
Thomas Müller ist das Gesicht des FC Bayern.
(Foto: IMAGO/Laci Perenyi)
Was für eine Aufregung. Seit Wochen kennt Fußball-Deutschland kaum ein anderes Thema. Klar, die Tennisballmeuterei der Fans ist interessant, aber was wird nur aus dem FC Bayern? Vor dem Pflichtsieg gegen Lazio steht die Nation kurz vor einem ARD Brennpunkt. Dabei wird der Rekordmeister zunehmend egal.
Vielleicht ist jetzt mal kurz Ruhe. Der FC Bayern ist mit einem 3:0 (2:0) im Rückspiel gegen das italienische Mittelklasse-Team Lazio Rom ins Viertelfinale der Champions League eingezogen. Der mit hunderten Millionen Euro hochgerüstete Superklub aus der bayerischen Landeshauptstadt ist also dort, wo er hingehört. Wie jedes Jahr. Trotzdem nahm der Klub des noch bis zum Sommer amtierenden Trainers Thomas Tuchel in den vergangenen Wochen in der öffentlichen Berichterstattung so viel Raum ein, dass er alles andere erneut quasi erstickte.
Als sie nun also Lazio Rom besiegten, jauchzte nicht nur ntv.de über den "Erlösungssieg" der Bayern und den großen Abend in der Allianz Arena. Wir alle haben unser Maß verloren. Der Erfolg gegen den Klub aus der italienischen Hauptstadt, der überhaupt erst einmal, vor einem Vierteljahrhundert, im Viertelfinale der Champions League stand, war zu erwarten gewesen und gewiss das Gegenteil der nun ausgerufenen Sensation.
Es ist es halt so: Jede Niederlage beim FC Bayern wird von den Medien seziert, jede Aussage eines Funktionärs auf rund 200 Seiten blitzanalysiert und das Schicksal des so halb entlassenen Trainers Tuchel bewegt die Massen. Das im Vorfeld zum Endspiel für Tuchel hochgejazzte Achtelfinalrückspiel war dafür erneut ein prächtiges Beispiel. Nicht nur der Boulevard, sondern auch diese Seite berichtete atemlos über jedes erdenkliche Szenario für ein mögliches Ende des ehemaligen Trainers von Chelsea, Paris Saint-Germain, Borussia Dortmund und des FSV Mainz 05.
Vielleicht auch weil Tuchel jetzt bei seiner Ansprachen sogar seinen Zeh opferte, gelang das Wunder von München doch noch. Der auf transfermarkt.de mit einem Marktwert von 241 Millionen Euro bezifferte Kader von Lazio (weniger als die addierten Werte von Harry Kane, Leroy Sané und Matthijs de Ligt) konnte sich nicht gegen Bayerns 976 Millionen Euro schweren Kader durchsetzen. Eine Erlösung! Sie "kanen" es doch noch!
Thomas Müller ist das Gesicht des FC Bayern
Als sich dann der neue Sportvorstand des FC Bayern, Max Eberl, vor dem Spiel auf Prime noch vor dem Spiel knallhart hinter Tuchel stellte, zuckte es in den Redaktionen. Bedeutet das jetzt, dass Tuchel auch im Falle eines Ausscheidens bleibt oder war dies ein erster Kniff des ehemaligen Funktionärs von Borussia Mönchengladbach und RB Leipzig, der den Rekordmeister nun als neuer Uli Hoeneß zu altem Ruhm führen soll. Einer seiner Vorgänger, Karl-Heinz Rummenigge, gab ihm in dieser Woche noch einen Tipp mit auf dem Weg. Der Tuchel-Nachfolger solle mindestens so gut sein wie Jupp Heynckes oder Pep Guardiola. Wie Borussia Dortmund dem Meistertrainer Jürgen Klopp hinterherjammert, leidet der FC Bayern München nun auch dem Vergangenheits-Syndrom, das einem Verein jede Zukunft raubt.
All das ist auch so, weil Sie, liebe Leser, immer wieder auf den FC Bayern anspringen. Sie wollen ihn fallen sehen und vielleicht hin und wieder auch einmal triumphieren. Manchmal erweckt es den Anschein, als interessiere sich die breite Öffentlichkeit nicht für das Fußballspiel, sondern ausschließlich für die Unterhaltungssendung Bayern München mit ihren Protagonisten um den Serien-Dauerbrenner Thomas Müller.
Dem 34-jährigen Raumdeuter bescheinigen sehr viele Menschen großen Witz und Humor, während andere bei jeder Äußerung der deutschen Fußball-Legende aus ihren Sitzmöglichkeiten schießen, sich erregen. Der FC Bayern polarisiert und Thomas Müller ist das Gesicht des Vereins - ein streitbares und gleichzeitig Respekt einforderndes. Vollkommen okay. Aber Müller wird seine Karriere ohnehin bald, wahrscheinlich im Jahr 2025, beenden.
Das Eingeständnis eines Scheiterns
"Das war jetzt keine Erlösung. Es war nicht so, dass wir eine neue Spielkulturebene erreicht haben. Aber wir haben einen ganz wichtigen Schritt getan", sagte Müller nun nach dem Erfolg gegen Lazio und es war nicht ganz klar, welchen Schritt er damit meinte. In der Meisterschaft hängen sie mit zehn Punkte Rückstand auf Bayer Leverkusen hinterher. Im Pokal sind sie draußen und nach allem, was in dieser Saison zu sehen war, ist in der Champions League sogar ein Finaleinzug der Dortmunder realistischer als einer der Bayern. Und ein Finaleinzug der Dortmunder ist aktuell in etwa so realistisch wie die absolute Mehrheit für die SPD bei den anstehenden Wahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg.
Angewidert und gelangweilt wenden sich daher jene ab, die den Fußball auch in Deutschland nicht nur über den FC Bayern denken. Die sich für das Schicksal von Thomas Tuchel bis zum Sommer nicht interessieren und denen es schlichtweg egal ist, ob der 50-Jährige irgendwann zwischen jetzt und Mai noch von einem Übergangstrainer ersetzt werden wird. Der FC Bayern ist vielen egal geworden, weil der Klub in dieser Saison das Scheitern bereits durch die anstehende Trennung von Tuchel eingeräumt hat und all das, was nun passiert, nichts mehr als eine Verlängerung dieses Eingeständnis ist. Eines Scheiterns, was in Zukunft kaum noch der Rede sein wird. Denn jetzt wird eben wieder alles in Grund und Boden gekauft. Hoffentlich findet sich dann auch ein neuer Pep Guardiola.
Quelle: ntv.de