Fußball

Chaos, Kreativität, Krämpfe Kane-Mania täuscht über Bayerns massive Probleme hinweg

Harry Kane absolvierte ein starkes Debüt, doch der FC Bayern überzeugte nicht immer.

Harry Kane absolvierte ein starkes Debüt, doch der FC Bayern überzeugte nicht immer.

(Foto: IMAGO/MIS)

Dank Harry Kane fertigt der FC Bayern Werder Bremen zum Saisonauftakt ab. Doch der Schein der Dominanz trügt: Lange Zeit fällt den Münchnern vorne wenig ein, später regiert zeitweise Chaos in Mittelfeld und Abwehr. Trainer Thomas Tuchel steht vor Problemen.

Klar, am Ende ist es ein 4:0. Klingt dominant. War es dann ja auch. Irgendwie. Eigentlich. Oder? Statistisch gesehen besiegt der FC Bayern München zum Auftakt in die 60. Bundesliga-Saison Werder Bremen absolut überlegen. Aber die Dominanz bröckelt, wenn man genauer hinschaut. Denn der deutsche Rekordmeister offenbart massive Probleme, die auch der gesamte Wahnsinn um das Debüt von 100-Millionen-Mann Harry Kane nicht kaschieren kann.

"Solide" nennt Bayern-Trainer Thomas Tuchel das Spiel deshalb auch nur in der Pressekonferenz. Der Sieg aber "tut jetzt allen gut". Seinen neuen Superstar lobt er sogleich für dessen "super Start", schließlich legt Kane das Tor zum 1:0 auf und erzielt das zweite selbst. "Sofort mit einem Assist losgelegt und einen reingeschossen - das kann so weitergehen", jubelt Tuchel. Der Engländer gibt nach der Partie sogar zu, "ein wenig nervös" gewesen zu sein und "ein paar Schmetterlinge" im Bauch gehabt zu haben. "Es war ein guter Abend für mich", fasst er sein Debüt zusammen.

Kane. Kane. Kane. Die Kane-Mania ist schon vor dem Spiel allumfassend spürbar. Wann kommt er? Wann berührt er zum ersten Mal den Ball? Wann atmet er ein? Wann aus? Wow! Endlich joggt der Stürmer aufrecht auf den Rasen im Weserstadion. Handykameras schnellen in die Höhe. Alle Bayern-Spieler machen sich mit Ball warm, der Neuzugang stretcht sich lieber ausgiebig. Ein wenig Wasser, nochmal die Haare zurückkämmen. Dann holzt er beim Aufwärmspielchen noch kurz Alphonso Davies um und trifft anschließend seinen ersten Warmmachschuss nicht richtig. Egal, die Kugel kullert trotzdem an den linken Pfosten und von dort ins Tor. Superstar halt.

Harry Kane, die "Neuneinhalb"

Dann darf er endlich richtig loslegen. Der Kapitän der englischen Nationalmannschaft, der ein wochenlanges Zerren zwischen den Bayern und Tottenham Hotspur auslöste und am Ende so viel kostete wie noch kein anderer Neuzugang in der Liga-Geschichte und damit mehr wert ist als der gesamte Kader von Werder Bremen (98,5 Millionen Euro laut "transfermarkt.de"). Und alles beginnt so perfekt, wie selbst der Engländer es sich wohl nicht hätte ausmalen können.

Nachdem Kane die vielleicht schwierigsten Aufgaben des Abends mit stoischer Miene meistert - Lothar Matthäus läuft mit Schale und Pfeifkonzert ein, The Boss Hoss Country rockt die Nationalhymne, Lothar Matthäus klatscht mit beiden Teams ab -, macht Bayern von Anfang an Druck. Schon in der vierten Minute zeigt Kane, wie viel Freude die Münchner noch an ihm haben werden: Bei einem blitzschnell vorgetragenen Konter steckt er per Direktpass wunderschön auf Leroy Sané durch, der dank des sauberen Zuspiels allein aufs Tor zuläuft und cool links unten einschiebt.

Kane, der Vorlagengeber. Sofort beweist der Stürmer, dass er so viel mehr als eine klassische Nummer Neun ist. Dass er sich auch gerne fallen lässt und in der Manier eines Spielmachers, eines Zehners, seine Mitspieler bedient. Der ehemalige englische Nationalspieler Les Ferdinand bezeichnete Kane passenderweise mal als "Neuneinhalb". Die Bayern haben nun einen Angreifer in den eigenen Reihen, der nicht nur mit beiden Füßen kraftvoll und präzise treffen kann, sondern der auch unglaublich intelligent und vor allem ökonomisch agiert. Nichts, was er tut, ist überflüssig. Ein kurzes Anticken des Balls reicht, schon ist Sané frei unterwegs aufs Tor.

Bayerns Lethargie, Kimmichs Field-Goal

Doch wer nun im Weserstadion ein Auftakt-Feuerwerk à la 8:0-Bayern wie 2020 zum Saisonstart gegen Schalke 04 erwartet, erhofft oder befürchtet, liegt komplett falsch. Denn nun beginnen die Probleme. Die durchaus bekannten, massiven Probleme. Die auch das Kane-Debüt nicht verschleiern kann. Die Tuchel einfach nicht wegtrainiert bekommt.

Die Münchner Lethargie der letzten Saison kehrt zurück. Keine Bewegung, kein Spielfluss, nichts Überraschendes: Die Bayern können mit dem vielen Ballbesitz wenig anfangen, schieben die Kugel einfallslos hin und her und bleiben vorne größtenteils ungefährlich. Wenn Räume da sind, bespielen Jamal Musiala, der immer wieder mit dem Kopf durch die Wand dribbeln will, und Co. sie schlecht und behäbig. Bei den wenigen Gelegenheiten - Joshua Kimmich etwa schießt bei einem Freistoß ein Field-Goal, steht allerdings leider nicht auf einem Football-Feld - fehlt die Kaltschnäuzigkeit. Bremen ist in allen Belangen unterlegen, aber der FC Bayern macht nichts draus. Die Frage bleibt: Wo ist die Handschrift Tuchels? Was hat er mit den Münchnern in seiner ersten Saisonvorbereitung eingeübt?

Kane wird derweil zwar gesucht, aber selten gefunden, Flanken kommen überhaupt nicht an. Es drängt sich das Gefühl auf, die Bayern kennen das Spiel mit einem Zielspieler nicht mehr. Dass im Zusammenspiel mit dem Engländer im ersten Bundesligaspiel noch nicht alles klappt, darf man jedoch nicht überbewerten. Immerhin: Bei der letzten Chance vor der Pause, die den sonst harmlosen Bremern gehört, klärt Kane robust gegen Nationalstürmer Niclas Füllkrug per Kopf. Nicht die einzige wichtige Defensivaktion des Neuzugangs an diesem Abend.

Bayern erliegt Bremer Pressing

Teil zwei der Probleme des FC Bayern folgt in Halbzeit zwei. Werder hat sich mehr vorgenommen, kommt mutig, mit aggressivem Zweikampfverhalten und mit drei guten Chancen aus der Kabine: Mitchell Weiser schießt aber über und Leonardo Bittencourt grätscht den Ball Zentimeter neben das Tor. Anschließend haut Füllkrug die Kugel mit links über den Kasten. Wenig später lässt der zweite Bundesliga-Debütant der Bayern, Min-Jae Kim - er schwankt zwischen: der verteidigt selbst jeden Ball eiskalt weg, wenn er nachts um drei Uhr aus dem Bett gerissen wird, und: das Tempo in Deutschland ist doch noch etwas zu schnell für ihn -, den Ball vor die Füße von Jens Stage plumpsen, der mit einem fulminanten Schuss das Tor nur knapp verfehlt.

"Nach der Pause haben wir ein, zwei Fehler gemacht", gibt Kimmich zwar zu, sagt aber auch: "Bremen hatte eine gute Möglichkeit durch Bittencourt, aber ansonsten habe ich nicht viele Chancen gesehen." Die Abwehr der Bayern sieht jedoch gleich viermal nicht gut aus, der Serienmeister gerät mächtig unter Druck und hat Glück, hier nicht das Unentschieden zu kassieren.

Dazu herrscht auf einmal Chaos im Münchner Mittelfeld. Sobald Bremen mutiger und aggressiver presst, so wie es RB Leipzig im Supercup vorgemacht hat, bröckelt die bayerische Ordnung. Das Mittelfeld um Kimmich und Leon Goretzka ist überfordert, wenn es wirklich ackern und zulaufen und nicht bloß spielgestalten muss. Solch ein Durcheinander wie kurz nach der Pause darf in einem Spiel gegen Manchester City niemals passieren. Ein weiterer Sechser wird aber nicht geholt, wie der Klub mitteilte. Das dürfte Tuchel, der schon Wunschspieler Declan Rice nicht bekam, gar nicht schmecken. "Wir müssen jetzt das Beste aus dem machen, was wir haben", sagt Kimmich dazu.

Aber Werder hat nicht die Klasse, um den Druck lange Zeit aufrecht zu halten und Bayern berappelt sich. 15 Minuten nach Kingsley Comans Pfostenschuss in der 59. Minute ist es ausgerechnet Kane, der seinen neuen Klub aus der gefährlichen Situation herausschießt und endgültig zum Helden des Abends avanciert. Ein einfacher Doppelpass hebelt die komplette rechte Seite der Bremer aus, sodass Davies mit viel Raum auf den Sechszehner zustürmen darf. In der Mitte läuft Kane in die Gasse, zeigt an, wo er den Ball hin haben will, erhält ihn, nimmt ihn mit einer einzigen Berührung wunderbar mit, zögert nicht lange - und schießt "eiskalt" (O-Ton Tuchel) mit rechts ins linke Eck ein. Jubelnd läuft er nach seinem ersten Bundesligatreffer und seinem ersten Tor für den FC Bayern zur Gästekurve.

Tuchel unter genauer Beobachtung

Bezeichnend ist jedoch: Wie beim 1:0 ist es ein Konter, der zum Tor führt. Gegen eine gestaffelte Abwehr fällt den Bayern an diesem Abend wenig ein. Der Treffer von Kane aber rettet die Bayern, bevor es zum Ausgleich und einem Desaster zum Saisonstart kommen kann. Danach ist Werder gebrochen. Und der Engländer ebenfalls ein wenig. Mit Krämpfen wird er ausgewechselt. Später, in den Katakomben, schlurft der gefragteste Mann des Abends (350 Journalistinnen und Journalisten sind vor Ort, dazu 14 TV-Stationen) aber unverletzt durch die Gänge. In Skechers-Latschen. Natürlich.

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Die weiteren Treffer durch Sané (90.) und Mathys Tel (90.+4) sind gegen sich aufgebende Bremer nur Makulatur. Der FC Bayern hat die Pflichtaufgabe zwar bestanden, aber Tuchel wird in München weiter genau beobachtet. Sieben Siege, fünf Niederlagen und zwei Remis nach 14 Pflichtspielen stehen auf seinem Konto. Nun offenbart seine Mannschaft sogar gegen Bremen teilweise Probleme, die eigentlich über den Sommer hätten abgestellt werden sollen. So wird es gegen Dortmund, Leipzig oder die Teams aus der Champions League schwierig. Dazu warten die Fans weiterhin auf die eigentliche Handschrift des Trainers im Spiel des Rekordmeisters.

Die nächsten Wochen, sie könnten trotz Auftaktsieg und Kane-Mania kompliziert werden für den FC Bayern. Trotz Dominanz in Bremen. Die ja irgendwie da war. Oder?

Quelle: ntv.de

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