Politologe zu Wagenknecht-Partei "Wir haben es beim BSW mit einer weiteren Anti-System-Partei zu tun"
30.03.2024, 08:18 Uhr Artikel anhören
Sahra Wagenknecht hat mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht eine neue Partei gegründet und findet damit Anklang, wie erste Umfragen zeigen.
(Foto: Hannes P Albert/dpa)
Das Bündnis Sahra Wagenknecht findet in den ostdeutschen Bundesländern starken Anklang, wie erste Umfragen zeigen. Manches erinnert an die alte SPD, manches an die Linke, manches auch an die AfD. Im Interview mit ntv.de erklärt der Politikwissenschaftler und Parteienforscher Benjamin Höhne, warum die neue Partei für viele attraktiv ist, wie sie die AfD schwächen könnte und ob sie eine Bereicherung oder doch eher eine Belastung für die Demokratie ist.
ntv.de: Herr Höhne, das Bündnis Sahra Wagenknecht kommt in ersten Umfragen seit der Parteigründung im Januar in Sachsen, Brandenburg und Thüringen schon auf zweistellige Werte. Ist der Start geglückt?

Prof. Dr. Benjamin Höhne übernimmt ab dem 1. April für drei Jahre die Professur für Europäische Regierungssysteme im Vergleich an der TU Chemnitz.
(Foto: Franziska Höhnl/dpa-Zentralbild/dpa/Archivbild)
Benjamin Höhne: Danach sieht es aus und das hat mich durchaus überrascht. Vor einigen Jahren hatte Sahra Wagenknecht ja schon einmal so etwas Ähnliches versucht. Mit der Bewegung "Aufstehen" wollte sie anscheinend eine Bewegungspartei aufbauen. Dies wirkte auf mich wie ein Testballon für eine eigene Parteigründung. Dieser Versuch ist aber gescheitert.
Warum eigentlich?
Das lag vor allem daran, dass es nicht ihre Stärke ist, die eigentliche organisatorische Aufbauarbeit zu leisten. Bei ihrer neuen Partei, dem BSW, hat sie nun die Unterstützung einiger ehemaliger Linken-Politiker, die diese Arbeit für sie übernehmen. Salopp formuliert: Diesmal hat sie mehr Leute an ihrer Seite, die Parteipolitik können.
Das klingt nach: So weit, so gut.
Das Potenzial auf dem Wählermarkt ist für ihre Partei auf jeden Fall da, das zeigen demoskopische Umfragen. Es ist aber die Frage, ob sie es schafft, diesen möglichen Wählern ein Angebot zu machen, das sie dann auch tatsächlich annehmen und das BSW wählen. Offenbar trifft ihr Politikangebot jedoch diesmal viel mehr einen Nerv als bei "Aufstehen".
In Sachsen, Brandenburg und Thüringen wird im Herbst gewählt. Warum kommt Wagenknecht mit ihrer Mischung dort so gut an? Füllt Sie eine Lücke?
Ja, eine Partei wie das BSW gab es vorher nicht. In der Politikwissenschaft ordnen wir Parteien auf einer gesellschaftspolitischen und einer ökonomischen Achse ein. Dabei besetzt das BSW das Feld, in dem es stark um soziale Gerechtigkeit, Umverteilung und staatliche Eingriffe in die Wirtschaft geht. Aber, und das ist der entscheidende Punkt, dies alles gilt, zugespitzt formuliert, nur für Deutsche. Gesellschaftspolitisch geht die Partei ins Konservative bis hin ins Autoritäre hinein. Das erkennt man daran, dass Wagenknecht gerade erst wieder Härte gegen Kriminelle forderte und letztlich auch daran, dass die Partei voll auf ihre Person zugeschnitten ist.
Aber linke und rechte Parteien hatten wir doch schon immer.
Aber nicht in dieser Melange. Linke Parteien sind in Deutschland auch gesellschaftspolitisch progressiv. Grüne und SPD setzen sich für Gleichheit auf verschiedenen Ebenen ein, beispielsweise für Rechte von Minderheiten, für die tatsächliche Gleichstellung von Mann und Frau. Sie schließen keine Bevölkerungsgruppen aus, wie es Rechtsaußen tut. Eine links-autoritäre Partei gab es in der deutschen Demokratie noch nicht. Da hat Wagenknecht eine Lücke erkannt.
Die AfD versucht doch auch, mit Sozialpolitik nur für Deutsche zu punkten.
Ja, auch die ursprünglich neoliberale AfD versucht besonders im Osten, die soziale Karte zu spielen. Doch ich glaube, die meisten Menschen nehmen ihr nicht so recht ab, dass ihr soziale Gerechtigkeit wirklich am Herzen liegt. Bei den Rechten steht ganz klar das Migrationsthema im Vordergrund, aber auch die Ablehnung der anderen Parteien oder der pluralen Demokratie insgesamt. Da trifft sie sich wieder mit Wagenknecht, die auch eine populistische Stoßrichtung erkennen lässt.
Wie äußert sich das?
Darin, dass es rhetorisch gegen die Etablierten, gegen die da oben geht. Ihre Demokratieverachtung wird aber wahrscheinlich nicht so weit reichen wie bei der AfD. Noch ist nicht klar, ob das BSW wie die AfD alle anderen Parteien für überflüssig hält, als "Altparteien" von gestern. Da ist vieles noch im Fluss. Ich erwarte, dass Wagenknecht ganz genau ausloten wird, was ihrer Formation am Ende die besten Wahlergebnisse bringt.
Ist das populistische Element nicht ganz zentral und ein Kernelement der Partei?
Das kann man so zugespitzt sagen. Sie sagt etwa, die Ampel mache die Demokratie kaputt oder sie sei die dümmste Regierung Europas. Das hätten sich Parteien früher selbst bei einer hitzigen Debatte so nie um die Ohren gehauen.
Auch wenn das BSW eine neuartige Partei ist, erinnert manches an die alte SPD. Immerhin ist der einstige Parteichef Oskar Lafontaine wieder vorne mit dabei - er ist ja auch Wagenknechts Ehemann. Oder ist das eine neue Linkspartei ohne "Wokeness" und Gendersternchen?
Beides nicht. Eine neue Linkspartei kann das BSW nicht sein, denn dann müsste sie sich universell gegen Diskriminierung einsetzen, für mehr Gleichheit und Gleichberechtigung auch von Minderheiten, gerade auch Menschen mit Migrationshintergrund. Zur alten SPD gibt es Ähnlichkeiten. Die SPD hatte immer schon einen starken konservativen Flügel. Denken Sie an den Seeheimer Kreis oder Köpfe wie Otto Schily oder Helmut Schmidt. Es gibt aber einen entscheidenden Unterschied: Die SPD hat sich nie "gegen das System" gestellt, es radikal hinterfragt. Wagenknecht macht aber genau das. Sie diskreditiert es, sie desavouiert es und verstärkt damit noch die Antisystem-Stimmung mancher Bevölkerungsteile.
Beim Gründungsparteitag waren erwartungsgemäß antiamerikanische und sehr DDR-freundliche Töne zu hören. Wird das BSW auch vor allem eine Ost-Partei sein?
Danach sieht es aus. Das ist vor allem ein Problem für die Linkspartei. Deren Klientel befindet sich ja vor allem im Osten. Dort verfangen Wagenknechts Ansichten zu Migration und allgemein ihre links-autoritäre Ausrichtung besonders. Für alte SED-Kader war es ja in der DDR kein Problem, für Sozialismus zu sein und gleichzeitig an der Grenze den autoritären Staat zu befürworten, also im Extremfall auf Menschen zu schießen, die lediglich ausreisen wollten.
Was heißt das für die Linke?
Das ist ein großes Problem für eine progressive Linkspartei. Ihr könnte ein großes Stück ihrer Wählerschaft wegbrechen. Im Westen wird sie es schwer haben, parlamentarisch vertreten zu bleiben, weil Grüne und auch die SPD diese Stelle im Parteiensystem schon besetzen.
Das Parteiprogramm des BSW hat nur vier Seiten und ist voller Allgemeinplätze. Noch wirkt vieles nebulös. Gehört das zur Strategie?
Das ist auf jeden Fall Teil der Strategie. Das kennen wir auch von anderen Parteien. Man äußert sich unscharf, um möglichst viele Menschen anzusprechen. Je konkreter man wird, desto eher droht die Gefahr, dass sich manche wieder abwenden. Wagenknecht möchte möglichst viele Menschen erreichen, durchaus auch im rechten Spektrum, in der Querdenkerszene und im verschwörungstheoretischen Milieu. Mit ihren diffusen Parolen gegen "das System" oder die Ampel könnte ihr das womöglich teils gelingen.
Die große Frage ist, ob das BSW der AfD Stimmen abjagt. Lässt sich das schon beobachten? Oder leidet nicht eher die Linke?
Ich könnte mir schon vorstellen, dass der eine oder andere, der aus politischem Frust, Protest und Unzufriedenheit der AfD seine Stimme gegeben hat, zur Wagenknecht-Partei wechselt. Dies betrifft vor allem jene, die selbst nicht rechtsextrem sind und Rechtsextremismus bei der AfD nur mehr oder weniger hingenommen haben. Die Frage ist auch, inwieweit das BSW Wähler erreichen kann, die sonst gar nicht mehr wählen gehen. Der Rechtspopulismus wird aber nicht verschwinden oder sich substanziell verkleinern.
Wäre es dennoch ein Grund zur Freude, nach dem Motto: Hauptsache die AfD ist geschwächt?
Womöglich hat die AfD durch das BSW keine Chance mehr, in den drei Ostländern als Erste ins Ziel zu gehen. Das wäre der politischen Symbolik sicherlich zuträglich. Das Regieren würde allerdings schwieriger. In Sachsen könnte es zur Extremsituation kommen, dass nur noch CDU, AfD und BSW im Landtag vertreten wären. Dass Grüne und SPD den Wiedereinzug nicht schaffen, ist durchaus eine Gefahr, gerade wenn die Anti-Establishment-Parteien stark mobilisieren. Dann müsste sich die CDU fragen, mit wem sie koaliert, welcher Partner das kleinere Übel für sie und die Demokratie wäre. Womöglich würde sie eine Koalition eingehen, die sie sich nie erträumt hätte, oder sich vom BSW in einer Minderheitsregierung tolerieren lassen.
Ist das BSW nun eher eine Gefahr oder eine Bereicherung für die Demokratie?
Ich wäre vorsichtig, von einer Bereicherung zu sprechen. Wir haben es beim BSW mit einer weiteren Anti-System-Partei zu tun, auch wenn noch nicht absehbar ist, wie weit deren Distanz zur pluralistischen Demokratie reicht. Unterm Strich nehmen die inneren Herausforderungen der Demokratie zu. Dass sie am Ende dank einer weiteren populistischen Partei die Gewinnerin sein wird, das wage ich zu bezweifeln.
Mit Benjamin Höhne sprach Volker Petersen
Quelle: ntv.de