"Weiter Sportswashing betreiben" Mohammed bin Salman lacht über westliche Vorwürfe
22.09.2023, 10:58 Uhr
Mohammed bin Salman ist der Begriff des "Sportwashings" egal.
(Foto: IMAGO/Hindustan Times)
In einem seltenen Interview zeigt sich Mohammed bin Salman unbeeindruckt von den Vorwürfen des Sportswashings gegen sein Land. Der Kronprinz Saudi-Arabiens macht deutlich, dass für ihn das Bruttoinlandsprodukt und Tourismus mehr zählen als Menschenrechte.
Fußball-Superstars in der Saudi Professional League, der Aufkauf des Premier-League-Klubs Newcastle United, Expansion in den Golfsport, schillernde Box-Events und Formel-1-Rennen in der Wüste: Menschenrechtsorganisationen werfen Saudi-Arabien vor, stark in den Sport zu investieren und Großveranstaltungen auszurichten, um von Menschenrechtsverletzungen abzulenken. Sportswashing wird das genannt. Nun hat sich zum ersten Mal Kronprinz Mohammed bin Salman, der faktische Herrscher des Königreichs, zu den Vorwürfen geäußert. In einem in Saudi-Arabien aufgezeichneten, englischsprachigen Interview mit US-Sender Fox News sagte "MBS", dass ihm die Vorwürfe gegen sein Land "egal" seien.
Das Interview zeigt, wie bin Salman über die Bezeichnung "Sportwashing" sogar kurz lachen muss. Für ihn, das machte "MBS" gleich mehrmals deutlich, zählt nur der daraus resultierende Anstieg des Bruttoinlandsprodukts. "Wenn Sportswashing mein Bruttoinlandsprodukt um ein Prozent erhöht, dann werde ich weiter Sportswashing betreiben", sagte bin Salman in seinem ersten Interview, das er vollständig auf Englisch gegeben hat.
Auf die Frage, was er von dem Begriff halte, sagte bin Salman: "Er ist mir egal." Der Kronprinz fügte mit Blick auf das Bruttoinlandsprodukt Saudi-Arabiens hinzu, er "strebe weitere 1,5 Prozent an. Nennen Sie es, wie Sie wollen, wir werden diese 1,5 Prozent erreichen." Zum ersten Mal lehnt damit die Führung des Königreichs den Begriff des Sportswashings nicht ab. Im Gegenteil: Die Spitze gibt sogar zu, dass diese Methode eine Art Staatspolitik ist.
Amnesty: "Dunkle Zeit für die Menschenrechte"
Die Investitionen in den Sport sind Teil der Vision 2030 des Landes: dem Plan, Saudi-Arabien dem Westen gegenüber zu öffnen und zu modernisieren und die Wirtschaft innerhalb von nur zwei Dekaden unabhängig vom Öl zu machen. Das Öl ist aber der Hauptgrund, warum der schier unerschöpfliche Public Investment Fund (PIF), der Staatsfonds Saudi-Arabiens, der für die Sportinvestitionen verantwortlich ist, so prall gefüllt ist. 600 Milliarden Euro sollen es sein. Jüngst gründete das Königreich unter Aufsicht von MBS eine neue Investmentgesellschaft, die sich ausschließlich auf Sportunternehmen konzentriert. Financial Fairplay interessiert im Königreich nicht, mit den Millionen Saudi-Arabiens kann niemand mithalten. Alleine Fußball-Superstar Cristiano Ronaldo soll um die 200 Millionen Euro pro Jahr verdienen.
Human Rights Watch, Amnesty International und andere Organisationen haben Saudi-Arabien für eine Reihe von massiven Menschenrechtsverletzungen kritisiert, darunter die Ermordung Hunderter unbewaffneter äthiopischer Migranten im vergangenen Monat, die Inhaftierung von Dissidenten und Frauenrechtlern, die Ermordung des Journalisten Jamal Kashoggi im Jahr 2018 und die Hinrichtung von 81 Menschen an einem einzigen Tag im vergangenen Jahr.
Amnesty International verurteilte gegenüber dem britischen "Guardian" auch die Aussagen bin Salmans im Fox-Interview. "Die Herrschaft von Mohammed bin Salman ist eine wahrhaft dunkle Zeit für die Menschenrechte in Saudi-Arabien, und kein noch so großes Gerede über wirtschaftliche Visionen oder eine Expansion in neue sportliche Unternehmungen sollte von dieser Tatsache ablenken", sagte Felix Jakens, Amnestys Leiter der Schwerpunktkampagnen. "Sich nicht um das Etikett "Sportswashing" zu scheren, ist eine Sache, aber Mohammed bin Salman scheint sich auch nicht um die friedlichen Aktivisten zu kümmern, die in Saudi-Arabien hinter Gittern sitzen, um die 196 Menschen, die im vergangenen Jahr in dem Land hingerichtet wurden, oder um den persönlichen Schmerz der Familie von Jamal Khashoggi, die immer noch verzweifelt auf Gerechtigkeit in seinem Fall hofft."
Sport und Tourismus
Bin Salman teilte im Interview mit Fox News weiterhin mit, wie er den Moment erlebte, als Saudi-Arabien bei der WM in Katar Argentinien besiegte. "Ich war bei meiner Familie, meinen Brüdern, ihren Frauen und Kindern", sagte er über das Spiel. "Wir wollten einfach nur ohne Demütigung aus diesem Spiel herauskommen und wurden dann überrascht".
Saudi-Arabien zielt darauf ab, 2034 die Fußball-Weltmeisterschaft auszurichten. Bis dahin backt man kleinere Brötchen. In diesem Winter findet die FIFA-Klub-WM in Dschidda statt und die asiatischen Winterspiele im Jahr 2029 - im Berggebiet Trojena, das Teil der futuristischen Planstadt "Neom" ist, die derzeit in der Wüste gebaut wird (Kosten: etwa 500 Milliarden US-Dollar). Bin Salman sagte, dieser Ansatz sei von zentraler Bedeutung für das Ziel des Landes, eines der zehn besten Reiseziele der Welt zu werden.
Auf die Frage, ob Fußball seinem Land eine Art neue Identität gäbe, antwortete "MBS": "Wenn man eine Wirtschaft diversifizieren will, muss man in allen Sektoren arbeiten: Bergbau, Infrastruktur, Produktion, Transport, Logistik - all das." Ein Teil davon sei der Tourismus. "Und wenn man den Tourismus entwickeln will, ist ein Teil davon die Kultur, ein Teil davon ist der Sportsektor, denn man muss einen Kalender erstellen", erklärte der Kronprinz.
Der Sportsektor und andere wirtschaftliche Sektoren gehen Hand in Hand, wenn etwa die Stadien (oder ganze Städte) für die Events gebaut werden. Menschenrechtsorganisationen warnen, dass es in Saudi-Arabien ähnlich wie in Katar keine Arbeitergewerkschaften gibt und die vielen Arbeitsmigranten unter schlechten Bedingungen arbeiten müssten. Auch viele Bürgerinnen und Bürger Saudi-Arabiens, wo es eine riesige Kluft zwischen der Herrscherfamilie, den Reichen und den Armen gibt, leiden: Mehr als 20 Prozent der 32,2 Millionen Saudis leben in Armut und haben von den Sport-Events im Land wenig.
Quelle: ntv.de