
Sechs Tore kassiert.
(Foto: imago images/Matthias Koch)
Bei Hertha BSC herrscht schon wieder Krise. Sportlich läuft es ganz mies, der Investor meckert, das Coronavirus schlägt zu. Die krachende Niederlage gegen RB Leipzig passt da irgendwie ins Bild. In eines, das vor allem Trainer Tayfun Korkut aber nicht wahrhaben will.
"Was ist denn jetzt los? Auf einmal sind die Berliner hellwach und drücken auf die Führung." So steht es im ntv.de-Liveticker zur abschließenden Partie des 23. Spieltags der Fußball-Bundesliga zwischen Hertha BSC und RB Leipzig. Vermerkt in der 50. Spielminute, kurz nach dem 1:1-Ausgleichstreffer von Stevan Jovetic. Kurz nach der Halbzeitpause, in einem Spiel gegen den Champions-League-Aspiranten, in dem wohl kaum jemand einen viel zitierten Pfifferling auf das Team aus Berlin gesetzt hatte. Aus guten Gründen.
Hertha ist eines der größten Sorgenkinder der Liga. Abgerutscht auf Platz 15, in zehn Spielen unter Trainer Tayfun Korkut nur neun Punkte geholt, nur zwei Spiele (gegen Bielefeld und den BVB) gewonnen. Die Ergebnisse der Rückrunde vor der Partie gegen Leipzig: 1:3, 0:0, 1:4, 1:1, 1:2 - nicht einmal gegen den Aufsteiger und abgeschlagenen Tabellenletzten Greuther Fürth gewinnt Hertha zuletzt.
Nun ist es nicht so, dass die Hertha grundsätzlich furchtbaren Fußball spielt. Eine Weiterentwicklung unter Korkut ist zu erkennen. Ansätze von besserem Fußball, Willen, sogar mal Offensivdrang - meist aber nicht über 90 Minuten. Wie beim 1:1 gegen Bochum. Das Team lässt sich zu häufig übertölpeln, kassiert leichte Tore. Eine Kleinigkeit, eine unerwartete Aktion des Gegners, ein Tor und Hertha ist aus dem Konzept. Gegen Leipzig ist es dann eine größere Kleinigkeit, die die eklatante Wende bringt.
Zu all den Unsicherheiten kommt vor der Partie im heimischen Olympiastadion der nächste Corona-Schock: Kevin-Prince Boateng, Maximilian Mittelstädt, Lukas Klünter, Marvin Plattenhardt, Jurgen Ekkelenkamp und Dongjun Lee werden kurzfristig positiv getestet, Suat Serdar und Niklas Stark waren bereits als Corona-Ausfälle bekannt. Auf der Bank sitzen aus der ersten Mannschaft damit nur noch Myziane Maolida und Davie Selke. Ein Rumpfteam gegen den Europa-League-Teilnehmer. Man habe erwogen, eine Spielverlegung zu beantragen, so Bobic. "Das ist natürlich nicht ideal", bekennt Korkut. "Der Letzte, der jammert, werde ich sein. Wir müssen das Beste daraus machen."
"Das Ergebnis ist wirklich Wahnsinn"
Aber "das Beste" ist dann doch viel zu wenig. Keine Viertelstunde nach dem Ausgleich geht es bergab. Marc-Oliver Kempf reißt Christopher Nkunku im Strafraum von hinten um - Rot, Elfmeter, Führung für Leipzig. "Man müsste das Spiel in zwei Teile trennen. Einmal die Phase bis zur Roten Karte, die natürlich spielentscheidend war, und dann danach", lautet Korkuts Fazit. Es folgen noch vier weitere Gegentreffer. Endstand 1:6. Nur drei Minuten nach seinem verwandelten Elfmeter trifft Nkunku ein zweites Mal, dann schießen auch noch Dani Olmo, Amadou Haidara und Yussuf Poulsen Tore. Schon das Hinspiel war 0:6 geendet.
"Wir sind brutal enttäuscht, das ist klar. Das Ergebnis ist wirklich Wahnsinn", sagt Fredi Bobic, Geschäftsführer Sport. "Wir haben zwei verschiedene Spiele gesehen. Eins bis zum 2:1 und eins danach. Bis zur Roten Karte haben die Jungs alles rausgehauen." Eine Erkenntnis, die nicht hilft. 60 vernünftige Minuten reichen nicht. 60 Minuten, in denen Hertha wohlgemerkt keinen Zauberfußball spielt, die altbekannten Probleme im Spielaufbau ersichtlich sind - aber immerhin defensiv ganz gut steht. Aber es reicht nicht. Weder im Kampf gegen den Abstieg, noch in der allgemeinen Kritik um den Verein.
Ex-HSV-Spieler Sergej Barbarez verglich die Lage bei der Hertha Ende Januar im "Kicker" mit der des HSV aus den Chaos-Jahren. "Seit dem Einstieg von Lars Windhorst als Investor in der Hauptstadt erinnert mich vieles an den Hamburger SV in jener Zeit, da mit frischen Millionen von Klaus-Michael Kühne ein Großangriff auf Europa gestartet wurde", schrieb Barbarez in einer Kolumne. Der Abstieg wie beim HSV sei zwar "nicht automatisch auch zu prognostizieren, doch die Gefahr ist offensichtlich".
Auch Windhorst will nicht schweigen: Seit Sommer 2019 hat er 375 Millionen Euro über seine Tennor Group zur Verfügung gestellt. Statt bergauf mit neuen Star-Spielern geht es beständig bergab mit überteuerten Fehleinkäufen, die teilweise auch schon wieder weitergezogen sind. Der Investor ist es, der die Champions-League-Träume laut ausgesprochen, der den "Big City Club" ins Leben gerufen hat. Und der nun bitter enttäuscht ist. Wieder einmal. "Ich habe darauf gesetzt, dass bei Hertha rational und in die Zukunft denkende Leute das Sagen haben, die auch nachhaltig den Erfolg wollen", sagte der Unternehmer dem Wirtschaftsmagazin "Capital". Stattdessen seien "Machterhalt und Klüngelei" die Antriebsfeder handelnder Personen, so sein knallhartes Urteil. "Bislang hat mir das Investment bei Hertha, abgesehen von positiven Erfahrungen mit vielen Mitgliedern, nur Nachteile gebracht."
Korkut erhält Rückendeckung
Eine weitere Baustelle für Bobic. Neben der Außendarstellung muss er sich mit Windhorst beschäftigen, kennt sich aber zumindest mit Kritik am Klub aus, hatte er sie doch im Dezember selbst noch im vereinseigenen TV geäußert: "Bei Hertha war es wie auf dem Amt: Das haben wir immer so gemacht, also machen wir es weiter so." Für Bobic ist die aktuelle Situation tatsächlich eine Chance, sein Profil zu schärfen. Sich abzuheben von seinem Vorgänger Michael Preetz, der als Rekordtorjäger der Hertha lange Zeit werkeln durfte, ohne wirklich Erfolge zu verzeichnen. Der die Ziele für seinen Verein gern niedrig ansetzte, wohl um nicht zu scheitern - zwei Abstiege fallen dennoch in seine Zeit -, damit aber die Fans verärgerte.
Ein "Weiter so" kann sich Bobic bislang nicht ankreiden lassen. Er hat die Geschäftsstelle umgekrempelt, den Kader erst angeprangert ("Großes Problem mit der Mentalität"), dann umgebaut und teure, aber nicht weiterhelfende Profis wie Dodi Lukebakio und Krzysztof Piatek verkauft. Dass er trotz der Windhorst-Millionen den Kader nur wenig gehaltvoll verstärken kann, liegt vor allem daran, dass das Geld längst aufgebraucht beziehungsweise verplant ist. Bobic hat auch den Trainer getauscht - Pal Dardai musste Ende November ein zweites Mal den Verein verlassen. An dessen Nachfolger Korkut hält er trotz der Krise fest. Er gehe "mit den Jungs im richtigen Ton um", sagte Bobic bei DAZN nach der jüngsten Klatsche. Korkut habe "einen klaren Plan".
"Jetzt geht es um Nehmer-Qualitäten"
So klar, dass er Rückschläge schon vor der Leipzig-Pleite via "Tagesspiegel" angekündigt hatte: "Was hier bei Hertha passiert, überrascht mich nicht. Ich wusste, dass es ein Prozess wird und wir nicht sofort hochschießen, dass Brocken kommen werden, die wir zur Seite räumen müssen." Gut vier Jahre hatte Korkut vor seinem Engagement in Berlin nicht als Trainer gearbeitet, ist auch jetzt nur mit einem Vertrag bis zum Saisonende ausgestattet. Krisenhelfer sollte er sein, wirklich geholfen hat er bis jetzt nicht.
"Jetzt geht es um Nehmer-Qualitäten", sagt Korkut bei der heutigen Presserunde. Die aktuelle Situation sei "mehr als nur eine Herausforderung, "aber ich bin guter Dinge, dass wir jetzt auch schnell wieder die Köpfe hochkriegen". Lösungen werden dringend gebraucht, Punkte noch dringender. Das wird schwer genug. Als Nächstes muss die Hertha am kommenden Samstag beim SC Freiburg (15.30 Uhr im ntv.de-Liveticker) antreten, der aktuell als Sechster auf einem Platz steht, der für den europäischen Wettbewerb qualifiziert. Aus dem oberen Tabellendrittel warten zudem noch Hoffenheim (5.), Leverkusen (3.) und am letzten Spieltag Borussia Dortmund (2.). Mit Borussia Mönchengladbach (13.), dem FC Augsburg (16.), dem VfB Stuttgart (17.) und Arminia Bielefeld (14.) gibt es aber auch noch Spiele gegen die direkte Konkurrenz.
Corona-Ausfälle, meckernder Investor, nach wie vor zu häufig fehlender Offensivdrang sowie Wille und Glaube an das eigene Team - es wird schwer für Hertha BSC im Abstiegskampf. Es wird auch schwer für ihn, weiter den Optimisten zu geben. Zwar bewahrte der 47-Jährige den VfB Stuttgart in der Saison 2017/18 vor dem Abstieg, allerdings übernahm er dort das Traineramt im Januar und verlor dann auch nur ein einziges Spiel bis Saisonende. Davon ist er in Berlin weit entfernt. Trotz Herthanern, die in der 50. Minute "hellwach" sind - die positive Überraschung währt viel zu kurz.
Quelle: ntv.de