Die Formel-1-Lehren aus Singapur Völlig verwandelter Sainz küsst Ferrari wach
18.09.2023, 07:19 Uhr
Sainz steht ganz oben auf dem Podest von Singapur.
(Foto: IMAGO/Motorsport Images)
Nach 15 erfolgreichen Rennen in Folge darf Max Verstappen nicht zur Siegerehrung. Beim Formel-1-Rennen von Singapur wird der Dominator von Red Bull Racing nur Fünfter. Strahlender Gewinner ist Carlos Sainz, der Ferrari zurück in die Erfolgsspur bringt. Der Spanier hat eine eindrucksvolle Entwicklung hingelegt.
Sainz als realistischer Träumer
Sehr viel Aufmerksamkeit bekam in Singapur ein Verlierer, das Ende der Serie von Max Verstappen war das große Thema - und vielleicht ging dabei etwas unter, was der Sieger gerade leistet. Carlos Sainz hat Ferrari wachgeküsst, das ist durchaus bemerkenswert. Denn in seinen ersten beiden Jahren beim Team stand er doch deutlich im Schatten von Charles Leclerc, des Ferrari-Zöglings, der die Scuderia irgendwann wieder zum WM-Titel führen soll. Dem Monegassen hat Sainz nun aber den Rang abgelaufen, so wirkt es zumindest von außen. Während Leclerc wiederholt mit Fehlern auffällt, holte Sainz in Monza und Singapur zweimal die Pole Position, einen dritten Rang und einen Sieg - seit der Sommerpause tritt er wie verwandelt auf.
"Ich habe mich mit meinen Mechanikern zusammengesetzt und überlegt: Wie bekommen wir ein ganzes Wochenende zusammen. Die Ansätze hatten wir ja die ganze Zeit", sagt Sainz. Und es kamen wohl ein paar gute Ideen dabei heraus. Doch er weiß auch, dass Siege von ihm nur klappen, wenn Verstappen und Red Bull schwächeln: "An so einem Tag träume ich ein bisschen davon, wie die Formel 1 sein könnte, wenn wir näher an Red Bull herankämen. Aber die Wahrheit ist: Sie haben einfach das beste Auto gebaut."
Ein ganz trauriger Verlierer
George Russell ist für einige sicherlich der Singapur-Sieger der Herzen, doch das dürfte nur ein schwacher Trost sein. "Es bricht mir das Herz, jetzt ohne Punkte dazustehen", sagte der 25 Jahre alte Brite. Eine halbe Wagenlänge sei er vom Sieg entfernt gewesen, ein paar Zentimeter zu nah an der Mauer zerstörten aber in der letzten Runde des Formel-1-Nachtrennens alle Hoffnungen. Russell schied aus.
"Es war ein sehr kleiner Fehler nach einem starken Wochenende, aber so ist der Rennsport - er hat heute zu 99,99 Prozent alles richtig gemacht", sagte Mercedes-Teamchef Toto Wolff: "Er ist komplett fertig." Russell lag auf Platz drei hinter dem späteren Sieger Carlos Sainz im Ferrari und Lando Norris auf zwei im McLaren. Er wollte sich beide nach einer aggressiven, aber fast famosen Reifenstrategie mit einem weiteren Wechsel noch schnappen. Er kam aber zu nah an die Wand und konnte seinen Mercedes nicht mehr auf der Strecke halten. Während Teamkollege und Rekordweltmeister Lewis Hamilton vom Russell-Aus profitierte und Dritter wurde, kämpfte Russell mit den Tränen.
Verstappen als fairer Verlierer
Der Weltmeister musste ja beinahe vergessen haben, wie sich eine richtige Niederlage anfühlt, dafür schlug er sich ganz gut. Betont gleichgültig stand er Rede und Antwort, als in Singapur die anderen jubelten. "Ich wusste, dass dieser Tag kommen wird, deshalb ist es okay", sagte Verstappen. Es war ja nicht bloß die Serie von zehn Siegen, die endete: 15 Rennen in Folge hatte der Red-Bull-Pilot auf dem Podest gestanden. Platz fünf war nun ein Absturz, der sogar noch glimpflich endete, es hätte noch weniger herausspringen können - das Pech der Konkurrenz spülte Verstappen am Ende noch nach vorn. Er nutzte dann die Gelegenheit, um auf die Arbeit hinter dem Erfolg hinzuweisen. "Die Leute denken, dass das alles einfach für uns ist, aber das ist es nicht", sagte er, "alles muss perfekt sein." In Singapur war nichts perfekt, der sonst so starke RB19 machte den Fahrern das Leben schwer. Und alles fragte sich, was das jetzt für die kommenden Rennen bedeutet.
Wie die Formel 1 ohne Dominator aussehen könnte
Bei Ferrari, Mercedes und den anderen hatte man darauf eine ziemlich klare Antwort. "Nicht viel", sagte Sainz. Schon beim nächsten Rennen in Suzuka erwarten sie alle Red Bull wieder ganz vorne. Die Leistung der Verfolger war in Singapur dennoch beachtlich. "Wir haben in diesem Jahr wahrscheinlich eine einzige Siegchance, und das Team hat sie ergriffen", sagte Sainz. Auch Mercedes war auf der Höhe, und Lando Norris im McLaren nahm am Ende ebenfalls am Mehrkampf um den Sieg teil. Es war eine Erinnerung daran, wie die Formel 1 ohne ein alles erdrückendes Team aussehen könnte.
Dieses Team gibt es aber, und daher musste mal wieder Singapur helfen. "Es war schon immer eine komische Strecke", sagte Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff: "Wir hatten in unseren dominanten Jahren auch Probleme hier." Denn Singapur ist anders, die engen Kurven und recht langen Geraden, die Start-Stopp-Charakteristik, die vielen Bodenwellen auf der Straße. Normalerweise gewinnt das beste Allrounder-Auto die WM - und sehr oft funktioniert dieses Auto fast überall, nur eben nicht in Singapur.
Quelle: ntv.de, ara/sid/dpa