Fußball

"Habe ihn noch schärfer gemacht" Trapattonis Wutrede – und was danach geschah

Vor 25 Jahren durchlitt nicht nur der FC Bayern eine tiefe Krise. Viele Fans bezeichneten damals ihre eigenen Spieler als "Scheiß-Millionäre". Und dann explodierte das Pulverfass. Trainer Trapattoni ging mit seiner unvergesslichen Wutrede in die Geschichte ein!

Es war eine wilde, schroffe Zeit damals im Frühjahr 1998 in der Fußball-Bundesliga. Die Fans gingen überall auf die Barrikaden und schrien und pfiffen die Profis nieder. "Scheiß-Millionäre" nannten die Anhänger ihre eigenen Spieler und zeigten so, dass etwas in der Bundesliga aus dem Ruder gelaufen sein musste. Die Fans glaubten, dass die Leistungen auf dem Platz mehrheitlich nicht mehr mit den Zahlen auf den Lohnzetteln der Stars und Sternchen übereinstimmten.

Ganz besonders dramatisch war damals die Situation beim FC Bayern München. Nach einem 0:1 auf Schalke lag der Rekordmeister sieben Punkte hinter dem überraschenden Spitzenreiter, dem Aufsteiger aus Kaiserslautern. Eine sportliche Katastrophe. Und als dann auch noch ein Spieler öffentlich seinen Trainer an den Pranger stellte, eskalierte die Lage endgültig. Der Bayern-Profi Thomas Strunz hatte nach seiner Auswechslung im Parkstadion verärgert in die Mikrofone der Fußballsendung "ran" geraunt, dass man nun auch einmal die Taktik des Trainers hinterfragen müsse. Ein öffentlicher Affront.

"Schon beim Mittagessen war Trap geladen"

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Nachdem Bayern-Coach Giovanni Trapattoni schon im Mannschaftshotel nach der Partie auf Schalke seinem Unmut freien Lauf gelassen hatte – und dabei, wie Augenzeugen berichten, Manager Hoeneß sogar eine Rotweinflasche über den Anzug gekippt haben soll – fuhr er danach erst einmal für zwei Tage in seine Heimat. Doch als er am Dienstag zurückkam, hatten sie beim FC Bayern ein komisches Gefühl. Denn Trapattoni hatte sich immer noch nicht beruhigt – und irgendetwas war im Busch. Wochen später sollte die "Süddeutsche Zeitung" die Vermutung anstellen, dass der "nette Signor die Rede inszeniert und telefonisch TV-Sender einbestellt" habe, doch das ahnte damals, an diesem legendären Nachmittag des 10. März 1998, noch nicht einmal der harte Kern der Bayern-Führung. Im Gegenteil. Co-Trainer Egon Coordes sagte später: "Schon vorher beim Mittagessen war Trap geladen. Und ich habe ihn noch schärfer gemacht."

Nur einer meinte viele Jahre danach, er habe das bevorstehende Spektakel kommen sehen. Es war der langjährige Mediendirektor des FC Bayern München, Markus Hörwick. Und er wusste auch, warum er an diesem Tag skeptisch war. Denn normalerweise habe sich der italienische Cheftrainer der Münchener nur zwei, drei Sätze von einem Dolmetscher ins Deutsche übersetzen lassen, doch an diesem Tage wäre er gleich mit einem Stapel Zettel erschienen. Hörwick erinnert sich lebhaft an seine Gefühle damals: "Ich schwöre: Wenn die Trainerkabine einen Schlüssel gehabt hätte, ich hätte Giovanni eingeschlossen und den Schlüssel weggeworfen." Doch so blieb dem Mediendirektor nur einer der besten Plätze an diesem denkwürdigen Tag – in direkter Nähe des spektakulären Geschehens.

"Du, die sind leider schon weg!"

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Was nach dem knapp dreiminütigen Wortrausch blieb, waren Sätze für die Ewigkeit. "Ich habe fertig" oder der Ausruf "Flasche leer" sind in die deutsche Umgangssprache eingegangen. Was aber kaum einer weiß: Giovanni Trapattoni wollte damals noch einmal in den Presseraum zurückkehren. Schon beim Rausgehen hatte er angeboten, falls es Nachfragen gäbe, könne er seine Worte gerne wiederholen. Doch nun stand er draußen vor der Türe und sagte zu Hörwick: "Habe ich was vergessen!"

Der immer noch völlig konsternierte Mediendirektor reagierte geistesgegenwärtig und beschwichtigte den Bayern-Trainer. Gemeinsam mit ihm ging er direkt in dessen Kabine. Dort meinte Hörwick betont ruhig, dass er erst einmal schauen wolle, ob überhaupt noch jemand da sei. Eine Ausrede. Denn wie erwartet blickte er, als er die Türe zum Presseraum nur einen spaltbreit öffnete, in einen Ameisenhaufen voller aufgeregter Medienvertreter. Hörwick atmete einmal kräftig durch und eilte dann wieder schnell zu Trapattoni zurück. Entschuldigend meinte er zum italienischen Signore: "Du, die sind leider schon weg!" Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn Giovanni Trapattoni an diesem Tage noch einmal in den Presseraum zurückkehrt wäre.

Doch auch so wurde seine Wutrede zur Legende. Bereits kurz nach seinem Wutausbruch schaltete eine Fluggesellschaft Anzeigen mit folgendem Spruch: "Besser fliegen mit Flugzeug voll, als spielen wie Flasche leer." Viele Jahre später machte sich zudem jemand anderes ein berühmtes Zitat aus der Pressekonferenz des Maestros zunutze. Auf N24 startete die Sendung des Journalisten Claus Strunz unter dem schönen Titel "Was erlauben Strunz?". In seiner Heimat Italien feierten die Medien den Signore, weil er "der erste Italiener (gewesen sei), der sich die Deutschen zur Brust" genommen habe. Ganz besonders über seinen "Struuunz"-Ausspruch lächelten die Italiener, weil er mit Traps Betonung noch eine andere, ganz spezielle Bedeutung im Italienischen hatte.

"Wir musse de Fans Muschi zeigen!"

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Übrigens: In Spielerkreisen kursiert aus der damaligen Zeit noch eine andere feine Geschichte, die mit Sprache zu tun hatte. Nachdem Bayern eine empfindliche Niederlage erlitten hatte, bei der Trapattoni aufs Neue die geringe Gegenwehr seiner Spieler bemängelt hatte, wollte er ihnen ein bisschen Dampf machen. Sie müssten endlich "Cojones" (Eier) zeigen, wollte er ihnen sagen. Und das auf Deutsch. Und so fragte er seinen Spieler Giovane Elber, was denn Cojones übersetzt hieße. Der Brasilianer sagte es ihm, Trap holte die komplette Mannschaft zusammen und rief energisch und laut: "Wir musse de Fans Muschi zeigen! Muschi, Muschi, Muschi, ich will Muschi sehen!" Das Team lag geschlossen lachend am Boden und hielt sich die Bäuche. Elber marschierte grinsend zu seinem Trainer und klärte ihn auf. Trapattoni stutzte und stimmte dann freudig lachend mit ein.

Diese Fähigkeit über sich selbst zu lachen, machte tatsächlich auch Jahre später noch viel von Trapattonis Beliebtheit aus. Und etwas, was die aufgebrachten und enttäuschten Fußballanhänger in diesen wilden, schroffen Zeiten im Frühjahr 1998 wohl spürten. Günther Jauch sagte kurz nach Traps legendärer Wutrede: "Trapattoni berührt die Leute, weil er, bei allen Verträgen und hohen Einschaltquoten, das Herz des Fußballs und damit das Herz der Fans berührt." Vielleicht auch deshalb werden die Worte des Giovanni Trapattoni auf ewig unvergessen bleiben.

Quelle: ntv.de

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