Sechs Lehren des 11. Spieltags Guardiola besessen, Kramer spielt scheiße
10.11.2014, 12:10 Uhr
Josep Guardiolas Dämonen treiben am 11. Spieltag ihr Unwesen - und befallen auch das Team des FC Bayern. Von allen guten Geistern verlassen scheint Christoph Kramer. Schalke lamentiert, Werder feiert laut.
1. Football, bloody hell
Christoph Kramer ist 23 Jahre alt. Er hat ein WM-Finale gespielt, an das er sich nur in Bruchstücken erinnern kann. Am Sonntag hat er im Duell seiner Gladbacher gegen den BVB eines der merkwürdigsten Eigentore der Bundesliga-Geschichte geschossen, mit einem 45-Meter-Heber über den eigenen Torwart. Die Situation war so grotesk, dass Dortmunds Sebastian Kehl gar nicht jubelte, sondern sofort seinen jungen Kollegen in den Arm nahm. Wie Kramer nach dem Spiel reagierte, verwunderte fast nicht weniger als die Szene an sich: "So ein Eigentor, das kann halt mal passieren", sagte er. Sicherlich. Rein theoretisch war so ein Tor schon immer denkbar, nur eben so wahrscheinlich wie ein Hattrick von Sandro Wagner. Den praktischen Beweis für diesen grotesken Auswuchs der fußballerischen Chaostheorie erbrachte erst Kramer selbst, in der 58. Minute im Dortmunder Westfalenstadion. Die schien der Gladbacher aber schon verwunden zu haben nach dem Schlusspfiff - anders als seine Leistung: "Ich spiele natürlich heute über 90 Minuten echt brutale Scheiße, und deswegen ärgert mich das echt mehr."
2. Das Glück ist zurück beim BVB
Sieht man die Szene im größeren Kontext, gewinnt sie nochmals an Skurrilität: Der Treffer von Kramer blieb der einzige des Tages. Dabei verzeichneten die Statistiker 8:0 Chancen für die Hausherren, die als Tabellenletzer in die Partie gingen, aber nahtlos an ihre Champions-League-Auftritte anknüpften. Sie überrannten die überforderten Gladbacher förmlich, gewannen 72 zu 53 Zweikämpfe, erarbeiteten sich beste Möglichkeiten. Nur: Sie vergeigten sie alle. Allein Marco Reus traf je einmal den Pfosten und die Latte. Trainer Jürgen Klopp wollte nicht meckern: "Die Mannschaft hat ein außergewöhnliches Spiel gemacht und lange überragend gespielt", sagte er bei "Sky". Zwar musste das Glück in Form von Kramers Blackout mithelfen, daran konnte Klopp aber nichts Ehrenrühriges finden: "Wenn das der Dosenöffner gewesen sein soll, nehme ich das gerne hin und werde das später als Anekdote erzählen." Jetzt, wo der Dortmund-Express in der Liga rollt, fragt man sich aber nur: Wo ist der Zielbahnhof? Die Champions-League-Ränge sind jedenfalls immer noch neun Punkte entfernt.
3. Guardiola ist wirklich nie zufrieden
Der Bayern-Trainer behauptet das zwar. Gerne in Verbindung mit seinem persönlichen Superlativ, der darin besteht, möglichst oft "super" vor das Substantiv zu setzen. Was das bedeutet? Nichts. Den Kroaten Mario Mandzukic hat Josep Guardiola vergangene Saison als "super, super Stürmer" bezeichnet. Dann musste der super, super Stürmer gehen. So viel dazu. Jedenfalls betonte Guardiola nach dem locker-leichten 4:0 in Frankfurt ein Wort besonders: verbessern. Das sei das Wichtigste für sein Team. Geschuldet ist diese Besessenheit sicher auch der bitteren Champions-League-Pleite in der vergangenen Saison gegen Real Madrid, als die Bayern in der entscheidenden Saisonphase stagnierten, mit ihrem System haderten und zu Nachlässigkeiten neigten. Stand jetzt folgt das Team Guardiola bedingungslos, gut abzulesen an Jérôme Boatengs Antwort auf die Frage, in wie vielen Spielen der FCB noch Gegentore zulassen werde: "Irgendwann wird es wieder ein Tor gegen uns geben. Wir haben auch gegen Frankfurt vier Eckbälle leichtfertig hingegeben." 4:0 gewonnen, aber vier Ecken zugelassen. Das riecht nach Straftraining.
4. Nomen est omen
Was Trainerwechsel in der Fußball-Bundesliga bringen? Manchmal gar nichts, oft wenig, wie die Schalker gerade leidvoll erfahren - und mitunter 100 Prozent. So lautet die Siegquote von Werder Bremen unter seinem neuen Coach Viktor Skripnik. Drei Pflichtspiele bestritten die Bremer unter dem Nachfolger von Robin Dutt, dreimal gingen sie als Gewinner vom Platz - eine Serie, die Werder unter Dutt nie fertigbrachte. In Bremen firmiert der schweigsame Ukrainer längst als "Viktory" Skripnik, angeblich sind Sieger-Shirts in der Produktion.
Sahen die Fans im Weserstadion noch vor zweieinhalb Wochen beim niederschmetternden 0:1 gegen Köln fassungslos zu, wie sich ihr Team zum Abstiegskandidaten Nummer eins dilettierte, kehrt mit Skripnik die Zuversicht zurück. Das entscheidende Tor zum 2:0 gegen Stuttgart durch Fin Bartels bejubelten sie mit 109 Dezibel, das ist der drittlauteste Wert der Bundesliga-Saison - danke an den Bezahlsender "Sky" für diese höchst wichtige Statistik. Skripnik wird sich für solchen Schnickschnack eher nicht interessieren. Der 44-Jährige gilt als akribischer Arbeiter. Sebastian Prödl lobte die detaillierte Spielvorbereitung - die in der eingeübten Eckenvariante zum 2:0 ihren Höhepunkt fand. Nicht zuletzt verfügt Skripnik über einen Vorzug, den Robin Dutt nicht aufweisen konnte: Er ist Werderaner durch und durch. Einer wie Thomas Schaaf. Der starke Zlatko Junuzovic brachte es so auf den Punkt: "Wir haben das Werder-Gen wieder."
5. Selbstkritik hilft
Mehr als einen Monat ist Jens Keller nun schon nicht mehr Trainer des FC Schalke, doch Spieler und Verantwortliche reden dort immer noch über ihn. Und zwar: schlecht. Unter Kellers Nachfolger Roberto di Matteo kombinieren die Schalker inzwischen hässlichen mit erfolglosem Fußball. Die Schuld daran trägt aber natürlich Keller, der das Team nicht ausreichend fit gemacht habe für die Härten der Saison. Sportvorstand Horst Heldt vertröstet die Fans auf die Winterpause, dann werde Schalke wieder angreifen. Bis dahin gibt er als Maxime aus, womit er sich besonders gut auskennt: "durchwursteln".
Einen etwas anderen Weg als die kriselnden Königsblauen gingen in den vergangenen Wochen die Freiburger. Die hielten einerseits an ihrem Trainer fest, hinterfragten das eigene Tun aber dennoch selbstkritisch. Das Ergebnis bei SC-Coach Christian Streich, der mit seinem Team in den ersten neun Ligaspielen ohne Sieg geblieben war, fiel schonungslos aus - gegenüber sich selbst: "Es war so, dass ich nicht zu 100 Prozent mit der Situation umgehen konnte", bekannte Streich nach dem erlösenden 1:0 in Köln: "Ich konnte der Mannschaft nicht alle Kraft geben. Diesen Schuh muss ich mir anziehen. Sonst hätten wir vielleicht schon ein paar Punkte mehr." Die holt der SC jetzt. Den klaren Aufwärtstrend seit Mitte Oktober bestätigte die Mannschaft gegen Schalke mit dem ersten Heimsieg der Saison.
6. Geld bereitet Tore vor
Kevin de Bruyne hat etwas Zeit gebraucht beim VfL Wolfsburg, ehe er spielte wie ein 22-Millionen-Euro-Mann. Diese Summe hatten die Wolfsburger im Winter den FC Chelsea überwiesen, um den Belgier in die Autostadt zu lotsen. Dort fehlte ihm trotz seines Bundesliga-Lehrjahrs in Bremen zunächst die Orientierung. Die offensiven Qualitäten, die das Spiel des belgischen Dribbelkönigs auszeichnen, ließ de Bruyne beim VfL lange vermissen. Inzwischen ist der Belgier angekommen in der Autostadt. Beim 2:0 gegen den Hamburger SV traf er zwar nicht selbst. Aber er bereitete beide VfL-Tore vor und schraubte sein Assistkonto auf 9 Vorlagen. Damit ist der belgische Nationalspieler der beste Vorbereiter der Liga und hat schon jetzt seinen persönlichen Saisonrekord eingestellt.
Quelle: ntv.de