
Für die Zweidrittelmehrheit, die Scholz braucht, stellt Merz gleich drei Bedingungen, die für Scholz kaum zu erfüllen sind.
(Foto: IMAGO/Christian Spicker)
Mehr als drei Stunden lang nutzen die Fraktionen die Haushaltsberatungen zur großen Aussprache. Oppositionsführer Merz nimmt zusammen mit anderen Oppositionsrednern die Bundesregierung genüsslich auseinander. Die liefert mit hausgemachten Problemen einfach zu viel Angriffsfläche.
Das erste Wort in der Generaldebatte des Deutschen Bundestags gehört dem Oppositionsführer und er nutzt es, um klarzustellen, dass er auch das letzte Wort beansprucht. Das letzte Wort darüber, ob die von Bundeskanzler Olaf Scholz kurz nach Beginn des russischen Angriffskriegs angekündigte Neuausrichtung der deutschen Sicherheitspolitik tatsächlich so kommen wird. "Wir werden hier nicht einen 100-Milliarden-Blankoscheck erteilen und Sie machen damit, was Sie wollen", sagt Unionsfraktionschef Friedrich Merz mit Blick auf die von Scholz angekündigte Sonderverschuldung zugunsten der Bundeswehrausstattung. Die als "Sondervermögen" bezeichnete Schuldenaufnahmen braucht nämlich die Zustimmung von zwei Dritteln des Bundestags. Ohne Stimmen aus der Unionsfraktion kann die Ampelregierung ihr Vorhaben daher nicht umsetzen.
Merz nennt gleich drei Bedingungen, die für Scholz kaum zu erfüllen sind. Erstens müsse das Geld ausschließlich in die Bundeswehr fließen, während in der Ampel auch über eine Verwendung für andere Themen wie Cyberabwehr debattiert wird. Zweitens müssten unabhängig vom "Sondervermögen" künftig Ausgaben in Höhe von 2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in den Verteidigungsetat fließen. Dafür hätte Scholz keine eigene Mehrheit. Drittens werde die Unionsfraktion nur so viel Ja-Stimmen stellen, wie die Ampel zum Erreichen der Zweitdrittel-Schwelle braucht. "Sie werden mit jedem einzelnen Angeordneten Ja sagen müssen zu dem, was hier beschlossen wird - mit jedem einzelnen", droht Merz, wohl wissend, dass in den Fraktionen von SPD und Grünen auch entschiedene Gegner von Scholz' Aufrüstungsplänen sitzen.
Man kann es, so wie die nachfolgenden Redner aus den Regierungsfraktionen, für unlauter halten, dass die Union in Zeiten des Krieges derart taktische Spiele mit der Regierung treibt, zumal in Verfassungsfragen. Aber es ist Olaf Scholz, der die Ampel in diese Abhängigkeit von der Union manövriert hat. Weil er drei Tage nach Russlands Überfall auf die Ukraine in der Sondersitzung des Bundestags Handlungsfähigkeit demonstrieren und einen möglichst spektakulären Plan verkünden wollte, den er aber zuvor nicht mit den Regierungsparteien durchgesprochen hatte. Weil er Geld für Aufrüstung ausgeben will, das er nicht hat, und die Schuldenbremse umgehen muss, an der die FDP unbedingt festhält. So kam die Idee eines im Grundgesetz verankerten "Sondervermögens" zur Welt. Eine Sturzgeburt, wie sich nun zeigt.
Orientiert an der Schmerzgrenze der FDP
Der Vorgang ähnelt dem Gesetzgebungsverfahren zur allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahren, die der Kanzler, sein Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach und die überwiegende Mehrheit der SPD-Fraktion unbedingt wollten, ursprünglich bis Mitte Februar. Weil mit dem kleinsten Koalitionspartner FDP ein gemeinsamer Gesetzentwurf der Regierung nicht zu machen war, verwies Scholz das Verfahren an den Bundestag. Dort werben nun Abgeordnete der Regierungsfraktionen um Unionsstimmen, damit zumindest eine optionale Impfpflicht ab 50 bis Mitte April mit möglichst breiter Mehrheit zustande kommt.
Die Zahl der Ampel-Probleme, die Oppositionsvertreter in der Generaldebatte genüsslich aufs Korn nehmen, lässt sich fortsetzen. Bei der Erneuerung der Corona-Paragrafen im Infektionsschutzgesetz in der vergangenen Woche habe die Ampel dem Bundestag "das Maximum an Zerrissenheit vorgeführt". Auch da präsentierten die Regierungsfraktionen einen an der Schmerzgrenze der FDP orientierten Kompromiss, mit dem der Kanzler sämtliche Ministerpräsidenten vor den Kopf stieß.
Und weiter: Nachdem die SPD schon in der vergangenen Woche weitere Beschlüsse zur Energiepreisentlastung für Verbraucher und besonders betroffene Unternehmen präsentieren wollte, wackelt inzwischen sogar eine ersatzweise für diese Woche angepeilte Lösung. Die neunköpfige Arbeitsgruppe aller drei Parteien ist bisher ohne Ergebnis. Der Koalitionsausschuss soll es heute Abend richten. Aufgrund der weit auseinanderliegenden Vorstellungen - SPD und Grünen lehnen vor allem die FDP-Idee des Tankrabatts ab - dürfte der Ausschuss bis weit nach Mitternacht um einen Kompromiss ringen. Bis ein Konzept steht, macht die Opposition weiter Stimmung gegen das zögerliche Handeln der Ampel.
Zu wenig Geld, zu viele innere Widersprüche
Weitere Koalitionskonflikte kündigen sich an: Die Aufteilung und Versorgung der aus der Ukraine geflüchteten Menschen werde für Deutschland zu einer "Jahrhundertaufgabe", merkt CSU-Politikerin Dorothee Bär zu Recht an. Dass die Bundesregierung diese Dimension noch nicht in Gänze erfasst hat, ist nicht nur Bärs Eindruck. Der Bund wird Ländern und Kommunen erneut mit gigantischen Summen beistehen müssen, während andere sozialpolitische Maßnahmen aus dem Koalitionsvertrag in immer weitere Ferne rücken, weil die Ressourcen endlich sind.
Linksfraktionschef Dietmar Bartsch wirft der Ampel eine "Politik der sozialen Kälte" vor, weil das erste Entlastungspaket der Ampel 20 Euro mehr für 2,9 Millionen in Armut lebende Kinder vorsieht, wo Sozialverbände einen Mehrbedarf von 78 Euro nennen. Eine alle sozialpolitischen Angebote bündelnde und in der Summe höher als bislang ausfallende Kindergrundsicherung, die im Koalitionsvertrag steht, sei in Lindners Haushalt noch nicht einmal veranschlagt. Dass dieses Vorhaben derart wackelt, sorgt derzeit nicht nur bei den Grünen für viel Frust.
So bietet die Ampelkoalition, das wird in der Generaldebatte deutlich, reihenweise Angriffspunkte. Fast immer sind das fehlende Geld und der mangelnde Konsens in der Ampel über neue Finanzierungswege ursächlich für die inneren Widersprüche der so ambitioniert gestarteten Regierung. Weil sie das aber nicht zugeben will und stattdessen mit Schatten-, Neben- und Nachtragshaushalten hantiert, hat es die Opposition denkbar leicht, die Bundesregierung aufs Korn zu nehmen.
Dabei müsste auch Friedrich Merz einmal die Frage beantworten, wie der Bund all die dringend anstehenden Aufgaben - von der Bewältigung der Folgen des Ukraine-Krieges über die Instandsetzung der Bundeswehr bis hin zum beschleunigten Umbau der Energieversorgung - stemmen soll bei sinkendem Steueraufkommen und unter Einhaltung der Schuldenregel. Das ist der eigentliche Elefant im Raum, über den in der Generaldebatte im Bundestag aber nicht gesprochen wird, weil die Koalition so viel andere Themen bietet. Wenn die Ampel sich endlich ehrlich machen würde, fiele es ihr womöglich leichter, das Gleiche von CDU und CSU zu verlangen.
Quelle: ntv.de