Zwei überraschende DFB-Gewinner Nagelsmann braucht nicht mehr alle Bayern-Stars
18.10.2023, 06:42 Uhr
Gegen die USA wurde Thomas Müller nur eingewechselt.
(Foto: picture alliance / GES/Markus Gilliar)
Nach zwei Spielen unter Bundestrainer Julian Nagelsmann ist die Stimmung rund um das DFB-Team bemerkenswert positiv. Die umstrittene USA-Reise darf mit einem Sieg und einem Unentschieden als Erfolg gelten. Wie immer nach einem Trainerwechsel gibt es Gewinner und Verlierer. Ein kurzes Fazit.
Wie oft hat man schon gelesen, dass die Zeit von Thomas Müller zu Ende geht. So oft, dass man es nicht mehr zählen kann. Und nicht mehr schreiben mag. Deswegen wird es auch nach der USA-Reise weitergehen für den Gaudibursch des FC Bayern. Nur in welcher Rolle? Als Teilzeitarbeiter und "Goldjunge" wie im Verein? Er selbst, das hat er in diesen Tagen mit Nachdruck betont, werde niemals aus dem DFB-Team zurücktreten. Das mache man nicht. Und Bundestrainer Julian Nagelsmann, der indes schon während der gemeinsamen Zeit in München nicht immer wusste, wohin mit Müller, wird ihn weiter für die Nationalmannschaft berufen. Das hat gute Gründe.
Er geht einerseits einem Konflikt aus dem Weg, über den schon viele Trainer gestolpert sind: nämlich Müller einfach zu ignorieren. Und er hält sich mit dem offensiven Freigeist einen Stimmungsmacher an der Hand, der in besonderen Momenten immer noch zu glänzen weiß. Nur werden diese eben weniger. Gegen Mexiko, beim 2:2 in einem wilden Duell, nun durfte er von Beginn an ran, aber Bindung zum Spiel fand er als Stürmer (wie schon häufiger in dieser Position beim DFB-Team) nicht. Nur einmal tauchte er gefährlich auf, traf sogar, aber stand im Abseits. Dass sein Arbeitstag nach 45 Minuten endete, war folgerichtig. Er wurde durch Niclas Füllkrug ersetzt. Der neuen, klaren Nummer eins im deutschen Sturm. Sechs Minuten brauchte Füllkrug, um seinen neunten DFB-Treffer im gerade mal elften Spiel zu erzielen.
Die echte Neun
Das ist eine durchaus bemerkenswerte Entwicklung, die auch der Bundestrainer durchlaufen hat. In seiner bisherigen Vereinskarriere galt er nicht unbedingt als Verfechter eines klassischen Stürmers. In München arrangierte er sich zwar mit Robert Lewandowski, aber so richtig glücklich, waren beide Seiten mit der Zusammenarbeit nicht. Für eine Nation, wie Deutschland, die derzeit über keine Neuner auf Weltklasseniveau verfügt, schien Nagelsmann wie gemacht für kreative Lösungen. Mit Jamal Musiala, mit Leroy Sané, mit Florian Wirtz. Und irgendwie auch mit Müller. Aber dann überraschte der neue Mann mit der Nominierung von zwei Strafraumhünen. Neben Füllkrug schaffte es auch der Unioner Kevin Behrens ins Aufgebot.
Und die Hierarchie vorne ist klar: Füllkrug ist die Nummer eins. Er trifft auch immer. Einmal gegen die USA und einmal in der heutigen Nacht. Dass er im spektakulären Duell mit Mexiko nur Teilzeitarbeiter war, lag auch daran, dass sein Heimatverein Borussia Dortmund schon am Freitagabend wieder ran muss, und sich der 30-Jährige ein wenig Schonung verdiente. Er darf dennoch als einer der Gewinner der USA-Reise nach Hause fliegen. Im Privatjet. So hatte es der BVB für seine Spieler organisiert.
Die Sache mit Niklas Süle
Der umstrittene Trip nach Übersee mitten in der Saison brachte indes nicht nur ein wenig mehr Vorfreude auf die EM hervor, sondern auch weitere Gewinner. Mats Hummels etwa dürfte dazu zählen. Im ersten Test gegen die USA war er direkt wieder der Abwehrchef. Nicht glorreich beim Comeback, aber sehr solide. Gab der Mannschaft Halt, trotz altbekannter Tempoprobleme. Gegen Mexiko wurde er ebenfalls geschont, was ihm in die Karten gespielt haben dürfte. Denn die Abwehr sah einige Male nicht gut aus. Auf der rechten Seite fiel Niklas Süle deutlich ab und auch Antonio Rüdiger hatte häufiger Probleme mit den giftigen und quirligen Mexikanern. Einzig Jonathan Tah erledigte seinen Job sehr souverän, aber in der Hierarchie dürfte er trotzdem hintendran sein.
"Bei Niklas habe ich das einkalkuliert und bewusst gemacht. Wir können auf ihn nicht verzichten, weil er einer der besten Spieler auf der Position in der Bundesliga ist", sagte Nagelsmann über den Innenverteidiger Süle, der bereits bei der WM 2022 auf der Rechtsverteidigerposition seine Probleme hatte. "Er hat in den letzten vier Ligaspielen 27 Minuten gespielt, da fehlt der Rhythmus, kein Vorwurf an ihn. Aber dann bekommt er den Rhythmus eben bei uns. Insgesamt sehe ich nirgendwo eine Problemposition. Wir müssen Pärchen finden, die gut zusammen passen, da haben wir noch ein paar Schritte zu gehen, auch im Verteidigen auf dem ganzen Platz, nicht nur in der Kette."
Wieder gut war Pascal Groß. Nach zwei kleinen Wacklern in der kollektiv nervösen Anfangsphase der Deutschen war der 32-Jährige sehr präsent. War immer anspielbar, suchte die einfachen Lösungen. Agierte ohne jeden Schnickschnack, ein guter, kluger Sechser. Und ein passendes Match für İlkay Gündoğan, dem das Vertrauen des Bundestrainers so gut tut, dass er das zweite sehr gute Länderspiel in Folge machte. Das kam bislang eher selten vor. Auch kurios für einen Spieler, der in der vergangenen Saison das Hirn von Manchester City Supermaschine war. Für Leon Goretzka und Joshua Kimmich werden neue Aufgaben gesucht (werden müssen). Kimmich, der alle Spiele nach dem Aus von Hansi Flick verpasste, könnte auf die rechte Abwehrseite wandern.
Für Kai Havertz wird es eng
Mit seinem Vertrauen in Groß räumt Nagelsmann auch Befürchtungen ab, dass alte Bayern-Zöpfe noch immer wachsen. Lediglich die wegen Form und Qualität absolut unverzichtbaren Leroy Sané und Jamal Musiala dürfen sich ihrer Sache, sprich Stammplatz, sicher sein. Das Thema Manuel Neuer blenden wir vorerst aus, die volle Genesung des Torwarts hat Vorrang vor allen Diskussionen um seinen alten Stammplatz. Immer näher ran an diesen robbt sich Florian Wirtz, der Hochbegabte von Bayer Leverkusen. Was für Gündoğan galt, galt auch für ihn, wenngleich er viel weniger lang dabei ist. Aber eine passende Aufgabe und Personalkonstellation gab es noch nicht. Mit Musiala und Sané scheint sie indes gefunden. Wirtz ist kaum vom Ball zu trennen, auch gegen die robusten Mexikaner war er fast immer Herr der Lage, bewegte sich klug und hatte immer eine gute Idee.
Das wiederum greift die Herrschaftsgebiete von Kai Havertz und Serge Gnabry an. Beide waren in den vergangenen Jahren gesetzt, nicht immer passten Vertrauen und Leistung zusammen. Gerade auch bei Havertz, der noch vor zwei Jahren als einziger deutscher Weltklassespieler galt. Allerdings wurde er oft genug in der Rolle des zentralen Stürmers eingesetzt. Nicht seine beste Position.
Nagelsmann hat die DFB-Elf nach Frust-Jahren unter dem späten Joachim Löw und Hansi Flick (kleine Hochs mal ausgenommen) durchgerüttelt, die Zeit der Experimente mehr oder weniger beendet und setzt auf eine klare Achse. Diese Mannschaft sei "extrem willig", lobte der Bundestrainer, er wechselte in Superlative: "Noch nie" habe er ein Team trainiert, "das so schnell schon Dinge umsetzt, ich bin absolut begeistert." Folglich habe er der Mannschaft gesagt, "dass ich eine große Überzeugung habe, dass wir erfolgreich sein werden." Bis zum nächsten Länderspielfenster will er unbedingt Kontakt zu seinen Spielern halten. "Dann", versprach er, werden die Fans gegen die Türkei und Österreich "eine weiter verbesserte Mannschaft sehen".
Quelle: ntv.de