Sechs Lehren des 8. Spieltags Guardiola foppt Lahm, Klopp blafft
20.10.2014, 12:34 Uhr
Gut gelaunt in diesen Tagen: Josep Guardiola, Trainer des Spitzenreiters.
(Foto: imago/MIS)
Die Aufbruchstimmung beim BVB verpufft am 8. Spieltag in Köln. Jürgen Klopp wirkt ratlos und gereizt. Ganz anders die Lage beim FC Bayern, der Bremen historisch demütigt: Josep Guardiola veralbert seinen Kapitän.
1. Rekorde bringen nicht immer Freude
Wenn es so weitergeht, werden die Geschichten über die fußballerischen Heldentaten von Werder Bremen gegen den großen FC Bayern bald mit den Worten beginnen: "Weißt Du noch, damals ..." Schon jetzt ist die Erinnerung daran verblasst, wie die Bremer in einer grandiosen Saison zum Double stürmten und sich mit einem 3:1 vorzeitig die Meisterschaft sicherten. In München, mit Verve und Stil und Tempo. Zehn Jahre ist das her, es wirkt wie ein Jahrhundert. Wenn die Bremer jetzt gegen den FC Bayern antreten, fürchten die Werder-Fans, dass es zweistellig wird. Das blieb ihnen am Samstag zwar erspart, die Münchner legten nach vier Toren vor der Pause nur noch zwei nach. Denkwürdig wurde das Spiel für Bremen und die Bundesliga dennoch: Als erste Mannschaft seit Beginn der Datenerfassung 1992/93 blieb Werder - einst gefürchtet für seine Offensivkraft - ein komplettes Spiel lang ohne Torschuss. Fußballnerds dürfte auch der Umstand erfreuen, dass beide Torhüter im gesamten Spiel keine Parade zeigen mussten - auch nicht Werders Raphael Wolf, der weiter in der grünsten Schießbude der Liga steht.
Mitleid legten die Bayern nicht an den Tag, eher schien ein wenig Schadenfreude durch. "Ein Doppelpack, das wird mir so schnell nochmal passieren", sagte ein lächelnder Philipp Lahm, und sein Trainer Josep Guardiola gab launisch zu Protokoll, er sei enttäuscht von seinem Kapitän: "Ich wollte einen Hattrick." Wer den Schaden hat, liebe Bremer ...
2. Die Krise trägt Schwarzgelb
Irgendwann lag Dortmunds Weltmeister Kevin Großkreutz am Samstagnachmittag unweit der Eckfahne auf dem Rasen, zu Boden gerempelt vom Kölner Siegeswillen. Und Hennes der Geißbock schaute mitleidig auf ihn herab. Es ist bekannt, dass Hennes VIII. gelegentlich Fluchtgedanken überkommen oder ihn Todessehnsucht befällt, wenn sein FC sich an Fußball probiert. Am Samstag aber, gegen Angstgegner Borussia Dortmund, war Hennes VIII. von Fluchtgedanken weit entfernt. Die Feierlichkeiten zum ersten Sieg gegen den BVB seit elf Spielen, die hätte er ja dann verpasst. Mit 2:1 gewann Aufsteiger 1. FC Köln gegen Champions-League-Teilnehmer Borussia Dortmund, durchaus glücklich, gemessen am Leistungsvermögen beider Teams aber durchaus verdient.
BVB-Coach Jürgen Klopp stellte seinem Team nach der dritten Liganiederlage in Folge und dem schlechtesten BVB-Saisonstart seit 27 Jahren ein Zeugnis aus, das auf eine existenzielle Krise hindeutet: "Wir haben eine Art Fußball gespielt, die absolut keinen Sinn macht". Apropos keinen Sinn: Komischere Karate-Flugeinlagen als die von Weltmeister Roman Weidenfeller vor dem 1:2 gibt es nur in Jackie-Chan-Filmen. Würden nicht auch noch Bremen und Hamburg durch die Bundesliga dilettieren, würde die Borussia aus Dortmund mit ihren sieben Punkten aus acht Spielen einen Abstiegsplatz belegen. Das weiß natürlich auch Klopp. Zwischen der blamablen Heimniederlage gegen den Hamburger SV und der Pleite beim FC hatte er der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt: "Ich bin kein abergläubischer Mensch, sonst würde ich sagen: Haben wir tatsächlich 2011 und 2012 so sehr positiv überrascht, dass wir jetzt dafür so aufs Maul bekommen? Ich dachte, das sei abgegolten mit dem Champions-League-Finale und dass wir da genug zurückbezahlt hätten." Nach dem Spiel in Köln sagte Klopp wortreich nichts. Er wirkte ratlos wie noch nie, blaffte sogar einen Kollegen an, der nach dem Comeback von Ilkay Gündogan fragte. Die Krise, sie trägt jetzt offiziell Schwarzgelb, und auf der Brust steht: Borusse.
3. Dänen fliegen nicht
Seine erste Bundesliga-Saison hatte noch gar nicht angefangen, da stand Kasper Hjulmand mit dem FSV Mainz schon am Abgrund, direkt an der Kante. Aus in der Europa-League-Qualifikation, Aus im DFB-Pokal - Aus für den neuen Coach? Die Mainzer hatten es schließlich schon einmal fertiggebracht, noch vor dem Ligastart den wichtigsten Posten neu zu besetzen. Doch Hjulmand hatte Glück. Dem Nachfolger von Thomas Tuchel blieb das Schicksal von dessen Vorgänger erspart. Gemeinsam entschlossen sich Verein und Coach, noch mindestens einen Schritt zusammen zu gehen. In Paderborn sahen sie dann, wie Shinji Okazaki in der 94. Minute per Foulelfmeter eine Blamage beim Bundesliga-Debütanten verhinderte. Der Schlussakkord für Hjulmand? Der Beginn einer wundersamen Erfolgsgeschichte. Die brachte dem Dänen nun einen Eintrag in den Mainzer Rekordbüchern ein. Nach dem 2:1-Sieg über den FC Augsburg ist Mainz auch nach acht Spieltagen noch ungeschlagen und Hjulmand der erste FSV-Trainer, dem das in der Bundesliga gelungen ist. Geduld heißt auf Dänisch übrigens "talmod".
4. Im Rauswerfen ist Schalke Meister
Wie viele Trainer er auf Schalke schon erlebt hat? Benedikt Höwedes wurde kurz verlegen. Dann halfen ihm die Kollegen von Bezahlfernsehen aus der Bredouille, allerdings mit einer wenig schmeichelhaften Zahl. Sie lautet: elf. Der Fußball-Weltmeister Höwedes sieht mit seinem schütteren Haupthaar zwar aus, als würde er sich forschen Schrittes dem fußballerischen Ruhestand nähern. Er ist aber erst 26 Jahre jung. Ein Grund für die Frührentnerreife könnte sein, dass er schon seit 2007 als Profi auf Schalke arbeitet. Sieben Jahre, in denen er von neun Trainern betreut wurde, zwei waren zweimal da. Kleine chronologische Erinnerungsstütze für Herrn Höwedes: Mirko Slomka, Mike Büskens, Fred Rutten, Mike Büskens, Felix Magath, Seppo Eichkorn, Ralf Rangnick, Seppo Eichkorn, Huub Stevens, Jens Keller. Nr. 11 ist seit knapp zwei Wochen Roberto di Matteo. Keller war gerade gefeuert, da war der Italo-Schweizer schon angeheuert, so läuft das auf Schalke unter Sportvorstand Horst Heldt.
Der bekleidet sein Amt seit 2010 und hat in dieser Zeit immer wieder mit Fehlern bei der Beurteilung und Einstellung von Trainern geglänzt. Diesen Schluss lassen die Fakten zu, aber auch Aussagen vom meinungsfreudigen Bochumer Coach Peter Neururer. Der sagte den Kollegen von Sport1: "Oftmals haben wir Trainer, die absolute Profis sind, das Problem, dass wir von absoluten Amateuren beurteilt werden." "In your face, Horst", würde man im Basketball dazu sagen. Bei aller Nörgelei an den Schalker Held(t)entaten darf aber nicht übersehen werden: Rauswerfen kann der Horst inzwischen prima, das Timing bei Jens Keller war perfekt. Denn di Matteo bescherte er damit ein Freilos zum Start seiner Trainerkarriere: Hertha BSC. Die Berliner sind im eigenen Stadion der Lieblingsgegner von "Königsblau", sechsmal hatte S04 vor diesem Spieltag daheim in Serie gegen die Hertha gewonnen, immer zu Null. Wie viel vom 2:0-Sieg am Samstag dem Gesetz der Serie und wie viel dem Können di Matteos geschuldet war, lässt sich nicht zweifelfrei klären. In der Geschichte der Bundesliga ist diese Siegesserie jedenfalls noch einmaliger als der Trainerverschleiß auf Schalke. Andererseits: Auch seine acht Vorgänger im Schalke-Amt begannen ihre Karriere bei "Königsblau" mit einem Sieg. Geblieben ist nur Benedikt Höwedes.
5. 45 Minuten können alles ändern
Die Fans drehten den Spielern den Rücken zu, der Trainer blieb konsterniert auf der Bank sitzen. Nach 45 Minuten sah es so aus, als drohe dem VfB Stuttgart eine Blamage mit fürchterlichen Folgen: Fan-Proteste, Trainerdiskussion, eine verunsicherte Mannschaft im Abstiegssumpf. 3:0 lagen die Schwaben im eigenen Stadion gegen Leverkusen zurück, es hätten noch zwei bis drei Tore mehr sein können. Doch plötzlich wirkte es, als hätte Bayer-Coach Roger Schmidt seinen Spielern in der Kabine schon eine Runde Sekt verordnet. Ein völlig rätselhaftes Abwehrverhalten ermöglichte den Stuttgarter den Ausgleich - in 20 Minuten. Der Lahm-große Timo Werner per Kopf (57.), Florian Klein nach einem Fehler von Bernd Leno (67.) und schließlich Martin Harnik (76.) glichen aus. Und dann war es Roger Schmidt, der die Fußball-Welt nicht mehr verstand: "Ein normales Spiel gibt es bei uns anscheinend nicht. Man hat gesehen, wie brutal Fußball sein kann." Ansichtssache. Die neutralen Zuschauer haben gesehen, wie toll Fußball sein kann.
6. Die 70er kommen wieder
Man muss es zumindest hoffen. Wenn die Bayern weiter von Sieg zu Sieg eilen, könnte der Titel in dieser Saison noch früher vergeben werden, und das kann selbst in München keiner wollen. Bierduschen im Januar, das gibt nur Lungenentzündung. Aber wir hätte da ein gutes Omen für alle Fans der gepflegten Spannung: Der Bayern-Jäger Nummer eins nämlich stammt aus Mönchengladbach. Wie damals, in den glorreichen 70er Jahren, als die Borussia und der FC Bayern die Titel unter sich aufteilten. In dieser Spielzeit hat Mönchengladbach 13 Pflichtspiele absolviert und noch keines verloren. In der Bundesliga sind es nach dem 3:0 in Hannover am 8. Spieltag also nun 8 Spiele ohne Niederlage - eine Serie, die sie in Mönchengladbach zuletzt 1976/77 erlebt haben. Da feierte die Borussia am Ende ihre bislang letzte Meisterschaft, unter Trainer Udo Lattek, mit Spielern wie Berti Vogts, Rainer Bonhof und Jupp Heynckes. Heute heißt der Coach Lucien Favre, und auch wenn er von der überwältigenden Titelsammlung Latteks noch weit entfernt ist: Man muss dem Schweizer und seinem Sportdirektor Max Eberl allergrößten Respekt zollen, wie sie die Mannschaft seit Jahren nach Plan renovieren. Heraus kommt in dieser Saison geordneter, präziser Systemfußball, der sich für höhere Aufgaben eignen könnte. Die Reifeprüfung legt die Borussia am Sonntag ab: Dann kommt der FC Bayern nach Mönchengladbach.
Quelle: ntv.de