
Nein. Diese Flammen sind nicht gemeint.
(Foto: picture alliance / nordphoto GmbH / Engler)
Saudi-Arabien kauft den Fußball, DAZN erhöht schon wieder die Preise, Norwegens Fußball-Präsidentin Lise Klaveness warnt vor der Zerstörung des Spiels, Hertha-Boss Kay Bernstein ruft die Revolution aus, der Stadtnachbar 1. FC Union zieht ins Olympiastadion und der BVB zerlegt sich über einen Transfer. Die Gleichzeitigkeit der Dinge in dieser Sommerpause 2023 ist dazu geeignet, zu glauben, dass alles bald in Flammen stehen wird. Das mag übertrieben sein, doch etwas passiert in diesem Sommer, in dem sich der Fußball so vielen gesellschaftlichen Fragen stellen muss, dass das eigentliche Spiel in Vergessenheit gerät.
Kommen Sie mit auf eine Reise in die zerbröckelnde Welt des Fußball-Sports und lassen sich einige dieser Fragen von ntv.de beantworten.
Cristiano Ronaldo, Karim Benzema, Roberto Firmino: Die Weltauswahl spielt jetzt in der Wüste. Was zum Teufel heckt Saudi-Arabien da aus?
Sie wollen nichts anderes als eine der bekanntesten Ligen der Welt werden. Das ist ihnen bis hierhin schon gut gelungen. Immer wieder fällt der Name des Königreichs. Weil sich alle wundern. Dabei liegt dem Konzept der Saudi Pro League ein sehr solider Plan zugrunde. Mit dem Kauf vieler Spieler der englischen Premier League greifen sie sofort ins Top-Regal, dazu spicken sie die Liga mit ehemaligen Weltfußballern und sorgen so für noch mehr Aufmerksamkeit.
Ist Saudi-Arabien das nächste China?
Saudi-Arabien hat bei der Weltmeisterschaft in Katar Argentinien geschlagen. Vollkommen verdient. China war nicht bei der WM. Wir sollten das, was da unten passiert, schon genauer beobachten. Die ersten Experten sprechen - noch hinter vorgehaltener Hand - davon, dass eines der Ziele des Königreichs die FIFA ist. Die soll irgendwann aus der Schweiz in die Wüste übersiedeln. Als Indiz dafür werden die regelmäßigen Besuche des Präsidenten Gianni Infantino herangezogen. Der jettet regelmäßig, mal in offizieller und mal in inoffizieller Funktion, dorthin. In China wurde er nicht so oft gesehen.
Ist das noch "Sportswashing"?
Während wir hier in Europa noch von "Sportswashing" reden, hat sich das Königreich längst davon verabschiedet. Sie wissen, dass sie nicht überall gefeiert werden. Sie wissen, dass sie immer wieder und gerade aus dem Westen auf die Menschenrechtssituation im Land und den Mord an dem Regierungskritiker Jamal Kashoggi hingewiesen werden. Es ist nur so: Europa ist ihnen egal. Die Investitionen in den Sport und die damit einhergehende Aufmerksamkeit überwiegen nach zahlreicher Experten die Kritik. Es ist zudem eine Art oktroyierter Gesellschaftsvertrag mit der eigenen jungen Bevölkerung. Die bekommt die Helden, die sie verlangt, und verzichtet dafür auf Proteste. Denn die Erinnerungen an den Arabischen Frühling sind in Saudi-Arabien noch präsent. Das soll verhindert werden. Mit allen Mitteln, auch mit denen des Sports.
Aber trotzdem läuft das Königreich doch Gefahr, durch diese Strategie international noch mehr an Ansehen zu verlieren.
Das "Soft Disempowerment", wie es heißt, wird dort nicht als wirkliche Gefahr wahrgenommen, wird erzählt. Der Sport ist hier Teil einer geopolitischen Strategie, die nach dem Willen der Herrscherfamilie auch aufgrund der Turbulenzen in der Welt zu noch mehr Macht führen wird. Der nicht unumstrittene Ökonom Simon Chadwick sagt: "Amerika kämpft ums Überleben, Europa ebenso und China hat sich nach der Pandemie noch nicht erholt, Saudi-Arabien will in diese Lücke stoßen." Das könnte also auch der Plan sein.
Aber warten Sie mal: Auswirkungen auf die Bundesliga hat das doch ohnehin nicht? Die könnte doch vielmehr davon profitieren, dass die englische Liga "angegriffen" wird, wenn man es so sagen will.
Kurzfristig ist das korrekt. Aber langfristig dürften die Bemühungen der saudischen Pro League auch Auswirkungen auf die ohnehin stockenden Internationalisierungspläne der Bundesliga haben. Dort wurde zuletzt gegen den Einstieg eines Investors gestimmt. Der hätte der DFL, den 36 organisierten Klubs der ersten beiden Ligen, rund zwei Milliarden Euro gebracht, die wiederum zum Teil für die Auslandsvermarktung der Liga hätte eingesetzt werden sollen. Das passiert nun nicht. Hans-Joachim Watzke sprach im Anschluss davon, dass einigen in der Liga die Wettbewerbsfähigkeit nicht so wichtig sei. Es ging dort natürlich um internationale Sichtbarkeit.
Aber in Europa wird die Pro League aus der Wüste doch keine Rolle spielen!
Die Welt besteht nicht nur aus Europa, auch nicht die Fußball-Welt. Auf anderen Märkten wird in Zukunft die Frage aufkommen, ob das Spiel Darmstadt gegen Augsburg oder Hoffenheim gegen Heidenheim die Investitionen wert ist oder ob nicht besser die mit Öl-Milliarden befeuerte Superstar-Liga aus Saudi-Arabien übertragen werden soll.
National genießt die Bundesliga noch Ansehen. Nur deswegen kann DAZN die Preise schon wieder die Preise erhöhen. Ein komplettes Abo für Bundesliga und Champions League wird beinahe 45 Euro im Monat kosten.
Da stellt sich schon die Frage, wer auch das in Deutschland zu diesem Preis noch sehen will. Parallel dazu läuft die Liga in die nächste Verhandlungsrunde. Die aktuellen Verträge laufen im Sommer 2025 aus. Bald werden die TV-Rechte neu verhandelt, von einer neuen DFL-Führung. Die unter Christian Seifert geschlossenen Verträge in Höhe von insgesamt 4,4 Milliarden Euro für vier Jahre und das inmitten der Corona-Pandemie waren ein großer Erfolg. Ob dieser zu wiederholen ist, werden die nächsten Monate zeigen. Sicher ist das nicht.
Das erwähnte auch Hertha-Präsident Kay Bernstein im Interview mit ntv.de. Der 42-Jährige rief dazu noch gleich die Revolution im deutschen Fußball aus. Wie waren die Reaktionen darauf?
Es ging unter anderem um die Frage, ob eben jener Bernstein überhaupt dazu geeignet ist, die Revolution auszurufen. Weil er einem Verein vorsteht, der 374 Millionen Euro in Luft aufgelöst hat und sich neuerdings in der zweiten Liga wiederfindet. Während die großen Klubs, wie zu hören war, durchaus angefasst waren, äußerten sie sich offiziell nicht dazu. Aber auch aus den Vereinen, die an einer Revolution Interesse haben könnten, kam nichts. Es schien fast so, als ob man sich nicht noch mit dieser Thematik beschäftigen wolle.
Weil alle Klubs ohnehin immer mit sich selbst beschäftigt sind.
Das mag Teil der Erklärung sein.
Werfen wir einen Blick in die Liga. Union Berlin trägt die Spiele in der Champions League im ungeliebten Berliner Olympiastadion aus. Die Fans sind nicht alle begeistert.
Weil es für die Alte Försterei, die bald nicht mehr so sein wird, wie sie jetzt ist, und die Fans von Union die Krönung gewesen wäre, wenn sie eben dort in ihrer Heimat gespielt hätten. Weil die Alte Försterei selbst Manchester City einen Schrecken einjagen kann. Doch es ist anders: Union ist die neue Nummer eins in Berlin. Der Klub will alle Fans mitnehmen. Es ist auch eine Frage der Finanzen. Ein ausverkauftes Stadion im Westend bringt nach Abzug aller Kosten mehr Geld. Wir müssen davon ausgehen, dass die Eisernen kein Dauergast in der Königsklasse sein werden, es sei denn, sie ringen sich dazu durch, die Alte Försterei wirklich für immer zu verlassen. Dann könnten sie vor vielleicht auch in der Bundesliga vollen Rängen das Olympiastadion zur neuen Heimat machen. Damit würden sie das Olympiastadion erwecken und der Hauptstadt einen neuen Top-Klub schenken. Hertha hat diese Chance eindrucksvoll verspielt. Für Union aber ist jetzt eine Abzweigung erreicht: Wollen sie sich auch neuen Fans öffnen oder in der Zeit des Booms den Heranwachsenden ihren Klub präsentieren, ganz ohne durch die Umstände erzwungener Verknappung der Eintrittskarten?
Das klingt nach Hirngespinsten. Aber vielleicht sieht so sogar Bundestrainer Hansi Flick einmal einen Spieler für die DFB-Elf. Dort kam Union Berlin bislang noch nicht vor.
Das ist korrekt. Es wird kaum der Grund für die aktuelle Krise des DFB sein. Der ehemalige Bayern-Trainer hat nach einem furiosen Start gegen unterklassige Gegner bald an den Fußball der letzten Tage von Joachim Löw angeschlossen. Ein Jahr vor der EM im eigenen Land ist die Euphorie noch eine sehr eingeschränkte. Die Vorfreude hält sich laut einer kürzlich veröffentlichten Studie des renommierten Fanforschers Harald Lange in überschaubaren Grenzen, fast alle Befragten sprechen von einem Identifikationsverlust mit der Nationalmannschaft, da konnte auch das Comeback von Rudi Völler nichts dran ändern.
Rudi Völler wurde von einer Task-Force um BVB-Boss und DFB-Vize Hans-Joachim Watzke überraschend zu einer Rückkehr aus dem Ruhestand überredet. Eine von mehreren unglücklich wirkenden Entscheidungen Watzkes in letzter Zeit. Den Transfer des Wolfsburgers Felix Nmecha setzte der Verein gegen alle Widerstände durch. Die Fans werfen dem 22-Jährigen Homo- und Transphobie vor.
Sie begründen das vor allen Dingen mit zwei Postings im Internet. Der Spieler soll diese Vorwürfe im direkten Gespräch zurückgewiesen haben, der Klub hat ihn verpflichtet und sich damit weit aus dem Fenster gelehnt. Doch die Proteste nicht nur der queeren Community reißen nicht ab. Von der rechten Seite hingegen gibt es Beifall. Der BVB hofft darauf, dass Menschen sich ändern. Einige Fans glauben nicht daran. Alles ist ein Kampf dieser Tage. Und es gibt kaum noch gangbare Wege. Es ist kompliziert.
Wie alles, was Sie hier schildern.
Weil die Welt des Fußballs permanent in Flammen steht. Weil dieses Spiel trotzdem so viele Menschen berührt, dass eben all diese Themen in großer Runde debattiert werden, weil sie nicht nur den Fußball betreffen, sondern immer auch die Diskussionen der Gesellschaft aufnehmen und vorantreiben.
Ein Spiel, das nicht in falsche Hände gelangen darf, sagte Lise Klaveness, die Präsidentin des norwegischen Verbands, im Interview mit ntv.de.
Dem kann man uneingeschränkt zustimmen. Das Problem aber ist, wir wissen nicht einmal ganz genau, was diese falschen Hände sind und ob wir das entscheiden dürfen.
Quelle: ntv.de