Ein Sieg, der Probleme offenbart Das bizarre Bierbecher-Spektakel des BVB
12.09.2021, 08:36 Uhr
Gut gefangen, Junge!
(Foto: dpa)
Das war ein echtes Fußball-Spektakel! Dreimal liegt Borussia Dortmund bei Bayer Leverkusen zurück, doch am Ende gewinnt der BVB. Und das auch noch am 45. Geburtstag von Trainer Marco Rose. Der will erst einmal einen vergnügten Abend genießen. Und dann die Probleme besprechen.
Man muss natürlich über Erling Haaland reden. Aber irgendwie ist es auch ermüdend. Zu schreiben, dass dieser unglaubliche Stürmer für Borussia Dortmund wieder einmal ein Spiel gewonnen hat, das ist die Murmeltier-Geschichte der vergangenen anderthalb Jahre. Seit der Norweger zum 1. Januar 2020 von RB Salzburg in den Pott gewechselt ist, schreibt er diese beeindruckende Story fort und fort. Beim spektakulären 4:3 (1:2)-Erfolg bei Bayer Leverkusen in der Fußball-Bundesliga erzielte Haaland zwei Tore. Er steht nun bei 65 Treffern in 65 Pflichtspielen für die Borussia. Wie steigert man das Wort Wahnsinn? Ganz nebenbei nahm er dem legendären Uwe Seeler noch einen Rekord ab. Denn schneller als der Norweger hat noch kein Spieler in der Liga die 45-Tore-Marke erreicht (47 Spiele).
Haaland hatte gegen Leverkusen nicht nur zwei Tore erzielt, es waren aus Sicht der Dortmunder auch die beiden wichtigsten. Nach 37 Minuten hatte er zum 1:1 ausgeglichen und seine Mannschaft damit im Spiel angemeldet. Denn bis zu diesem Zeitpunkt war der BVB klar unterlegen. Haaland war nach einer perfekten Flanke des wieder einmal nicht immer souveränen Thomas Meunier ganz weit nach oben gestiegen und hatte per Kopf getroffen. Irgendwie ist es so: Egal, was dieser Stürmer macht, es sieht immer beeindruckend aus, immer wuchtig. Wie auch sein Jubel danach. Der zweite Treffer war der zum 4:3, erzielt per Elfmeter. Der war indes umstritten. Marco Reus, der Protagonist, sagte: "Ich wollte an den Ball kommen, er trifft mich. Ein richtiger Schlag ist es aber nicht. Es tat weh, deshalb bin ich zu Boden gegangen. Es war Elfmeter."
Haaland lief an und drosch den Ball in die linke Ecke. Torwart Lukáš Hrádecký hatte zwar geahnt, was der Stürmer vorhatte, verhindern konnte er es aber nicht. Wie gesagt: Alles, was Haaland macht, ist irgendwie immer beeindruckend. Doch an diesem Nachmittag sorgte er vor 17.605 mal begeisterten, mal wütenden Zuschauern tatsächlich für den Moment des Spiels. Den darf Jude Bellingham für sich abspeichern. Beim Jubel nach dem 4:3 sprang der junge Engländer auf den Rücken des Stürmers und fing dabei ganz lässig einen Bierbecher, der von den Tribünen auf die feiernden Spieler der Borussia geworfen worden war (es wurde noch deutlich mehr geworfen). Bellingham, der wieder einmal eine ganz starke Leistung im Mittelfeld zeigte, gönnte sich einen Schluck (oder tat so) und kommentierte seine erste Erfahrung mit dem Gerstensaft später via Twitter so: "Der perfekte Tag für mein erstes Bier... Bin kein Fan!" Verdammt gute Laune beim BVB nach einem verdammten Spektakel.
Kehl findet BVB-Jubel gar nicht lustig
Doch nicht auf allen Ebenen wollte sich die gute Stimmung der Top-Talente durchsetzen. Sebastian Kehl, der Leiter der Lizenzspielerabteilung des BVB, fand die durchaus provokanten Jubel-Aktionen von Haaland und Bellingham nicht so lustig. "Ich habe mir ihn (Anm. d. Red.: Unklar, wen Kehl meinte) gleich genommen und gesagt, er soll das unterlassen. Die Jungs sind aufgeladen, es war eine hitzige Atmosphäre - schön, dass wieder Zuschauer da sind. Es war hitzig und viele Entscheidungen waren gegen uns. Wir haben dennoch verdient gewonnen." Tatsächlich verdiente sich der BVB den Sieg vor allem in der zweiten Halbzeit. Da rollte eine Welle nach der anderen auf Leverkusen zu. Zwar stemmten sich die Gastgeber kräftig dagegen, konnten sich der Wucht aber nicht mehr erwehren.
Tore: 1:0 Wirtz (9.), 1:1 Haaland (37.), 2:1 Schick (45.+1), 2:2 Brandt (49.), 3:2 Diaby (55.), 3:3 Guerreiro (71.), 3:4 Haaland (77. Elfmeter)
Leverkusen: Hradecky - Frimpong, Kossounou, Tah, Bakker - Andrich, Demirbay (78. Bellarabi) - Diaby, Wirtz, Paulinho (63. Adli) - Schick (78. Alario); Trainer: Seoane.
Dortmund: Kobel - Meunier, Pongracic (84. Hummels), Akanji, Guerreiro - Witsel (65. Malen) - Bellingham (89. Wolf), Dahoud - Brandt - Haaland, Reus; Trainer: Rose.
Schiedsrichter: Daniel Siebert (Berlin)
Zuschauer: 17.605
Julian Brandt wurde nur einer, über den sie sprachen. Bei Bayer war er ja einst mit Kai Havertz eine wilde Attraktion in der Liga gewesen. Beim BVB füllt er diese Rolle nur höchst selten und niemals konstant aus. Wie gut dieser Junge ist und warum er Fans und Trainer regelmäßig zur Verzweiflung bringt, das packte er alles in das Spiel gegen Leverkusen. Brandt spielt bisweilen herausragende Pässe, hat eine fantastische Ballbehandlung und kann Tore schießen wie kaum ein anderer. Sein Ausgleich zum 2:2 war phänomenal. In der Annahme des Balls, in der Mitnahme und im Abschluss. Aber Brandt lässt sich eben oft auch hängen, spielt fahrig, manchmal auf bizarre Weise nachlässig und riskant. Nach seinem Treffer bekam er von seinen Kollegen ein paar aufmunternde Watschen ins Gesicht gefeuert. Ganz nach dem Motto: Geht doch, Junge!
Was beim BVB in dieser Saison übrigens nicht geht, das ist die Abwehrarbeit. Drei Gegentore gegen das Talent und die Power von Bayer, das könnte man wohl verkraften, wenn man nach vier Spieltagen nicht bei insgesamt neun Gegentreffern stehen würde. Eine schlechtere Bilanz haben in der noch etwas verzehrten Tabelle (weil am Sonntag noch Spiele anstehen) nur Greuther Fürth und Hertha BSC. Trainer Marco Rose wollte den wichtigen Sieg in der BayArena dann auch nicht mit zu viel Euphorie abarbeiten. "Ich freue mich riesig über den Sieg und es ist für alle Zuschauer ein tolles Spiel gewesen. Wir haben aber wieder drei Tore kassiert, das ist zu viel. Trotzdem sieht man immer wieder, was für Torchancen wir hatten. Wir wissen, dass wir über ein paar Dinge zu reden haben. Natürlich machen dich die Gegentore als Trainer sauer." Und Kapitän eus befand bei Sky: "Wir können ja nicht immer vier Tore schießen." Stimmt wohl, trotz Haaland. Die Balance zwischen offensivem Zauber und stabiler defensiver Arbeit sucht der BVB seit Jahren. Sie zu finden, wird Roses größte und schwerste Mission.
Rose feiert nicht nur den Sieg
Aber es ist auch so: "Der Sieg beschert uns allen ein angenehmes Wochenende", sagte Rose, der das besonders genießen will. "Wenn du an so einem Tag auch noch Geburtstag hast, und wenn du weißt, dass deine Familie zu Hause wartet, dann ist es noch schöner." Roses Lebensgefährtin und die gemeinsame Tochter leben eigentlich in Leipzig." Heute Abend treffe ich meine Tochter, wir werden essen gehen und ich werde sicher reich beschenkt", erzählte Rose, "das steigert meine Laune dann noch mehr."
Kein Gedanke an die Abwehr, kein Gedanke an die Probleme, die noch teuer werden könnten. Die Aufarbeitung wird aber kommen, versprach Rose. "Wir müssen daran arbeiten, besser zu verteidigen." Dafür hatten sie ja auf den letzten Transfer-Drücker noch Marin Pongracic vom VfL Wolfsburg geholt. Und womöglich ist das Leihgeschäft eine gute Idee. Beim frühen 0:1 durch Florian Wirtz hatte der neue Mann zwar noch Abstimmungsprobleme mit Manuel Akanji, danach spielte er aber souverän. Das 1:2 konnte er zwar nicht verhindern, allerdings stand er auch allein gegen Wirtz und Torschütze Patrik Schick. Die beiden spielte die Aktion dann einfach auch gut aus.
Und sonst? Ja, einmal muss es noch um Haaland gehen. Auch der hatte nämlich seinen Bierbecher-Moment. Bei einer Ecke wurde er beworfen, nicht getroffen. Haaland räumte das Chaos äußerst artig auf, roch einmal ganz kurz (angewidert) an einem Becher, verwarf dann aber jeden Gedanken an einen Genussmoment. Davon hat er ja eh mehr als genug. 65 Tore in 65 Pflichtspielen. Gigantisch. Ist das eine legitime Steigerung von Wahnsinn?
Quelle: ntv.de