommen, eher noch in Thüringen. Das Problem ist: Wenn sich um die CDU eine Minderheitsregierung bildet, wäre sie ein Einfallstor für die AfD, Einfluss auf Regierungshandeln auszuüben. Denn Teile der zweiten oder dritten Reihe in der CDU im Osten können sich zumindest punktuell eine Zusammenarbeit mit der AfD vorstellen.

Mit Benjamin Höhne sprach Volker Petersen

Quelle: ntv.de

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