Bedrohung durch Saudi-Milliarden Ein dunkler Schatten legt sich über den Tennissport
16.07.2023, 07:16 Uhr
Wie werden die saudischen Investitionen den Tennissport verändern?
(Foto: IMAGO/Action Plus)
Saudi-Arabien plant Milliardeninvestitionen ins Tennis, in Wimbledon laufen bereits Gespräche. Droht der allmächtige Kronprinz Mohammed bin Salman die nächste Sportart zu kapern? DTB-Präsident Dietloff von Arnim warnt, der Tennissport müsse nun "zusammenstehen".
In Saudi-Arabien gab es schon immer die königliche Familie und die Superreichen, die Mittelschicht und die armen Massen - alle gesellschaftlich und kulturell streng getrennt. Obwohl die Regierung nur selten Statistiken veröffentlicht, wird geschätzt, dass mehr als 20 Prozent der 32,2 Millionen saudischen Bürgerinnen und Bürger in Armut leben. Viele von ihnen sind Frauen oder Mitglieder von Haushalten, die von Frauen geführt werden. Etwa sieben Millionen haben nicht mal ein Bankkonto. Das harte Vorgehen gegen Frauen, Andersdenkende und freie Meinungsäußerung verschlimmert die Situation zusätzlich.
Die Schlüsselbestandteile für Instabilität waren im Königreich schon lange vorhanden. Und der 2017 zum Kronprinzen ernannte Mohammed bin Salman - kurz MBS - hatte genau beobachtet, was im Arabischen Frühling in anderen Ländern passiert war. Auch deshalb beschloss MBS mit der "Vision 2030", Saudi-Arabien zu transformieren, indem es vom Öl wegkommt. Zwar sieht der Plan vor allem ehrgeizige Schritte zur Diversifizierung der Wirtschaft vor, indem der private Sektor ausgebaut und der öffentliche Sektor verkleinert wird (das Problem der Armut wird übrigens in keiner Weise erwähnt), aber auch Sport spielt eine große Rolle. Und so kommt auch der Tennissport ins Spiel.
Heute ist der 37-jährige MBS, seit 2022 auch Premierminister des Landes, einer der mächtigsten Männer auf dem Planeten - und schickt sich an, mit dem schier unerschöpflichen Public Investment Fund (PIF), einem Staatsfonds des Königreichs, die Welt des Sports für immer zu verändern. Boxsport, Formel 1, Golf, eSports, Snooker und Reitsport haben schon den Weg geebnet. Als der Kampf um den Schwergewichtstitel im Boxen zwischen Anthony Joshua und Andy Ruiz Jr. im Dezember 2019 die weltweiten Scheinwerferlichter auf Saudi-Arabien richtete, war die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi, die von MBS angeordnet worden sein soll, gerade einmal ein Jahr her.
DTB-Präsident: "Sinnvolle Entscheidung treffen"
In diesem Sommer macht sich das Königreich über Fußball und Tennis her. Während nach Cristiano Ronaldos Wechsel im Januar 2023 in die Saudi Professional League nun eine Armada von Fußballstars dem Lockruf des Geldes folgt, legt sich der Schatten ganz langsam auf den Tennissport. Die Gespräche über ein Engagement des PIF laufen noch. "Der Deutsche Tennis-Bund ist bisher nicht von den Saudis oder vom Fonds in irgendeiner Form angesprochen worden, wir haben keinen direkten Kontakt gehabt", sagt zwar DTB-Präsident Dietloff Arnim ntv.de am Rande des Wimbledon-Turniers in London.
Generell aber scheinen saudi-arabische Vertreter im fragmentierten Tennissport mit ATP, WTA, Weltverband ITF und den vier Major-Turnieren keine verschlossenen Türen eintreten zu müssen. Sie treffen auf offene Ohren. "Es gibt hier in Wimbledon Gespräche und es heißt, dass die Saudis mit einem Angebot näherkommen", sagt Arnim dazu. Das zerstückelte Tennis müsse bezüglich dieser vielleicht auf Jahre wegweisenden Entscheidungen "mehr zusammenstehen", um letztendlich "eine sinnvolle Entscheidung" treffen zu können.
Andrea Gaudenzi, Chef der Männertour ATP, hatte zuletzt in einem Interview mit der "Financial Times" bestätigt, dass es "positive Gespräche" mit dem PIF gäbe. Prompt folgte Zuspruch. Australian-Open-Boss Craig Tiley erklärte, dass dem Tennis keine Entzweiung wie im Golf drohe, weil schlichtweg eine "eine Investition in die bestehende Struktur des Spiels" kommen würde. Naiv? Im Fußball und Golf war an dieser Stelle noch lange nicht Schluss. Will die Monarchie auch den Tennissport kapern? Welche Arten von Zusammenarbeit werden wirklich angestrebt und inwiefern kann das die Traditionen des Sports bedrohen? Das wird die Zukunft zeigen. Die ATP und die saudische Botschaft in Berlin reagierten auf eine Anfrage von ntv.de mehrere Tage vor Veröffentlichung bisher nicht.
Saudische Tennis-Superliga?
Australiens Tennisstar Nick Kyrgios, der dieses Jahr in Wimbledon aufgrund einer Verletzung nicht antreten konnte, aber im Vorjahr im Finale stand, sagte auf Twitter schon mal seine Teilnahme zu und erklärte: "Wir werden so bezahlt, wie wir es verdienen." Carlos Alcaraz, Spaniens Wunderkind und Weltranglistenerster, der am Abend im Finale gegen Novak Djokovic um die Krone in London kämpft, hat zumindest "keinerlei Zweifel", dass es bald ein ATP-Turnier in Saudi-Arabien geben wird.
"Ich glaube das auch und das ist ein berechtigter Anspruch", sagt DTB-Präsident Arnim. "Man kann sich ja schlichtweg ein ATP- oder WTA-Turnier kaufen und so gibt es im arabischen Raum auch bereits Damen- und Herren-Turniere. Wieso sollte das nicht auch in Saudi-Arabien der Fall sein?" Wenn es tatsächlich bei einem Turnier im Königreich bliebe, sehe er "überhaupt keine Gefahr" für den Tennissport. Es liege an ATP und WTA, "zu überlegen, wie weit geht man oder wie weit geht man nicht".
Möglich wäre nicht nur ein Turnier im Königreich, sondern etwa auch eine eigene, Saudi-finanzierte Tour, wie es auch im Golf der Fall war. So wie der Golfstaat es mit der Super League im Fußball plante. Diese würde die International Tennis Federation (ITF), wo DTB-Präsident Arnim den umstrittenen Boss David Haggerty, ablösen will, die ATP- und WTA-Touren und sogar die vier Grand-Slam-Turniere weitaus mehr bedrohen. Man stelle sich vor: Die besten Profis schlagen nicht mehr in Wimbledon auf, sondern beim Super-Turnier in Dschidda, weil sie dort das Fünffache verdienen. Klingt unrealistisch? Noch vielleicht, aber wer weiß, was in zehn Jahren ist. "Das finanzielle Angebot im arabischen Raum ist für die Profis natürlich immer interessant", sagt Arnim dazu.
Brot und Spiele
Und Vizechampion Ons Jabeur aus Tunesien ist der Meinung, die Zeit sei reif für das Golfland, in ihren Sport zu investieren, und sie würde "zu 100 Prozent" an Turnieren der Damentour WTA teilnehmen, wenn dies den Spielerinnen zugutekäme. Der Vorsitzende der WTA, Steve Simon, sagte, dass es noch "große Probleme" mit Saudi-Arabien als potenziellem Gastgeber für WTA-Veranstaltungen gebe und dass der Dachverband des Frauentennis noch keine Entscheidungen getroffen oder Verhandlungen mit dem Land aufgenommen habe. Dennoch ziehe man eine Zusammenarbeit in Erwähnung.
Der Tennissport wittert eine Chance. Und Potenzial. Schließlich braucht selbst Tennis Geld, der Davis Cup etwa sucht nach dem geplatzten Deal mit Gerard Piqués Firma Kosmos neue Financiers. Der Sport ist in Saudi-Arabien bisher kaum verbreitet und wenn der lukrative dortige Markt von allen anderen erobert wird, will man natürlich ein Stück vom Kuchen abbekommen. 63 Prozent der 32,2 Millionen Saudis sind 29 Jahre alt oder jünger. Das ist eine große Gruppe, die entertaint werden will, weil sie zunehmend über soziale Medien Zugang zur westlichen Welt erhält, und die nach Abwechslung und Events dürstet. Das weiß auch MBS. Er erkennt nicht nur die Gefahr der Rebellion, sondern weiß auch, wie er die jungen Bürgerinnen und Bürger mit Ronaldo und bald vielleicht Alcaraz und Jabeur unterhalten kann, um sie von den Problemen im Land abzulenken.
Brot und Spiele, es funktioniert noch immer. Für die Profis stellt sich eine moralische Frage: Inwiefern lasse ich mich für die Zwecke der saudischen Monarchie instrumentalisieren? Einige wenige kritische Stimmen gibt es. Der zweimalige Wimbledon-Sieger Andy Murray sagte, er werde es sich zweimal überlegen, ob er in dem Land spielen wolle, nachdem er sich in der Vergangenheit geweigert hatte, dort an Exhibition-Events teilzunehmen.
Legenden kritisieren Saudi-Verhandlungen
Tennislegende John McEnroe bekräftigte, Tennis sollte sich nicht um saudische Investitionen bemühen. "Ich weiß nicht, warum zum Teufel der Tennissport nach dem Debakel, das man beim Golf beobachten konnte, plötzlich mit den Saudis reden sollte. Für mich ist schon komisch, dass das Thema jetzt überhaupt zur Sprache kommt." Eine andere Ikone ging noch einen Schritt weiter. Das Geld aus Saudi-Arabien anzunehmen, wäre ein großer Fehler, sagte Chris Evert, die in ihrer Antwort auf diese Möglichkeit unmissverständlich war. "Ich denke, das ist Sportswashing", so die 18-malige Grand-Slam-Siegerin. "Ich glaube nicht, dass wir dort hingehen müssen."
Wahr ist aber auch: In China werden ATP- und WTA-Turniere ausgetragen und kaum jemand regt sich darüber auf. Russland hat sie ebenfalls, auch wenn sie seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine ausgesetzt sind. Nimmt man die westliche Brille ab, erkennt man, wie viele vom Rest der Welt die Sport-Events in Saudi-Arabien bejubeln und sich auch über Tennisturniere freuen würden. Auch wenn die Sportart am Golf bisher noch kaum jemanden interessiert.
Die Veränderungen im Tennissport, sie werden kommen. Auf welche Art auch immer. Ob sie die Existenz der Strukturen bedrohen, wird sich zeigen. Die Millionen Saudis, die in Armut leben, die Dissidenten in den Gefängnissen, die unterdrückten Frauen, diejenigen, die kein eigenes Bankkonto besitzen - sie alle können mit Mohammed bin Salmans Plänen und mit Alcaraz und Jabeur im eigenen Land aber genauso wenig anfangen wie mit Cristiano Ronaldo. Sie kämpfen um ihre eigene Existenz.
Quelle: ntv.de