Person der Woche

Person der Woche: Wladimir Putin Ist Putin jetzt ernsthaft bereit zu Friedensgesprächen?

IMG_ALT
00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos

Es kommt Bewegung in die Friedensdiplomatie. Sowohl die Ukraine als auch Russland signalisieren Gesprächsbereitschaft. Bundeskanzler Scholz sieht eine Chance. Der Kreml lässt wissen, es komme nun auf die USA an und stellt Bedingungen. Der Einstieg in den Kriegsausstieg könnte nahen.

Olaf Scholz kann noch überraschen. Der Bundeskanzler kündigt im ZDF erstmals offen Friedensverhandlungen mit Russland an: "Ich glaube, das ist jetzt der Moment, in dem man auch darüber diskutieren muss, wie wir aus dieser Kriegssituation doch zügiger zu einem Frieden kommen, als das gegenwärtig den Eindruck macht", sagt Scholz im Sommerinterview. Das kommt unerwartet, zumindest für die breite Öffentlichkeit.

Für die diplomatischen Kreise gilt das nicht: Hinter den Kulissen ist in den vergangenen Tagen mächtig Bewegung in den Einstieg zu Friedensgesprächen gekommen. Indien, China, Ungarn und die Türkei waren diplomatisch sehr aktiv. Sowohl in Kiew als auch in Moskau scheint die Einsicht gereift, dass man den Krieg nun besser in politische Verhandlungen münden lassen sollte.

Wien will Gastgeber sein

Wörtlich sagt Putin: "Wenn es den Wunsch nach Verhandlungen gibt, werden wir uns nicht verweigern." Auf dem Wirtschaftsforum in Wladiwostok präzisierte er: "Sind wir bereit, mit ihnen zu verhandeln? Das haben wir nie abgelehnt, aber nicht auf der Grundlage einiger flüchtiger Forderungen, sondern auf der Grundlage der Dokumente, die in Istanbul vereinbart und paraphiert wurden." Die neue Position Putins ist bemerkenswert, denn vor Kurzem ließ er noch verlautbaren, der ukrainische Einmarsch in Kursk mache Verhandlungen unmöglich.

In Wien interpretiert man die Zeichen der vergangenen Woche so, dass nun Waffenstillstandsverhandlungen unmittelbar beginnen könnten. Bundeskanzler Karl Nehammer geht daher weiter als Olaf Scholz und bietet an: "Österreich wird bereit sein, einen gerechten und dauerhaften Frieden auf der Grundlage des Völkerrechts zu unterstützen und als Gastgeber der Verhandlungen als Sitz der OSZE zu fungieren." Nehammer hat mit dem Premierminister Indiens, Narendra Modi, engen Kontakt und mit diesem eine diplomatische Friedensinitiative vorbereitet.

Drei Treiber des Stimmungswandels

Aus diplomatischen Kreisen ist zu hören, dass es drei Gründe für die plötzliche Friedensbereitschaft beider Seiten gebe. Zum einen ist die militärische Lage in einem grauenhaften Stellungskrieg festgefahren. Trotz enormer Kraftanstrengungen, vieler Opfer und investierter Milliardensummen bewegt sich die Front kaum. Während Russland seit Jahresbeginn einige Kilometer an der Donbass-Front gewinnen konnte, hat die Ukraine mit der Kursk-Offensive ähnlich großes Territorium innerhalb Russlands erobert. Keine Seite kann sich einen militärischen Durchbruch erhoffen.

Zweitens zeigt sich auf beiden Seiten Erschöpfung. Der Rückhalt für eine Fortführung des Krieges schwindet sowohl in Russland als auch in der Ukraine. Zum ersten Mal seit sechs Monaten sei die Zahl der Befürworter von Verhandlungen deutlich gestiegen, berichtet das russische Meinungsforschungsinstitut Lewada. Die politischen Führungen spüren schwindende Akzeptanz und sondieren Exit-Strategien.

Und drittens machen sich sowohl die Verbündeten Russlands (vor allem China und Indien) als auch die der Ukraine zusehends stark für eine Friedenslösung. Das entscheidende Moment liefert der amerikanische Wahltermin im November, weil in den USA der Rückhalt für die militärische Unterstützung der Ukraine schwindet. "Es hat das Pokerspiel um den Einstieg in den Ausstieg begonnen", erklärt ein hochrangiger NATO-Diplomat in Brüssel.

Verhandlungsrahmen strittig

Dazu gehört auch die Frage, wer wo unter welchen Bedingungen zu den Friedensgesprächen einladen soll. Die Ukraine möchte ihr Format, das in der Schweiz (Bürgenstock-Konferenz) begonnen hat, nun unter Einbeziehung Russlands fortsetzen. Russland hingegen sucht einen anderen Rahmen: Putin schlägt vor, dass die BRICS-Mitglieder China, Brasilien und Indien als Vermittler auftreten könnten. Russland hat den Vorsitz dieser Gruppe von Schwellenländern inne, zu der auch Südafrika gehört. Und Moskau wartet auf ein Signal aus Washington, dass tatsächlich Waffenstillstandsverhandlungen beginnen können.

Putins Sprecher Dmitri Peskow formuliert das so: "Was eine friedliche Beilegung des Konflikts in der Ukraine betrifft, zeichnen sich bislang keine greifbaren Konturen ab." Man höre Erklärungen aus verschiedenen europäischen Ländern. "Aber wir hören dazu nichts aus dem Land, das diesen Prozess steuert, das den kollektiven Westen dirigiert."

Putins Außenminister fordert ebenfalls ein neues Format. In Riad erklärte er zum Wochenauftakt bei einem Treffen mit arabischen Amtskollegen des Golfkooperationsrats: "Der Westen will nicht ehrlich verhandeln." Westliche Staatschefs klammerten sich an die für Moskau unannehmbare Initiative des ukrainischen Präsidenten Selenskyj. Lawrow macht zugleich eine Tür für Kompromisse auf: Es gehe Russland nicht um Territorien. "Wir haben niemals fremden Boden gewollt, wir wollten nur, dass man den Menschen, die Teil der russischen Welt, Kultur, Sprache, Geschichte und Religion sind, human begegnet, wie dies das internationale Recht fordert", sagt Lawrow. Er signalisiert damit, dass die eroberten Gebiete bei einer Friedensverhandlung auch einen gesonderten Status erhalten könnten - obwohl der Kreml die vier ukrainischen Regionen Luhansk, Donezk, Saporischschja und Cherson qua Verfassungsänderung zu russischem Gebiet erklärt hat.

Kreml holt Istanbul-Papier aus der Schublade

Moskau verweist auf die Grundlage der in Istanbul vor zweieinhalb Jahren - kurz nach Kriegsausbruch - vorvereinbarten Dokumente. Dabei stand im Raum, die Frontlinie für einen Zeitraum von 15 Jahren einzufrieren. Und über den Status der besetzten Gebiete in der Ostukraine zu verhandeln. Kiew war demnach mit einer "dauerhaften Neutralität" einverstanden. Das Land würde blockfrei bleiben und auf die Entwicklung von Atomwaffen verzichten. Dafür müsste es internationale Sicherheitsgarantien geben.

Für Kiew ist diese Gesprächsgrundlage heute nicht mehr hinnehmbar. Die damaligen Vereinbarungen waren überhaupt nur unter dem Eindruck eines schnellen Sieges Russlands zustande gekommen. Als sich im März zeigte, dass die Ukraine der Invasion standhalten könnte und die Massaker in Butscha bekannt wurden, waren die Istanbul-Vereinbarungen aus ukrainischer Sicht obsolet. Die Ukraine will nun für einen Waffenstillstand zumindest die Freiheit erwirken, in EU und NATO aufgenommen zu werden.

In jedem Fall sprechen beide Kriegsparteien öffentlich über das Verhandeln. Beide sind aktiv dabei, Verhandlungspositionen aufzubauen. Die militärisch waghalsige Kursk-Offensive wird von Diplomaten dahingehend verstanden, dass Kiew sich ein Faustpfand für die beginnenden Verhandlungen sichern will.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen