
Pep Guardiola ist der Bernd Stromberg des Weltfußballs.
(Foto: picture alliance / empics)
Im Halbfinale der Champions League zeigt Manchester City in den ersten 45 Minuten den perfekten Fußball. Pep Guardiolas Wunderfußballer demütigen Titelverteidiger Real Madrid. Der englische Klub zieht in das Finale ein und dürfte auch dort triumphieren. Doch zu welchem Preis?
Pep Guardiola und Manchester City haben die Perfektion erreicht. Das englische Star-Ensemble spielt gegen Real Madrid eine der besten Halbzeiten der Fußball-Geschichte und überrennt beim 4:0 (2:0) den Titelverteidiger der Champions League. Es ist ein Spiel für die Geschichtsbücher und eines, das den Tabellenführer der Premier League endgültig zum besten Team Europas und somit auch der Welt macht. Doch weil es der moderne Fußball ist, legt sich ein dunkler Schatten über das perfekte Spiel.
Alles, was der ehemalige Bayern-Trainer Guardiola in seinen mittlerweile sieben Jahre in der englischen Metropole Manchester errichtet hat, kam an diesem Mittwoch zusammen. Es war der bisherige Höhepunkt der Citizens. Die sind bekanntlich immer noch ohne Titel in der Königsklasse. Doch das dürfte sich bereits im kommenden Monat in Istanbul ändern. Dort steht das Finale gegen Inter Mailand an.
Niemand, der die ultimative Krönung des Pep-Fußballs gegen Real Madrid verfolgt hat, hegt jedoch nur den geringsten Zweifel an dem kommenden Triumph. Es bedarf schon eines der größten Wunder der Fußball-Geschichte. Denn alles, was Manchester City je geplant hat, geht in dieser Saison der totalen Dominanz auf. Als erstes englisches Team seit dem Stadtrivalen Manchester United stehen sie vor dem Triple aus Meisterschaft, FA-Cup, wo sie im Finale auf Manchester United treffen werden, und eben Champions League.
"Erstmal müssen wir die ersten beiden Titel gewinnen", sagte Guardiola nach dem Spiel. "In der Premier League sind wir nah dran. Wir brauchen noch einen Sieg. In den anderen Finals spielen wir gegen unsere Nachbarn und gegen eine italienische Mannschaft. Die Saison ist wirklich sehr, sehr gut. Jetzt müssen wir sie nach Hause bringen. Wir sind sehr nah dran und wir werden alles versuchen. Wir sind da. Wir können darüber nachdenken. Wir können es uns vorstellen. Wir sind drei Spiele entfernt. In jedem Wettbewerb ein Spiel. Wir können es schaffen."
Erling Haaland nicht die einzige Waffe von City
Dabei waren die Heldenfußballer von Real Madrid mit großen Hoffnungen in das Spiel im Ethiad Stadium in Manchester gegangen. Aus dem 1:1 im Hinspiel hatte der Titelverteidiger, der 14-fache Triumphator in der Champions League, den Glauben an eine Sensation gegen das momentan nicht nur beste, sondern eben auch formstärkste Team der Welt mitgenommen. Doch mit jedem Ballkontakt Citys im Rückspiel wurde die Hoffnung geringer. Kevin de Bruyne, İlkay Gündoğan und Rodri organisierten das Spiel in der Mitte, drückten die alten Herren Toni Kroos und Luka Modrić immer wieder tief in die eigene Hälfte.

Der ehemalige Wolfsburger Kevin de Bruyne (r.) steht vor der Krönung seiner Karriere.
(Foto: picture alliance / ATP photo agency)
Auf den Flügeln überliefen Jack Grealish und Bernado Silva ihre Gegner, vorne lauerte Tor-Gigant Erling Haaland und brachen die Spanier einmal durch, stand dort Kyle Walker, der Vinicius Junior wie Mats Hummels im Laufduell gegen 100-Meter-Weltrekordler Usain Bolt aussehen ließ. Real Madrid war chancenlos gegen die Übermacht des Superteams, das nach 15 Minuten 124 Pässe an den Mann gebracht hatte. Die Mannschaft von Trainer Carlo Ancelotti kam da auf gerade einmal 13. Allein Torhüter Thibaut Courtois bewahrte sie da vor dem Untergang. Zweimal verhinderte er Haaland-Tore. Einmal mit der Hüfte (13.) und einmal mit einer Glanzparade (21.). Der Belgier hatte im letzten Finale der Champions League beinahe im Alleingang Liverpool besiegt, doch diesmal konnte er nur das norwegische Torwunder zur Verzweiflung treiben.
Der Rest entglitt auch ihm, weil Haaland eben "nur" eine Tormaschine ist, aber nicht die einzige Wunderwaffe von Pep Guardiola und Manchester City. Die betrieben ihr Passspiel einfach weiter, attackierten die Flügel, spielten den Ball zurück, wollten ihn nicht herschenken. Die Tore fielen zwangsläufig. Eben nicht durch Haaland, sondern durch den Portugiesen Bernado Silva, der einmal von de Bruyne wunderbar freigespielt wurde (23.) und einmal einen geblockten Gündoğan-Schuss überlegen ins Tor köpfte (37.). Zum Zeitpunkt des Führungstreffers hatte City den Passwahn weiter auf die Spitze getrieben. Sie waren bei 196 angekommenen Pässen, Madrid bei 30. Reals Helden waren müde, schnupperten nur durch einen Fernschuss von Toni Kroos (35.) am Ausgleich. Doch der Ball des Weltmeisters von 2014 krachte an die Latte und alle Hoffnung starb.
Unglaubliche Statistiken zur Halbzeit
Am Ende der ersten Halbzeit hatte Manchester City 72 Prozent Ballbesitz, 13 Torschüsse, vier große Chancen, 316 angekommene Pässe und zwei Tore. Real Madrid hingegen kam auf 28 Prozent Ballbesitz, ein Torschuss, null große Chancen, 99 angekommene Pässe und null Tore. Es war die dominanteste erste Hälfte in einem Halbfinale der Champions League seit langer, langer Zeit. "Es ist nicht so, dass wir logischerweise nicht wollten", erklärte Reals alter Mittelfeldstratege Kroos später. Madrid konnte einfach nicht. Manchester City war zu stark. Die zweite Halbzeit mit Toren von Manuel Akanji (76.) und Weltmeister Julian Alvarez (90+1.), der spät für Haaland kam, war nur noch Formsache.
"Nach zehn oder 15 Minuten hatte ich das Gefühl, dass der ganze Schmerz, den wir ein Jahr lang mit uns rumgeschleppt haben, da war", sagte Guardiola, der sich an das Halbfinal-Aus gegen Real im Jahr 2022 erinnerte: "Wir mussten Gift schlucken." Vor einem Jahr war die Heldenmannschaft der Königlichen im Hinspiel nach einem 0:2 noch auf ein 3:4 herangekommen. Im Rückspiel drehten sie das Duell und gewannen mit 3:1. Kurze Zeit später holten sie mit dem Sieg über Liverpool einen weiteren Titel in der Champions League, Guardiola war wieder einmal gescheitert.
Doch im Jahr 2023 ist Scheitern für Manchester City keine Option. Die Citizens stürmen auf den Höhepunkt ihrer Vereinsgeschichte zu. Es gibt kein realistisches Szenario, in dem sie in den kommenden Wochen nicht als die großen Helden der Spielzeit 2022/2023 gefeiert werden. Das Team von Pep Guardiola hat seit einer 0:1 Niederlage bei Tottenham Hotspur am 5. Februar 2023 kein Spiel mehr verloren. Von 23 Partien gewannen sie 19, viermal spielten sie Unentschieden - bei Nottingham Forest, RB Leipzig, Bayern München und eben Real Madrid. Den großen Rest gewannen sie teils ungefährdet. Mal mit 7:0 - wie gegen RB Leipzig im Achtelfinal-Rückspiel - oder mal 4:1 - wie gegen Liverpool oder den damaligen Premier-League-Tabellenführer Arsenal.
Wie Manchester City den Zufall ausschließt
"Der Fußball und der Sport geben dir immer eine neue Chance", erklärte City-Trainer Guardiola nach dem Spiel und sprach doch nicht die ganze Wahrheit. Denn das war der dunkle Schatten über dem perfekten Spiel von City. Die Minimierung der Chancen für andere Klubs und die Maximierung der Möglichkeiten für Manchester City durch den Einsatz von Milliarden von Euro führte letztendlich zu dem Ausschluss des Prinzips Zufall im Fußball. Nicht jeder bekommt eine neue Chance, sondern nur der, für den Geld keine Rolle mehr spielt. Für den, der sich, wie Manchester City aus Abu Dhabi, auf die nie versiegenden Geldquellen ganzer Staaten verlassen kann.
Der Wettbewerb an der Spitze ist längst keiner mehr. Nicht einmal die alten Helden aus Madrid, die selbst nicht unschuldig an dieser Entwicklung sind, können da mehr mithalten. Die Geschichte des modernen Fußballs ist eine der finanziellen Unwucht und eine, die dafür sorgt, dass, wenn sich unendlicher Reichtum mit großem Talent und einem der besten Trainer der Welt vermengen, niemand mehr mithalten kann. Vielleicht nur noch die Gerichte.
Aktuell ermittelt eine unabhängige Kommission der Premier League gegen den Scheich-Klub. Es geht um mutmaßliche Verstöße gegen die Finanz-Regeln der englischen Liga. Die Liga wirft den Klub-Verantwortlichen vor, während neun Spielzeiten zwischen 2009 und 2018 unkorrekte Finanzinformationen bereitgestellt zu haben, "insbesondere in Bezug auf ihre Einnahmen (einschließlich Sponsoring-Einnahmen), ihre verbundenen Parteien und ihre Betriebskosten." Als Strafmaß ist von finanziellen Sanktionen bis zu Punktabzug alles denkbar. Doch bis es zu einem Urteil kommt, regelt Manchester City die Geschichte auf dem Platz. Dort gelingt ihnen immer wieder das perfekte Spiel.
Quelle: ntv.de