Fußball

Thomas Müller zeigt es allen Tuchel opfert seinen Zeh für die letzte Hoffnung des FC Bayern

Thomas Tuchel und sein bitter-süßer Schmerz.

Thomas Tuchel und sein bitter-süßer Schmerz.

(Foto: REUTERS)

Großes Aufatmen beim FC Bayern: Im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League liefern die Münchner eine Topleistung ab und schicken Lazio Rom mit einer deutlichen Niederlage aus dem Wettbewerb. Thomas Müller glänzt, Thomas Tuchel liefert eine kuriose Anekdote.

Thomas Tuchel hatte sich für diesen Abend eine besondere Atmosphäre gewünscht. Und er bekam sie. Die Fans in der ausverkauften Allianz Arena verhüllten die Südkurve mit einer beeindruckenden Choreo. In Schwarz und Gelb. Das mag nur auf den ersten Blick verwundern. Denn Schwarz und Gelb sind in diesem Fall nicht die Farben des Erzrivalen Borussia Dortmund, sondern jene der Stadt München. Umgekehrt sind Rot und Weiß, die Farben des Rekordmeisters, übrigens jene der Stadt Dortmund. Nicht wichtig. Wichtig dagegen: Die Energie der Kurve durchdrang mit dem Anpfiff seine Mannschaft. Die hatte die Zeichen der Zeit erkannt und ging im Achtelfinal-Rückspiel der Champions League gegen Lazio Rom sofort auf Sieg, die 0:1-Hypothek aus dem ersten Duell im Februar musste ja getilgt werden.

Geduld im Spiel hatte der Trainer seiner Mannschaft bereits vorab deutlich untersagt. Geduld hatte er ihr nur in Puncto innere Ruhe zugestanden. Nicht zu früh ins Risiko gehen, nicht zu früh die Positionen verlassen. Wann die Treffer, zwei brauchte es ja mindestens, zum Sieg fallen würden, das sei ihm egal. Und die Spieler hatten seinen Worten sehr genau zugehört, so verstand es sich jedenfalls auf dem Rasen. Die Kabine folgt dem Trainer also offenbar doch noch. Auch dieses Thema war rauf und runter diskutiert worden. Mit 3:0 (2:0) wurden nun die Verteidigungskünstler aus Italien hergespielt. Der FC Bayern erhält sich mit der besten Leistung seit Wochen die Chance auf den Titel in der Königsklasse, gehört wieder zu den besten acht Mannschaften des Kontinents, zum nun schon 22. Mal in der Geschichte des Wettbewerbs, und verschafft sich nach sehr aufwühlenden Tagen wieder etwas Ruhe.

"Hat mich meinen rechten Zeh gekostet"

Bayern München - Lazio Rom 3:0 (2:0)

Tore: 1:0 Kane (39.), 2:0 Müller (45+2.), 3:0 Kane (66.)
Bayern München: Manuel Neuer - Joshua Kimmich, Matthijs de Ligt, Eric Dier, Raphael Guerreiro (78. Alphonso Davies) - Aleksandar Pavlovic, Leon Goretzka - Thomas Müller (78. Mathys Tel) - Leroy Sane (89. Konrad Laimer), Jamal Musiala, Harry Kane - Serge Gnabry; Trainer: Thomas Tuchel
Lazio Rom: Ivan Provedel - Adam Marusic, Mario Gila, Alessio Romagnoli, Luca Pellegrini - Matteo Guendouzi, Matias Vecino (61. Danilo Cataldi), Luis Alberto (80. Daichi Kamada) - Mattia Zaccagni (61. Gustav Isaksen), Ciro Immobile (61. Valentin Mariano Jose Castellanos Gimenez), Felipe Anderson (75. Pedro Eliezer Rodriguez Ledesma); Trainer: Maurizio Sarri
Schiedsrichter: Slavko Vincic (Slowenien)
Gelbe Karten: Alessio Romagnoli (80.), Danilo Cataldi (89.), Luca Pellegrini (90+2.)
Zuschauer: 75.000 (ausverkauft)

Der Trainer hatte am Tag vor dem Spiel betont, wie wichtig ihm dieser Sieg ist. Wie sehr er dafür brennt. Dieses Feuer brachte ihm indes am Spieltag große Schmerzen ein. Um seine Mannschaft so richtig einzuschwören, war er selbst in große Emotionen geraten und hatte während der Ansprache vor einen Gegenstand getreten. "Die Motivationsrede vor dem Spiel hat mich meinen rechten Zeh gekostet", sagte der humpelnde Coach bei Prime Video. "Ich wurde direkt versorgt, aber hatte keinen Mut mehr, aus dem Schuh rauszugehen, weil ich die Sorge habe, dass ich nicht mehr reinkomme." Deshalb habe er während der Partie "90 Minuten gesessen". Laut Vorstandschef Jan-Christian Dreesen ist der Zeh womöglich gebrochen.

Doch so schmerzhaft der Moment war und die nächsten Tage sein werden, so sehr war der Erfolg Balsam. "Das Opfer habe ich gerne gebracht", scherzte er später bei der Pressekonferenz. Und auch Thomas Müller witzelte: "Ein bisschen Schwund ist immer. Profisport ist immer auf enge Kante genäht. Nur mit Früchtetee machen wir es nicht." Die gute Laune ist zurück. Aber es bleibt auch die Erkenntnis, dass ein (sehr) guter Abend noch keine Saison rettet: "Wir freuen uns und wissen, dass wir ein gutes Spiel gemacht haben. Wir wissen aber auch, dass Lazio nicht in ihrer besten Phase ist. Es ist keine Erlösung, dass wir eine ganz neue Spielkulturebene erreicht haben", warnte Müller vor zu viel Euphorie. Aber so ist Fußball. Freitag noch Schwarz, Dienstag wieder weiß.

Müller darf bleiben - eine gute Idee

Tuchel darf weitermachen. Nicht wenige Medien und Experten hatten mit dem Ausgang des Spiels ja auch das Schicksal des im Sommer scheidenden Übungsleisters verknüpft. Doch noch bevor das Alles-oder-Nichts-Spiel angepfiffen worden war, hatte Max Eberl die ausgeuferten Spekulationen eingefangen. Er hatte es zumindest versucht. Es gebe momentan keine andere Meinung, als die Fortsetzung der Zusammenarbeit. Das gelte auch im Falle eines möglichen Scheiterns. Das Wort des neuen Sportvorstands muss nun nicht auf die Goldwaage. Nach diesem Abend, der die lähmenden Ketten des Rekordmeisters wenigstens lockerte, bleibt alles wie es ist.

Und das dank zweier unwirklicher Helden. Dank zweier Fußballer, die nicht unbedingt traurig sind, wenn Tuchel im Sommer den Verein verlässt. Thomas Müller und Matthijs de Ligt sind ihre Namen. Müller durfte in der ersten Elf bleiben, auch wenn er am Freitag beim 2:2 gegen den SC Freiburg nicht arg viele Argumente dafür gesammelt hatte. Weil Leroy Sané wieder so fit war, dass er die ewigen Schmerzen tolerieren konnte, musste ein Mann weichen. Es erwischte Youngster Mathys Tel, der im Breisgau ein sehr schönes Tor geschossen hatte und mit seinem Tempo belebend war. Aber Tuchel wollte neben Sané Routine und nicht die wilde Jugend. Über Müllers Rolle in dieser Saison ist eigentlich alles erzählt. Und dennoch schreibt er immer neue Kapitel.

Zeitlos starke Leistung von Müller

Emotional wie immer: Thomas Müller.

Emotional wie immer: Thomas Müller.

(Foto: IMAGO/ActionPictures)

Meistens kam er in dieser Saison nur von der Bank. Thomas-Müller-Spiele, wie Tuchel es einmal genannt hatte, wurden immer seltener. Was genau ein Thomas-Müller-Spiel ist, das weiß man zwar bis heute nicht, aber eines wie das Rückspiel gegen Lazio muss es wohl sein. Die Münchner standen massiv unter Druck, die Bewertung der gesamten Saison lag als dunkler Schatten über diesem Schlaglichtabend. Karl-Heinz Rummenigge, der langjährige Boss, hatte das vorher klargemacht. "Schlecht" wäre sie (die Saison), wenn der FC Bayern im Achtelfinale scheitern würde. Weil man im Pokal ja längst draußen ist und in der Meisterschaft kaum noch realistische Chancen hat. Spitzenreiter Bayer Leverkusen ist auf zehn Punkte enteilt.

Wenn der Verein strauchelt, auf den Boden zu fallen droht, dann ist Ikone Müller gefragt. Als Retter, als Antreiber. Und natürlich nimmt er diese Rolle an. Eine zeitlos starke Leistung brachte der 34-Jährige auf den Rasen. Er war im Pressing präsent, motivierte die Kollegen ständig mit aufmunternden Gesten. Nicht alles gelang in den ersten Minuten, aber die Last der vergangenen Wochen, sie wog eben noch sehr schwer. Der Erste, der sie abschütteln konnte, war Jamal Musiala. Nach mehreren Auftritten mit schwerer Gangart wird das Juwel immer leichtfüßiger. An der Führung war er indes nicht beteiligt. Dafür aber Müller, in bester alter Schleichmanier hatte er sich durch den Strafraum der Römer bewegt, war angespielt worden und hob den Ball zu Raphael Guerreiro. Der traf das Spielgerät nicht richtig, was Harry Kane in die Show und dessen Kopfball ins Tor brachte - 1:0 (39.).

Müller zwinkert und hebt den Daumen

Die erste Kette war nun gesprengt. Und die zweite folgte sieben Minuten später, in der Nachspielzeit der ersten Hälfte. Müller hielt den Kopf in einen sensationellen Abschluss von de Ligt. Im 696. Spiel für seinen Klub hatte er zum 238. Mal getroffen.

Abwehrspieler de Ligt hatte sich nach einer Ecke von Guerreiro am langen Pfosten frei geschlichen und den Ball mit Lasergeschwindigkeit auf den Kasten und Müllers einfliegenden Kopf gezimmert. Ausgerechnet de Ligt, der ja auch nicht unbedingt zu den Lieblingsschülern des Trainers gehörte. Immer wieder pendelte er zwischen Bank und Feld. Musste manchmal draußen bleiben, obwohl die anderen Innenverteidiger ermattet oder gerade erst genesen waren. Dass ihm das missfiel, deutete er nach der Topspiel-Pleite in Leverkusen in den Katakomben an.

Für Müller wäre indes sogar ein zweiter Treffer möglich gewesen, aber in der 71. Minute verhinderten Keeper Ivan Provedel und der Pfosten die Veredelung eines Traumangriffs. "Den hält der doch auch, wow", kommentierte der Ur-Bayer diese Szene. Verschmerzbar. Denn sein 2:0 war der Anfang der Münchner Glückseligkeit und das Ende der römischen Träume. Lazios Trainer Maurizio Sarri befand: "Heute ist Bayern München aufgetreten, wie Bayern München einfach ist. Auch wenn es in der Bundesliga nicht so läuft, in der Champions League ziehen sie alles raus." Tuchel selbst, dem seine Mannschaft (zu) oft ein Rätsel war, hatte eine solche Leistung nicht ausgeschlossen. Aber zwingend erwartet haben, wird er sie nicht. Das Fremdeln in der gemeinsamen Zeit hat eben kein Urvertrauen geschaffen.

"Ein großer Moment in unserer Saison"

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Dass es aber überhaupt so weit kommen konnte, dass die Bayern nach einer sehr wachen, mutigen und von Anfang an konzentrierten Leistungen mit 2:0 in die Kabine entschwanden, hatte sie indes auch einem Aussetzer von Ciro Immobile zu verdanken. Der Sturm-Routinier, einst Tuchels Schützling in Dortmund, ließ unmittelbar vor dem 0:1 eine Riesenchance freistehend ungenutzt. Das Stadion hielt für einen Moment den Atem an. Verdient wäre das sicher nicht gewesen, aber womöglich der Sargnagel. Denn sonderlich robust hatten die Münchner in den vergangenen Spielen nach Rückschlägen nicht gewirkt. Entweder geriet der Anfang gut, oder aber das Ende. Selten aber das Spiel als ein 90-minütiges Gesamtkunstwerk. Aber dieses Glück des Tüchtigen hatten sie sich an diesem Abend erarbeitet. Klar im Positionsspiel, klar im Matchplan und überzeugt vom eigenen Können.

Diese Überzeugung tröpfelte erst in die Körper der Bayern-Spieler zurück, doch mit jedem gelungenen Angriff lief das Serum namens Selbstvertrauen flüssiger durch die Adern. Und als der wache Kane nach 66 Minuten einen Abpraller nach Schuss von Sané zum 3:0 versenkte, wich im glückseligen Stadion die allerletzte Anspannung. "Es ist ein perfekter Abend. Es war ein großes Spiel. Das war ein großer Moment in unserer Saison. Wir haben eine top Leistung gezeigt", sagte der Torjäger bei Prime Video. Zehn Minuten nach der Entscheidung verließ Müller den Rasen, setzte sich auf die Bank, zwinkerte mit einem Auge und hob den Daumen. "Es ist hier nicht irgendwie ein kompletter Scherbenhaufen da. Wir haben halt auf dem Fußball-Platz Probleme", sagte er später. Der alte FC Bayern, er blitzte an diesem Abend nach langer Zeit mal wieder auf. Müller sei Dank. Und Tuchels Zeh.

Quelle: ntv.de

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