Fußball

Verrat an einem großen Traum Jürgen Klopp reißt mit dem Hintern ein, wofür die Menschen ihn lieben

Jürgen Klopp kratzt mit seinem RB-Wechsel an der eigenen Legende.

Jürgen Klopp kratzt mit seinem RB-Wechsel an der eigenen Legende.

(Foto: imago/Team 2)

Jürgen Klopp beendet seine Auszeit vom Fußball mit einer dicken Überraschung. Die Trainer-Ikone steigt als Fußball-Mastermind beim Konzern Red Bull ein. Für die Österreicher ist es ein unvorstellbarer Coup, für viele Fans der Verrat an einem großen Traum.

Wenn man die Fußballwelt in Gut und Böse teilen möchte, dann ist der 9. Oktober 2024 eine Zäsur. Gut - Jürgen Klopp - und Böse - RB Leipzig (das Immer-noch-Feindbild vieler Fans) - gehen ab dem neuen Jahr gemeinsam durch das Fußballleben. Damit passiert etwas absolut Unvorstellbares. Der Herzensmensch geht dorthin, wo der Seele des Spiels das Gift des Kommerz verabreicht wird. So ist eine der großen Lesarten als erste Reaktion auf den Coup, der ohne Zweifel als größter (fußballerischer) in der Geschichte des Getränke-Giganten durchgeht.

Die ausgepowerte Trainer-Ikone übernimmt nur ein halbes Jahr nach seinem emotionalen Abschied vom FC Liverpool das Amt als Head of Global Soccer. Wie einst Ralf Rangnick, der ihm direkt eine arbeitsintensive Zeit im Kosmos der Energie-Dose prophezeit. Klopp soll das fußballerische Mastermind des Konzerns werden. So schnell wächst auch dem müdesten Vogel ein neuer Flügel. Eine aktive Rolle im Tagesgeschäft übernimmt er nicht. Damit umschifft der 57-Jährige ganz elegant den Verdacht des Wortbruchs, denn die Anfield Road hatte er mit den Worten verlassen, "kein Klub, kein Land fürs nächste Jahr". Von einem Projekt war nicht die Rede. Und dass er (noch) kein Leben ohne Ball führen kann, das hatte er auch gesagt. RB bekommt eines der emotionalsten und beliebtesten Gesichter des Fußballs.

Immer einer für den Menschen

Jürgen Klopp liegen, wohl eher lagen, die Menschen zu Füßen. Er gab dem immer unnahbarer gewordenen Fußball ein Gesicht. Ein emotionales, ein ehrliches, ein oft sympathisches. Man musste es nicht mit dem FSV Mainz 05 halten, mit dem BVB oder dem FC Liverpool, um Klopp zu mögen. Schon als Spieler, als Abwehrmann, stand er für ehrliche Arbeit, nicht für schillerndes Spektakel, abgehobenes Gehabe. Wer auf Klopp zurannte, der wusste, was er bekam. Als Trainer war das nicht anders. Klopp war ein mitreißender Coach, keiner für den feinen Zwirn, für Phrasen. Klopp war der Typ Pöhler, der Sprücheklopfer. Ein Trainer, der seine Mannschaft so heiß machen konnte, dass sie für ihn durchs Feuer ging. Klopp stand für Wunder, mit dem BVB gegen Malaga, mit dem FC Liverpool gegen Barcelona. Beide Aufholjagden wurden ikonische Momente der Champions League.

Klopp war ein Heiliger, er konnte zwar Blinde nicht zum Sehen bringen und Lahmenden nicht das Laufen lehren, aber er schaffte mit seinen Mannschaften oft Unmögliches. Weil er seine Spieler antrieb, Übernatürliches aus ihnen herausbrachte und selbst ein Mann war, der sich nie schonte. Die Leute liebten das. Auf der Südtribüne in Dortmund, auf "The Kop" an der Liverpooler Anfield Road. Klopp war Eskalation, Heavy Metal, Spektakel. Er war die Mensch gewordene Zeile "hier, wo das Herz noch zählt, nicht das große Geld" aus dem legendären Herbert Grönemeyer-Klassiker "Bochum". Nun ist das freilich faktisch ziemlicher Unsinn. Borussia Dortmund ist längst ein börsennotiertes Unternehmen und der FC Liverpool gehört der milliardenschweren Fenway Sports Group.

Keine Zweifel an den großen Emotionen

Und dennoch war Klopp nicht das Gesicht von Aktionären und Ownership, sondern das Gesicht der echten Liebe. Seine Ex-Arbeitgeber sind der Teil der gigantischen Kommerzmaschine im Fußball, aber sie sind eben auch oder vor allem hyperemotionale Giganten. Die Städte leben nach dem Puls der Vereine, sie schieben Depressionen in schlechten Phasen, eskalieren in großen Momenten. In Dortmund stellte Klopp sich am Anfang am Borsigplatz vor. Er atmete den Geist des Klubs ein. Und ihn vor der Südtribüne wieder aus. Wenn er Tränen in den Augen hatte, wenn er sich wie ein Verrückter auf die Brust, auf das Logo schlug.

Das alles nun infrage zu stellen, wäre falsch. Niemand kann sich so lange so verstellen. Die Emotionen des Trainers Klopp, sie waren authentisch. Sie schienen unendlich und werden nun endlich. Mit diesem 9. Oktober 2024 gehen sie unter. Noch vor wenigen Wochen ließ sich Klopp in Dortmund feiern, bei einem Spiel mit seinen alten BVB-Legenden. Das Stadion, die Stadt lagen ihm wieder einmal zu Füßen. Er ließ sich von jenen Leuten wild abfeiern, deren Weltbild er heute zerstört. So darf man sich schon wundern, warum Klopp, der wissen muss, wie sehr dieser Deal die Fan-Welt erschüttern wird, so leichtfertig einen gravierenden Imageverlust hinnimmt. Red Bull steht mit dem kostspieligen Aufbau und Unterhalt seiner verschiedenen Standorte und dem Verschieben von großen Talenten für den kalten Kommerz des Spiels, nun verleibt es sich mit Klopp das heiße Herz ein.

Keine Kehrtwende der eigenen Überzeugung

Auch in Liverpool war er ratzfatz einer der Ihren. Er wurde der fünfte Beatle in dieser darbenden Industriestadt im Nordwesten Englands. Mehr Ritterschlag geht nicht. Und nun geht der Heilige Jürgen, der dort reüssierte, wo die Menschen über das Herz kamen, einen Pakt mit dem Teufel ein. In den Augen vieler Fans sind die Auswüchse des Konzerns das Übel, das den Fußball vergiftet. Was ihm die Romantik nimmt, die Liebe. Ein Wechsel zum DFB-Team, der ihm per Ausstiegsklausel offenbar möglich scheint, hätte ihn endgültig zum Volkshelden gemacht. Ein Wechsel zum FC Bayern, den hätten viele zähneknirschend akzeptiert, aber Red Bull? Nein, nein, nochmals nein.

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Jürgen Klopp reißt mit seinem Engagement bei Red Bull mit dem Hintern ein, wofür ihn die Menschen lieben. In einem Video bei Instagram erklärt er, warum er sich für den Wechsel zu Red Bull entscheidet. Die Kommentar-Funktion unter der etwa zweiminütigen Botschaft ist deaktiviert. Aus guten Gründen.

In den sozialen Netzwerken ergießt sich ein ungläubiger Wut-Sturm. Nicht alles ist zitierfähig. Das hier schon: "Es ist, als würde Kevin Großkreutz auf einmal in der Schalker Nordkurve stehen." Nun, so ganz stimmt das nicht. Denn eine Kehrtwende nah am Verrat der eigenen Idee begeht Klopp nicht. Noch vor zwei Jahren hatte er das Konstrukt RB Leipzig verteidigt. Im Sommer gab es bereits Gerüchte, die unmittelbar nach seinem Liverpool-Abgang aber noch eiligst von allen Seiten dementiert worden waren. Mit Ownership hat er augenscheinlich keine Probleme. Und doch fühlt sich der Weg zu Red Bull an wie Verrat, wie Verrat an einem großen Traum. Dass Klopp eben doch vor allem ein Herzensmensch ist, einer vom alten Schlag, einer für die Fußball-Romantik.

Quelle: ntv.de

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