
Michael und Corinna Schumacher.
(Foto: imago images/Motorsport Images)
Vor zehn Jahren ist Michael Schumacher beim Skifahren folgenschwer gestürzt. Der Formel-1-Rekordweltmeister überlebt, zieht sich jedoch gänzlich aus der Öffentlichkeit zurück. Trotzdem ist der 54-Jährige noch vielfältig präsent. Dafür gibt es gute Gründe.
Die Worte von Mick Schumacher hallen nach. Weil sie so eindrücklich sind, so nachvollziehbar. Aber auch so selten. "Ich würde alles aufgeben, nur für das", sagte der 24-Jährige in einer Netflix-Doku, die sich mit der einzigartigen Formel-1-Karriere von Michael Schumacher beschäftigte. Und jenem schicksalhaften Tag in den französischen Alpen, jenem 29. Dezember 2013. Seitdem kaum noch etwas ist, wie es einmal war.
Mit dem "Das" meint Mick Schumacher ein einfaches Gespräch mit seinem Vater: "Das wäre so cool." Weil er davon ausgeht, "dass Papa und ich uns auf eine andere Art und Weise verstehen würden jetzt." Weil sie jetzt beide in der Formel 1 aktiv waren, aber auch "einfach weil wir in einer ähnlichen Sprache sprechen", sagt Mick Schumacher, "diese Motorsportsprache". Weil sie schlicht "viel mehr zu bequatschen hätten".
Es sind Worte, die einen kleinen Einblick erlauben, wie stark sich das Leben des Rekordweltmeisters und seiner Familie seit dem Skiunfall in Méribel heute vor zehn Jahren verändert hat. "Natürlich ist es so, dass nach dem Unfall die Erfahrungen, Momente, die viele mit ihren Eltern erleben, nicht da sind oder weniger da sind", so Mick Schumacher weiter.
"Abscheulicher" Vorfall im Krankenhaus
In der "Tagesschau" ist Schumachers lebensbedrohliche Verletzung damals die erste Meldung: Mit dem Kopf ist er auf einem Stein aufgeschlagen, der Helm rettet ihm den Ärzten zufolge das Leben, kann ein schweres Schädel-Hirn-Trauma jedoch nicht verhindern. Der damals 44-Jährige wird ins Krankenhaus geflogen, mehrfach operiert, ins künstliche Koma verlegt. Monatelang bleibt er in stationärer Behandlung und gewinnt den Kampf ums Überleben.
Am Tag nach dem Unfall bedankt sich die Familie bei den Ärzten, Ehefrau Corinna richtet sich auch an die "vielen Menschen aus der ganzen Welt, die ihr Mitgefühl ausgedrückt und beste Wünsche für Michaels Genesung ausgedrückt haben". Schumacher ist einer der wenigen globalen Sporthelden aus Deutschland, sein Name steht weit über die Bundesrepublik hinaus für viele synonym für die Formel 1. Schon damals bittet die Familie darum, die Privatsphäre des Schwerverletzten zu achten.
Denn am Krankenhaus in Grenoble versammeln sich nicht nur Fans, Bekannte und Angehörige, sondern auch Journalisten aus aller Welt. Während der Großteil von ihnen den Wunsch der Familie respektiert, setzen sich einzelne darüber hinweg. Seine langjährige Managerin Sabine Kehm schildert "interessante Vorfälle" in der Klinik, unter anderem diesen: "Anscheinend gab es eine Person im Priestergewand, die versucht hat, in Michaels Nähe zu kommen." Kehm nennt das völlig zu Recht "abscheulich".
Von Vettel, Hamilton und Verstappen unerreicht
Die Managerin informiert in den folgenden Tagen und Monaten über die Fortschritte, die Schumacher macht. Dass er aus dem Koma geholt wird, "Momente des Bewusstseins und des Erwachens" erlebt, dass er vom französischen Krankenhaus in eine Klinik in der Schweiz verlegt wird, "um seine lange Phase der Rehabilitation fortzusetzen". Dass er wieder zu Hause ist. Mehr dringt über den Gesundheitszustand nicht nach außen, das ist gleichermaßen bemerkens- wie bewundernswert.
Denn mit Schumacher haben Millionen Deutsche jahrelang ihre Wochenenden verbracht. Bei den RTL-Übertragungen fiebern sie mit, wenn der Kerpener am Samstag die Quali-Bestzeit jagt und am Sonntag den Sieg beim Großen Preis. Ohne ihm jemals persönlich begegnet zu sein, entwickelt sich Schumacher für viele zu einem gefühlten Freund, zu einem alten Bekannten, einem Wegbegleiter, der am Steuer seiner Formel-1-Boliden mitunter zwischen Genie und Wahnsinn schwankt. Der 68-mal die Pole-Position einfährt, 91 Grands Prix gewinnt, siebenmal Weltmeister wird und 2002 als noch immer einziger Fahrer der F1-Historie bei allen Saisonrennen auf dem Podium steht. Weder Sebastian Vettel noch Lewis Hamilton oder Max Verstappen ist das in ihren dominanten Phasen gelungen.
In den weniger glanzvollen Stunden seiner Karriere leiden die Schumacher-Fans mit ihrem Idol. Die Kollision mit Damon Hill im Saisonfinale 1994 in Adelaide bringt ihm zwar den ersten WM-Titel, aber auch viel Kritik. Der Rammstoß im Saisonfinale 1997 in Jerez gegen Jacques Villeneuve führt sogar dazu, dass Schumacher aus der Fahrerwertung gestrichen wird. Der schwere Unfall inklusive Beinbruch 1999, als Schumachers Ferrari in Silverstone nahezu ungebremst in die Reifenstapel einschlägt. Monaco 2006, als Schumacher sein Auto in der Rascasse abstellt und daraufhin vom ersten auf den letzten Platz der Startaufstellung zwangsversetzt wird.
"Jeder vermisst Michael, aber Michael ist ja da"
"Jemand hört Michaels Namen und ihm fällt sofort 'Formel 1' ein", sagt Sabine Kehm: "Das haben nur die ganz Großen geschafft. Letztlich personifiziert Michael die Formel 1." Was nach Übertreibung klingt, entspricht der Realität: In Deutschland hat er aus einer Randsportart etwas gemacht, über das am Montagmorgen in den Arbeitsstätten geredet wurde. Nachdem sich die Menschen mitunter am Sonntagmorgen den Wecker gestellt hatten, um den Start in Australien oder Japan bloß nicht zu verpassen.
Aber auch weltweit hat er entscheidend zum Aufstieg der Rennserie beigetragen. Wer seitdem in der Königsklasse dominiert, wird mit Michael Schumacher verglichen. Dem Regenkönig, der 2020 anlässlich der 70. Saison der Formel 1 noch vor Niki Lauda, Ayrton Senna und Bernie Ecclestone zur einflussreichsten Persönlichkeit in deren Geschichte gewählt wurde. Wie der in wenigen Tagen 55-Jährige selbst auf diese Würdigungen blickt, ist nicht bekannt, ebenso wenig wie sein aktueller Gesundheitszustand. Am 3. Januar feiert er Geburtstag, wie so oft im kleinen Kreis.
"Privat ist privat" galt schon während der aktiven Karriere als Schumachers Leitfaden, sein Familienleben hielt der Ausnahmeathlet stets aus der Öffentlichkeit. "Michael hat uns immer beschützt", sagt Corinna Schumacher in der Netflix-Doku, "und jetzt beschützen wir Michael." Für sie ist es "einfach wichtig, dass er sein Privatleben weiter so genießen kann, so gut es eben geht." Auch wenn sie betont, "dass Michael mir jeden Tag fehlt", und auch allen um sie herum: "Jeder vermisst Michael, aber Michael ist ja da, anders, aber er ist da und das gibt uns allen Kraft."
Der Respekt ist größer als die Neugier
Die Ereignisse des 29. Dezember 2013 beschreibt Corinna Schumacher als "einfach richtig Pech und mehr Pech kann man im Leben nicht haben". Ohne dabei vorwurfsvoll zu klingen. Umso mehr als jemand, der zwar mit dem Schicksal hadert, es aber annimmt und versucht, das Beste daraus zu machen. So abgedroschen das auch klingen mag. Unter dem Hashtag #KeepFightingMichael versammelt sich seitdem die unendlich erscheinende Solidarität mit Schumacher, der bei so vielen Menschen einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat.
Entsprechend groß ist natürlich auch das Interesse dieser vielen Menschen, zu erfahren, wie es ihrem Helden von einst heute geht. Doch Schumachers Anwalt Felix Damm erklärte jüngst noch einmal eindrücklich, warum es seit September 2014, seit der Rückkehr nach Hause, keine offiziellen Stellungnahmen der Familie gegeben hat. "Es ging immer darum, Privates zu schützen. Darüber, wie das möglich ist, haben wir viel diskutiert. So haben wir auch überlegt, ob eine finale Meldung über den Gesundheitszustand von Michael hierfür der richtige Weg sein könnte", sagte er dem Portal "Legal Tribune Online", doch "danach wäre ja nicht Schluss gewesen und es hätten permanent aktualisierte Wasserstandsmeldungen erfolgen müssen".

Seit vielen Jahren verbunden: Sabine Kehm, Mick Schumacher und Corinna Schumacher.
(Foto: IMAGO/Nordphoto)
Einzig an den Tagen unmittelbar nach dem Unfall im Dezember 2013 seien ein paar allgemeine Auskünfte über die Verletzungen gegeben worden, um etwas Druck aus der Situation zu nehmen. "Aber ich glaube auch, dass die allermeisten Fans gut damit umgehen können und es auch respektieren, dass durch den Unfall ein Prozess in Gang gesetzt wurde, bei dem der private Schutzraum notwendig ist und jetzt weiterhin beachtet wird", führte Damm aus. Und in der Tat ist es so, dass die öffentliche Diskussion über Schumacher in den allermeisten Fällen von Verständnis für diese Herangehensweise geprägt ist. Wer spekuliert, wird kritisiert. Der Respekt ist größer als die Neugier.
Das ist auch im öffentlichen Umgang mit Mick Schumacher zu erkennen. Er war damals auf der Skipiste mit seinem Vater unterwegs, Fragen rund um diesen Schicksalstag muss aber auch er längst nicht mehr beantworten, sie werden ihm nicht einmal gestellt. Dabei steigt er als Meister der Formel 3 und Formel 2 in die Königsklasse auf und steht in seinen zwei Jahren als Stammfahrer bei Haas allein wegen seines Namens maximal im Rampenlicht. Mick ist immer auch "der Sohn des Rekordweltmeisters". Die Akzeptanz, dass die Familie dessen Rehabilitation privat halten möchte, ist überall zu spüren.
Die Faszination Schumacher ist ungebrochen
Wahrscheinlich auch, weil Michael Schumacher trotz seiner Erfolge und den Millionen, die er damit verdient hat, stets nahbar wirkte. Mit der rheinischen Mundart, dem breiten Grinsen, vielleicht auch dem prägnanten Kinn und der dadurch unverwechselbaren Silhouette. Mit den Tränen, als er 2000 in Monza mit seinem 41. Sieg die Marke seines Idols Ayrton Senna erreicht. Tränen fließen auch 2003 nach dem Triumph in Imola. Zwischen Quali und Rennen waren die Brüder Michael und Ralf über Nacht in die Heimat gefahren, weil Mutter Elisabeth mit nur 54 Jahren verstarb. "Sie hätte gewollt, dass wir dieses Rennen fahren, da bin ich mir sicher", teilt Michael Schumacher kurz darauf mit.
Die mehrstündige RTL-Abschiedssendung aus dem Jahr 2006, als Schumacher seine Ferrari-Karriere beendet hatte und sein Mercedes-Comeback 2010 noch nicht abzusehen war, ist auf Youtube schon knapp eine Million Mal abgerufen worden. In den Kommentaren drückt sich die gesammelte Bewunderung für den Rennfahrer aus. Einer schreibt, was für so viele gelten dürfte: "Dieser Mensch weckt nach so vielen Jahren immer noch so viele Emotionen in mir." Michael Schumacher bewegt.
Entsprechend groß sind Anteilnahme und Aufmerksamkeit für den Dominator von einst rund um den Jahrestag des schrecklichen Unfalls. Stets verbunden mit vielen Fragen, auf deren Antworten es jedoch keinen Anspruch gibt. Vielleicht hätte Schumacher als TV-Experte oder Berater von Formel-1-Teams eine zweite Karriere machen können, wie es der ikonische Niki Lauda mit seiner fast noch ikonischeren roten Mütze getan hat. Vielleicht hätte er Mick bei dessen Aufstieg durch die Nachwuchsserien an die Rennstrecken dieser Welt begleitet.
Doch dann kam der 29. Dezember 2013. Der Tag in den französischen Alpen, seit dem alles anders ist. Der Tag, an dem Michael Schumacher aus der Öffentlichkeit verschwand. Und der doch nichts an der Faszination und Bewunderung verändert hat, die so viele für ihn empfinden.
Quelle: ntv.de