Druck auf Salihamidžić und Kahn Der FC Bayern zertrümmert seine Glaubwürdigkeit
25.03.2023, 08:55 Uhr
Oliver Kahn und Hasan Salihamidžić gaben in den vergangenen Monaten kein gutes Bild ab.
(Foto: IMAGO/MIS)
Der FC Bayern wird böse überrascht und ringt 20 Stunden lang nach einer Bestätigung für die Trennung von Coach Julian Nagelsmann. Das wirft kein gutes Licht auf die Bosse des Rekordmeisters. Dem Klub droht etwas Wichtiges verloren zu gehen.
Ob Uli Hoeneß weiß, was Twitter ist? Vermutlich hat er schon davon gehört, aber sich dann nicht weiter damit beschäftigt. Vor dreieinhalb Jahren bekannte der Patriarch des FC Bayern nämlich, dass er noch nie im Internet war. Gut, das Rad der Zeit hat sich weitergedreht, der Rekordmeister seit diesem Freitag den vierten Trainer seither und Hoeneß sich vielleicht doch ein wenig mehr den modernen Dingen zugewandt. Warum die Sache mit Hoeneß und Twitter wichtig ist: Der FC Bayern wurde über dieses Medium am Donnerstagabend fürchterlich auf dem falschen Fuß erwischt und brauchte über 20 Stunden, um sich aus der Schockstarre zu schütteln und zu bestätigen, was die Welt bereits wusste: Julian Nagelsmann muss gehen, Thomas Tuchel kann kommen.
Was muss in Uli Hoeneß in den vergangenen Tagen vorgegangen sein? Worüber hat er sich am meisten gewundert? Über dieses Twitter und diesen Transfermarkt-Guru Fabrizio Romano, der am Donnerstagabend tollkühn behauptet hatte, dass Nagelsmann alsbald gefeuert werden würde - und recht behielt? Oder darüber, wie der FC Bayern mit dem "Leak" umgegangen war? Woher der "Leak" kam, dürfte den Verein am meisten beschäftigen, denn er hat ihm massiv geschadet. Vor allem Klubboss Oliver Kahn und Sportvorstand Hasan Salihamidžić. Denn sie stehen nun einigermaßen blamiert da. Dass Coach Nagelsmann aus den Medien von seiner (zu diesem Zeitpunkt) völlig überraschenden Demission erfuhr (so wird berichtet), ist eine krachende Watschn für die Führung.
Den Bossen wurde angst und bange
Diese Führung rang auch 20 Stunden nach dem Beben noch um den richtigen Umgang und bekam keinen Applaus dafür. Die Bosse zogen sich hinter die sportliche Argumentation zurück, die sich nur teilweise im Netz der Neugierigen verfing. Nicht jeder wollte verstehen, dass man einen Trainer feuert, der in der Champions League alle Spiele gewonnen hat, der im DFB-Pokal noch dabei ist und in der Liga zwar "nur" noch Zweiter ist, aber weiter alle Trümpfe in der Hand hat, um die elfte Meisterschaft aus eigener Kraft einzufahren. Zu wenig attraktiv gespielt, zu selten das Potenzial abgerufen, zu große Leistungsschwankungen, das waren die Argumente. Nun war es nach großen Turnieren freilich immer so, dass Nationalspieler in ein Loch fielen. Weil die WM aber sonst stets im Sommer stattfand, wirkte die Erschöpfung nie in die entscheidende Saisonphase hinein.
In diesem Jahr ist das eben anders. Katar ist schuld. Und so gehen die Münchner eben nicht entspannt damit um, dass es auf dem Feld nicht läuft, sie geraten heillos in Panik. Mit Blick auf die Duelle gegen den BVB, zweimal gegen den starken SC Freiburg (in Liga und Pokal) und dem Giganten Manchester City (Champions League) wurde den Bossen offenbar Angst und Bange, dass diese Saison in einem Desaster enden könne, also titellos. Nichts treibt diesen Klub mehr vor sich her, als die Sorge, abgehängt zu werden. Vor allem international. Wie sehr diese Sorge zehrt, offenbarte Salihamidžić nach der 1:2-Niederlage in der Bundesliga zuletzt, die Nagelsmann offenbar final stürzte. "So wenig Antrieb, so wenig Mentalität, so wenig Zweikampfführung, so wenig Durchsetzungsvermögen habe ich selten erlebt. Diese Mannschaft ist so gut, wenn sie von Anfang an eine Mentalität hat und 100 Prozent geht", sagte er. "Und genauso ist sie nicht so gut, wenn sie spielt wie heute. Wenn sie träge ist und denkt, dass sie mit der spielerischen Qualität alles erledigen kann. Das kann sie einfach nicht."
Verbissen kämpft der FC Bayern darum, sein als familiär geheiligtes Geschäftsmodell im Duell mit den eiskalten und seelenlosen Investoren-Riesen zu behaupten. Und in diesem Kampf verlieren die Münchner immer mehr von dem, was sie sich eigentlich bewahren wollen: das sagenumwobene und nicht näher zu definierende "Mia san mia", das von den alten Alphatieren Uli Hoeneß und Karl-Heinz Rummenigge zum obersten Klubmantra erhoben worden war. In ihrer Ausprägung bedeutete das über Jahrzehnte hinweg: Wer den FC Bayern angreift, der muss an Hoeneß und Rummenigge vorbei, zwei mächtige Ritter. Sie warfen sich mit allem, was sie hatten, vor den Klub. Sie zündeten Nebelkerzen, sie lancierten Gegenangriffe. Sie zerrten die Mannschaft und den Trainer - wenn nötig - aus dem Fokus, und stellten sich selbst in den Sturm.
Hoeneß zieht die Rüstung nochmal an
Ihren Nachfolgern gelingt das nicht. Präsident Herbert Hainer bleibt oft blass im Hintergrund. Oliver Kahn, der als Titan auf dem Platz immer wieder explodieren konnte, ist zu einem beherrschten Business-Mann geworden. Er ist zu oft ruhig, zu selten präsent, wenn es knallt. Ein 20-Stunden-Zögern, da darf man sich sicher sein, hätte es nach dem Nagelsmann-"Leak" (damals hätte es Enthüllung geheißen) unter Hoeneß und Rummenigge nicht gegeben. Und auch Sportvorstand Hasan Salihamidžić ist (noch) nicht der unangreifbare Ritter. Und so krachten in den vergangenen Monaten, eigentlich in der gesamten Ära von Nagelsmann immer wieder Angriffe mitten rein in die Festung Säbener Straße, in das Herz des Klubs. Weil er das nicht hinnehmen wollte, holte Hoeneß seine alte Rüstung aus dem Schrank am Tegernsee und schwang sich immer wieder zum Verteidiger auf.
Eben auch, weil die Führung rumeierte und massiv an Glaubwürdigkeit verlor. So bekannte Hainer noch am Montag, also drei Tage vor der (medialen) Entlassung von Nagelsmann, dass es beim FC Bayern keine Diskussion um Nagelsmann gäbe, dass man langfristig mit ihm plane, dass er "unheimlich gut" passe. Ganz anders als das Bild der Bosse eben. Offensiv geäußerte Unterstützung, knallharte Bekenntnisse und dann der Knall. Wie kann das sein? Mindestens schlechte Kommunikation, im schlimmsten Fall ein ahnungsloser Präsident. Und Kahn und Salihamidžić, die müssen unbedingt hoffen, dass ihr Plan mit Tuchel aufgeht. Zu viele Millionen hat das Duo in den vergangenen Jahren versenkt. 1a-Lösung Nagelsmann, dem sie blind vertrauten, dem sie alle Wünsche erfüllten (von Spielern, über Trainingsplatz-Umgestaltungen bis hin zur Trennung von Co-Trainern) ist zu einem gigantisch teuren Flop geworden. Auch die "Weltklasse"-Spieler Sadio Mané und Joao Cancelo sind bislang nur teuer und nicht erfolgreich. Diese drei Personalien sind nur die Spitze des Millionenschadens.
Matthäus vermisst das "Mia san mia"
Zu viele Krisen waren rund um den Rekordmeister ausgebrochen. Zu wenig erfolgreiches Krisenmanagement wurde betrieben. Vom "Fall Manuel Neuer" über den "Fall Toni Tapalovic" und die offenbar intern zu einem übergroßen Thema gewordene Beziehung zur "Bild"-Reporterin Lena Wurzenberger bis zum Wutausbruch von Nagelsmann und der Suche nach dem Maulwurf, der die Kabine gefährlich untergraben hatte. Die Bosse rangen um Hoheit und suchten diese in Verteidigungsreden für den Trainer, den sie nun aus dem Amt geschubst haben. Dabei hinterließen sie nicht den Eindruck von einem überzeugten und überzeugenden Weg. Dazu passte auch, dass Joshua Kimmich bei der DFB-Medienrunde am Freitag mit dem Thema konfrontiert worden war, als erstes Alphatier des FC Bayern. Noch vor der offiziellen Bestätigung. Er wich souverän aus. Dennoch eine unangenehme Situation, die der Klub besser hätte vorbereiten müssen. Wieder einmal stand plötzlich einer im Wind, der da von Amtswegen hätte nicht stehen sollen. So wie einst auch Nagelsmann, der in der ganzen Corona-Debatte um Kimmich und seine damalige Impfablehnung den Außenminister München gab, während die Bosse schwiegen.
Der in München (vor allem von Hoeneß) zuletzt wenig gerne gesehene Kultexperte Lothar Matthäus bekannte gegenüber RTL/ntv, es sei "nicht mehr das 'Mia san mia', das die Bayern immer ausgezeichnet hat zu Zeiten von Rummenigge und Hoeneß." Man müsse, forderte Matthäus, wieder "zurück zu den Wurzeln, zum familiären Umgang miteinander". Das habe "die Bayern in der Vergangenheit stark gemacht", sagte er, "das vermisse ich in den letzten ein bis eineinhalb Jahren". Jetzt kommt Tuchel, jetzt kommen die Wochen, die über alles entscheiden. Auch über die Arbeit von Salihamidžić und Kahn.
Quelle: ntv.de