Fußball

Panik und Krise beim FC Bayern Nagelsmanns Rauswurf hat zwei große Verlierer

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Nagelsmann war der Königstransfer von Hasan Salihamidžić.

(Foto: IMAGO/Michael Weber)

Der FC Bayern München entlässt mit Julian Nagelsmann jenen Trainer, der bis vor Kurzem noch als große Hoffnung für die Zukunft gehandelt wurde. Während das alles an den jungen Jupp Heynckes erinnert, sitzt der Verlierer dieser Geschichte nicht auf der Trainerbank.

Julian Nagelsmann kam 2021, um den FC Bayern München über Jahre hinaus zu prägen. Nun, nicht mal zwei Jahre später, wird er ihn wieder verlassen müssen. Vor dem Spitzenspiel gegen Borussia Dortmund, die aktuell mit einem Punkt Vorsprung die Tabelle der Bundesliga anführen, haben sich die Münchner überraschend dazu entschieden, jenen Mann freizustellen, den sie bis vor Kurzem noch in jedem Interview verteidigt haben. Die sportliche Situation dürfte nur ein kleiner Grund für den Sinneswandel sein.

Aus verschiedenen Medienberichten geht hervor, dass auch andere Faktoren eine Rolle gespielt haben. Genervt habe Nagelsmann den einen oder anderen Spieler - mit seiner Art, aber auch mit taktischen Themen. Er habe die Kabine verloren, heißt es. Verloren hat in dieser Geschichte neben dem von seinen Aufgaben entbundenen Cheftrainer auch jemand anderes: Hasan Salihamidžić.

All das Lob, das er in den vergangenen Monaten erhielt, könnte jetzt wieder zerbröckeln. Jung, entwicklungsfähig, begabt - Nagelsmann galt zunächst als Königstransfer und als endgültiger Schritt in eine neue Zeitrechnung für den FC Bayern. Noch mehr wurde Salihamidžić aber für die Transfers gelobt, die er gemeinsam mit seinem Team in den vergangenen Jahren bewerkstelligt hat. Doch wie viel von dieser Euphorie ist im März 2023 noch übrig?

Julian Nagelsmann war das Salihamidžić-Symbol

Nagelsmann, der den FC Bayern eine Ablösesumme zwischen 20 und 30 Millionen Euro gekostet haben soll, ist weg. Der Trainer, den Salihamidžić zusammen mit dem Technischen Direktor Marco Neppe einst noch daheim besucht hatte, um die gemeinsame Zukunft zu planen. Der Trainer, der nach einer zwischenmenschlich schwierigen Zusammenarbeit mit Hansi Flick dafür sorgen sollte, dass die Glaubwürdigkeit von Salihamidžić wiederhergestellt wird. Nagelsmann war der absolute Wunschkandidat und galt als Symbol für jenen FC Bayern, den Salihamidžić aufbauen möchte.

Doch schon beim Blick auf die Zusammenstellung des Kaders muss die Frage erlaubt sein, wie dieser FC Bayern eigentlich aussehen soll. Streng genommen haben nur wenige der Transfers, für die er in der Vergangenheit viel Lob eingestrichen hatte, bisher funktioniert.

Das beginnt bei 80-Millionen-Euro-Mann Lucas Hernández, der sportlich ohne Zweifel eine Bereicherung für das Team ist, wegen seiner zuvor bekannten Verletzungsanfälligkeit aber einen Großteil der Pflichtspiele verpasst hat. Es betrifft auch Leroy Sané, bei dem der FC Bayern fast froh sein muss, dass sich sein Wechsel wegen einer schweren Verletzung um ein Jahr verzögert hatte. Damals waren die Münchner bereit, eine weitere Rekordsumme auszugeben - letztendlich bezahlten sie "nur" 49 Millionen Euro.

Sané ist ein Sinnbild der Transferpolitik unter Salihamidžić, die oft etwas willkürlich daherkommt. Seit seinem Wechsel an die Säbener Straße sucht der Angreifer nicht nur nach einer konstanten Topform, sondern auch nach der Rolle, die ihm taktisch am besten liegt. Schon Hansi Flick hatte Probleme damit, ihn in der Offensive des FC Bayern richtig einzusetzen.

Viel Aktionismus auf dem Transfermarkt

Noch bezeichnender sind aber jene Transfers, mit denen Salihamidžić auf kurz- und mittelfristige Probleme zu reagieren versuchte. Das Jahr 2020 ist mit vier Last-Minute-Transfers das Paradebeispiel. Bis auf Eric Maxim Choupo-Moting funktionierte keiner von ihnen. Auch in den Jahren darauf gab es nur wenige Verpflichtungen, aus denen eine klare Strategie ablesbar wäre.

Die Verpflichtung von Sadio Mané war eine Reaktion auf den Abgang von Robert Lewandowski. Auch wenn diese Umstellung wohl in gemeinsamer Absprache mit Nagelsmann erfolgte, so kann er die Lücke einfach nicht füllen. Nicht unbedingt deshalb, weil er kein Mittelstürmer ist, sondern weil er kein konstanter Torjäger ist. Ein solcher fehlt den Bayern nun komplett. Choupo-Moting war kurzfristig in der Lage, den Polen zu ersetzen, doch dessen Tore fehlen eben vor allem in den vielen engen Spielen. Dass Nagelsmann in dieser Bundesliga-Saison auf sieben Unentschieden blickt, kann unter anderem damit begründet werden, dass Lewandowski diese Spiele einst für die Münchner entschieden hat.

Es ist bereits der zweite Schlüsselspieler in der Verantwortungszeit von Salihamidžić, bei dem nicht mal versucht wurde, ihn adäquat zu ersetzen. Als Reaktion auf den Thiago-Abgang kam einst zwar Marc Roca, aber die Geschichte ist bekannt. Bis heute wurde der Spanier trotz seiner bedeutungsvollen Rolle nicht ersetzt.

Bei Ryan Gravenberch und Mathys Tel könnte man dem FC Bayern positiv unterstellen, dass er in die Zukunft investieren möchte. Doch beide haben ein Spielerprofil, das innerhalb dieses Kaders nur schwer einzubinden ist. Auch in dieser Saison gab es wieder einige Schnellschüsse auf dem Transfermarkt. Mittlerweile stehen fünf Rechtsverteidiger im Kader, aber nur ein defensiver Mittelfeldspieler: Joshua Kimmich, der wegen seines Offensivdrangs eher Achter als Sechser ist.

Mitunter wirkt die Liste an Transfers unter Salihamidžić wie aus einer Fußballmanager-Simulation. Auf dem Papier ganz nett, aber welche Idee steckt dahinter und wie kann das als Kollektiv funktionieren?

Nicht nur Julian Nagelsmann scheiterte an dieser Kabine

Kollektiv ist auch schon das Stichwort. Denn daran soll Nagelsmann ja vor allem gescheitert sein. Ein Szenario, das in München nicht neu ist. Während es selbst bei hektischen Klubs wie dem FC Barcelona oder Real Madrid offenbar möglich ist, mit Trainern durch ein Tief zu gehen oder mittel- bis langfristig etwas aufzubauen, werden an der Säbener Straße Interna gefühlt schon beim ersten Gegentor durchgesteckt.

Auch Carlo Ancelotti durfte das einst feststellen. Über den Italiener und seine Zeit beim FC Bayern lässt sich sicher viel erzählen. Kritik an seinen Trainingsmethoden oder an der taktischen Tiefe seiner Spielidee war berechtigt. Gleichwohl ist der 63-Jährige als genau die Art Trainer bekannt, die beim Rekordmeister eigentlich immer erfolgreich war. Er gilt als Menschenfänger. Dass er in Madrid abermals sehr erfolgreich war, unterstreicht seine Qualität.

Bei Niko Kovac ist die Situation etwas anders. Der ehemalige Frankfurter kam bereits unter schwierigen Voraussetzungen und passte mit seiner fußballerischen Idee nie so wirklich nach München. Auch bei ihm soll es aber vor allem der zwischenmenschliche Bereich gewesen sein, der zum Aus führte. Das überrascht dann doch angesichts der Tatsache, dass Kovac in Frankfurt und auch jetzt in Wolfsburg dazu in der Lage war, eine sehr gute zwischenmenschliche Ebene mit den Spielern zu finden.

Dass Spieler viel Macht haben, ist nicht neu. Sie entscheiden hauptsächlich über Erfolg und Misserfolg. Beim FC Bayern muss aber spätestens nach dem dritten Trainer, dem dieses Schicksal widerfährt, hinterfragt werden, ob es nicht doch ein großes Kabinenproblem gibt. Zumindest ist es verwunderlich, dass dieses Team offenbar deutlich schwerer zu trainieren ist als andere auf ähnlichem Niveau.

Salihamidžić und die Macht der Kabine

Salihamidžić ist hauptverantwortlich für die Zusammenstellung der Kabine und auch dafür, entsprechende Charaktere in der Kaderplanung zu berücksichtigen. Nach dem Rauswurf von Nagelsmann muss die Frage gestattet sein, warum es ihm nicht gelang, einen homogeneren Kader zusammenzustellen. Der Sportvorstand steht selbst für eine neue Zeitrechnung beim FC Bayern.

Zum Autor
  • Justin Kraft ist freier Autor und Blogger bei miasanrot.de.
  • Als Jahrgang 1993 durch die "Generation Kahn" mit dem FC Bayern in Kontakt gekommen.
  • Fußball-sozialisiert mit der "Generation Lahmsteiger", der er 2019 sogar ein nach ihr benanntes Buch widmete.

Er ist einst mit dem Auftrag angetreten, den Klub in eine Zukunft zu führen, in der alte Zöpfe nach und nach abgeschnitten werden. Nagelsmann war offenbar bereit dazu. Thomas Müller rückte unter ihm schrittweise in eine weniger bedeutende Rolle, während Jamal Musiala der neue dominante Mann im offensiven Zentrum wurde. Manuel Neuers Machtposition wurde durch die Entlassung von Toni Tapalovic, die Salihamidžić und Co. noch mitgetragen hatten, erheblich geschwächt.

Letztendlich wurde der Druck auf Nagelsmann aber zu groß. Die Ergebnisse stimmten nicht mehr, der Einfluss einzelner in der Kabine ist unverkennbar. Nagelsmann selbst ist gewiss nicht nur Opfer der Umstände. Womöglich war der Trainer ein wenig zu verbissen. Wie einst der junge Jupp Heynckes, der in seiner ersten Zeit beim FC Bayern alles andere als unerfolgreich war, dem der große Wurf aber zunächst verwehrt blieb. Heynckes galt bei vielen als verbissen und stur, als unerfahren.

Schnellschuss passt ins Bild des FC Bayern

Viele Jahre später kehrte er, sogar mehrfach, zum FC Bayern zurück - mit einer Leichtigkeit und Gelassenheit, die er in jungen Jahren nicht hatte. Vielleicht wird auch Nagelsmann eines Tages eine zweite Chance erhalten. Für den Moment aber scheint es so, als wäre er noch nicht bereit gewesen. Zumindest nicht für eine Kabine, die derart schwierig ist wie jene des FC Bayern München. Die Unterstützung des Klubs bekam er dabei allenfalls halbherzig.

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Der Schnellschuss während der Länderspielpause passt hervorragend in die Transfergeschichte der vergangenen Jahre: Kaum steht man einen Punkt hinter Borussia Dortmund, wird es panisch an der Säbener Straße. Man wolle sich nicht erneut die Gelegenheit entgehen lassen, Tuchel zu verpflichten, wird berichtet. Der "Kicker" schrieb davon, dass es intern dennoch keine Einigkeit darüber geben soll, ob der ehemalige BVB-Trainer der richtige Mann ist.

Auch er wird sich trotz seiner Zeit bei Paris Saint-Germain und dem FC Chelsea mit einer Kabine auseinandersetzen müssen, die er so wohl noch nie gesehen hat. Tuchel gilt nicht unbedingt als Menschenfänger, eckt gern an. Vielleicht ist er damit genau der richtige Mann für die vielen Egos dieses Teams. Kurzfristig sollte er dem FC Bayern mit seiner enormen Qualität schnell helfen können. Vielleicht aber wird es auch bei ihm irgendwann die Nachricht geben, dass er die Kabine verloren habe. Denn das Grundproblem des FC Bayern sitzt nicht auf der Trainerbank.

Quelle: ntv.de

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