
Zwei Autos fahren in Rostock über das Spielfeld.
(Foto: picture alliance / Fotostand)
Der Investorenstreit im deutschen Fußball wird auch im englischsprachigen Ausland mit Interesse verfolgt. Die, die dort das Bild der Bundesliga transportieren, schauen mit ein wenig Wehmut auf Deutschland. Dabei haben sie dort immer noch die Erinnerung an ein Huhn. Mehr ist nicht geblieben.
So schlimm kann es um den deutschen Fußball gar nicht stehen: Ein Huhn haben die Fans zumindest bislang noch nicht aufs Spielfeld gejagt. Das hatten dereinst die Fans des damaligen englischen Premier-League-Klubs Blackburn Rovers aus Protest gegen ihren damals noch neuen indischen Eigentümer, das Geflügelunternehmen Venky's, am Tag ihres Abstiegs im Spiel gegen Wigan Athletics getan und für ein großes Hallo gesorgt.
Noch ist in Deutschland, zumindest von den Fans, kein lebendes Tier auf den Platz verfrachtet worden, doch auch in den beiden ersten Ligen des Landes nehmen die Proteste im Investorenstreit immer kreativere Ausmaße an. Parallel dazu erreichen sie das Epizentrum der deutschen Diskussionskultur: die Talkshows im linearen TV.
Nach "Markus Lanz" in der abgelaufenen Woche wird sich auch "Hart aber Fair" am Montag unter dem Titel "Aufstand der Fans: Machen Investoren den Fußball kaputt?" mit dem großen Sport-Aufreger der vergangenen Wochen beschäftigen. Der Fußball ist in Gefahr - und diesmal ist es keine Floskel. Mitten in der laufenden Ausschreibung um die neuen nationalen TV-Rechte für die Bundesliga ist ein Kampf um die Zukunft des deutschen Fußballs entbrannt.
Viel steht auf dem Spiel. Es ist, verkürzt dargestellt, ein Streit darum, wem der Fußball gehört und wer ihn in Zukunft mitbestimmt. Die Deutsche Fußball-Liga (DFL) und ein Großteil der Fans stehen sich unversöhnlich gegenüber. Die 36 Klubs, die zur DFL gehören, sind untereinander gespalten und zudem steht die 50+1-Regelung auf dem Spiel.
Der internationale Sonderfall Bundesliga
Ein Investor, CVC aus Luxemburg, soll bis eine Milliarde Euro an die Liga zahlen und dafür im Gegenzug für 20 Jahre acht Prozent an den Einnahmen aus Medienrechten erhalten. Er soll dabei keinen Einfluss nehmen können, die Liga will die Milliarde dafür einsetzen, dem deutschen Fußball international neue Geldquellen zu erschließen.
Seit Wochen nun ziehen sich die Proteste der Fans, die sich einmal zu oft von der Liga betrogen und hinters Licht geführt fühlen. Sie erregen dabei nicht nur in Deutschland Aufmerksamkeit, sondern sorgen auch international für neue Schlagzeilen. Dort wird mit ein wenig Verwunderung auf die Deutschen geblickt. Die Bundesliga bleibt ein Sonderfall.
In Spanien berichtet die "AS" über eine "Tennisball-Meuterei" im deutschen Fußball und in England schauen sie mit Hochachtung auf die, die für ihre Idee des Fußballs einstehen. Dort haben längst ganze Staaten Klubs übernommen und duellieren sich auch auf sportlicher Ebene um Prestige und Einfluss. All das hängt auch mit den traditionell anderen Eigentümerstrukturen im englischen Fußball zusammen. Die ermöglichen den massiven Geldeinsatz, der nicht immer, aber häufig, auf die Zustimmung der Fans trifft. Denn sportlicher Erfolg steht dort über allem, anders als in Deutschland.
Bei Bayer gegen Bayern wird die Welt darauf aufmerksam
"Es ist doch so. Der allgemeine Eindruck der Leute hier in England, ob sie nun die Bundesliga verfolgen oder nicht, ist, dass die deutsche Fankultur eben nicht nur Vereinsinteressen abbildet", sagt Richard Jolly von "The Independent" im Gespräch mit ntv.de. Er wurde beim Top-Spiel Bayer Leverkusen gegen Bayern München auf die Proteste aufmerksam. Da hatte sich der Anpfiff nach Kamelle-Würfen verzögert. Es war ein Spiel, das weltweit aufgrund der sportlichen Brisanz im Fokus stand und bei dem weltweit zahlreiche Fußball-Fans erstmals auf den Unmut der deutschen Fans stießen. Dabei hielten sie sich dort noch in Grenzen. Die rauchtopftransportierenden, ferngesteuerten Modellautos wurden erst an diesem Wochenende in Rostock, fernab der internationalen Kameras ausgepackt.
Doch trotzdem hallen die Proteste mittlerweile immer mehr auch im Ausland nach. "Wenn es hier in England Proteste gibt, dann geht es doch meist um den eigenen Verein. Der einzige derart koordinierte Protest war damals gegen die Super League", sagt Jolly. Damals, im April 2021, waren die englischen Klubs, die sich der kurzlebigen Super League angeschlossen hatten, binnen kürzester Zeit eingeknickt. Ohne die Big Six aus dem Vereinigten Königreich - Arsenal, Chelsea, Liverpool, Manchester City, Manchester United und Tottenham Hotspur - war die geplante Rebellen-Liga binnen weniger Stunden zusammengebrochen.
Englische Fans nicht so "anspruchsvoll"
"In England wissen die Fans vielleicht überhaupt nicht, was sie für eine Macht besitzen, obwohl die Super-League-Proteste insbesondere bei Chelsea uns gezeigt haben, was möglich ist", sagt Andy Brassell. Er kennt den europäischen Fußball wie kaum ein anderer. Der Brite berichtet für "The Guardian" über das, was in Deutschland passiert. "Aber es liegt natürlich auch an dem Unterschied zwischen dem, was englische und deutsche Fans als existenzielle Bedrohung empfinden. Der englische Fan ist da bei den Investoren nicht annähernd so anspruchsvoll."
Was Brassell besonders bemerkte, war die Art der Proteste. "Das Ausmaß, wie wir es zuerst bei Hertha gegen Hamburg gesehen haben, mit einer halbstündigen Unterbrechung, dazu dieser immense Einfallsreichtum, wie die Schlösser an den Pfosten in Hamburg die Woche drauf, das ist bemerkenswert", sagt er.
Englischer Fußball hat viel größere Probleme
Immer wieder sticht in den Gesprächen mit englischen Beobachtern die Bewunderung für den Grad der Organisation und der Kampf um die Ziele hervor. "Die Premier League ist ein Produkt, die Fans sind Konsument. Die Kultur wurde bereits verkauft. Es gibt da nichts mehr, worüber man sich wirklich aufregen könnte", sagt Sebastian Stafford-Bloor, der Bundesliga-Korrespondent für "The Athletic", deren Inhalte teilweise auch von der Sportseite der "New York Times" verbreitet werden.
Der in Hamburg lebende Journalist stellt einen weiteren Unterschied zwischen England und Deutschland her. "In England geht es um die richtig großen Probleme des Sports. Es geht um Klubs in Besitz von Staaten, es geht um Sportswashing und Geldwäsche. All das ist da viel präsenter", sagt er, daher sei der Blick auf die Bundesliga nicht leicht. Weil all das in England da ist und selten überhaupt Protest hervorruft. "In Deutschland wird klar zwischen den Protesten und dem Fußball getrennt. Was auf dem Spielfeld passiert, ist nie wichtiger als das, wofür der Sport steht. Die Fans schauen über das Geschehen in einem bestimmten Spiel hinweg und blicken auf das große Ganze. Das ist im modernen Fußball nicht sehr oft der Fall."
Mehr Spaß, weniger Fadenkreuze
Ein wenig anders sieht es Ryan Hunn. Gemeinsam mit dem Autor Musa Okwonga betreibt er mit "Stadio" einen der wichtigsten Podcasts über den internationalen Fußball. Ja, all das sei einzigartig und zeige wieder einmal, wie besonders der deutsche Fußball ist, doch am Ende komme die Kernaussage im Ausland nur sehr langsam an. Er sagt: "Es ist spannend zu sehen, dass sich Fans so vieler Vereine gegen den Verkauf von Anteilen wehren, auch wenn dies vielleicht einen Rückschritt auf europäischer Ebene bedeutet."
Genau das ist das von den Befürwortern des Investorendeals skizzierte Szenario. Es ist eines, das für die Gegner wenig realistisch erscheint. Und eines, das zu dem Unmut beigetragen hat. "Ich glaube, viele außerhalb Deutschlands verstehen nicht, worum es bei diesen Protesten geht. Dann sehen sie fliegende Tennisbälle, wissen aber gar nicht, in welchem kulturellen Kontext das passiert", sagt Hunn und findet noch scharfe Worte gegen die Fadenkreuz-Proteste gegen Hannovers Martin Kind. Er fordert mehr Spaß: "Es bereitet den Verantwortlichen doch mehr Kopfzerbrechen, wenn erwachsene Menschen Tennisbälle oder Kamelle vom Spielfeld räumen müssen, als wenn es düstere Bilder sind."
Und was ist jetzt mit dem Huhn?
Spaß hatten die Fans der Blackburn Rovers, die 2012 ein Huhn aus Protest gegen die unbeholfen agierenden Besitzer auf das Spielfeld jagten, aus sportlicher Sicht nie mehr so richtig. Der englische Meister von 1995 ist nach dem Abstieg 2012 bis in die League One, die dritte englische Liga, abgestürzt.

Das Huhn ist wieder da. Burnley feiert den Aufstieg im April 2023.
(Foto: picture alliance / empics)
Von dort haben sich die Blackburn Rovers zurück in die Championship, die zweite Liga, gekämpft. Dort erreichten sie im vergangenen Jahr mit Rang sieben ihre beste Platzierung. Die Eigentümer Venky's sind immer noch da. Einst hatten sie den Fans der Blackburn Rovers einen Trainer wie Diego Maradona und Spieler wie Ronaldinho versprochen. Längst haben sie sich aus dem operativen Geschäft zurückgezogen, doch sie unterstützen den Verein weiter finanziell. Ein Huhn unterbrach noch einige andere Spiele des Vereins.
Als sie im Derby gegen Burnley kurz vor Ende der Saison zu Hause mit 0:1 verloren, der East-Lancashire-Rivale die Meisterschaft feierte und die eigenen Hoffnungen auf die Playoffs zur Premier League schwanden, feierten die Spieler und Fans von Burnley ihren großen Erfolg mit Huhn-Masken. Doch darüber wird in Deutschland in den nächsten Tagen wohl eher weniger gesprochen werden. Immerhin macht die Liga nach all der sportlichen Dürre des letzten Jahrzehnts nun auch international wieder auf sich aufmerksam. Weil Bayer Leverkusen eine so großartige Saison spielt und weil die Fans mit der Liga im Clinch liegen und deren Zukunft vor den Augen der interessierten Weltöffentlichkeit ausfechten.
Quelle: ntv.de