Fußball

Desaströs, dominant, enttäuscht Verärgerter Tuchel wirft Bayern-Stars "Harakiri" vor

Wieder einmal ratlos: Thomas Tuchel.

Wieder einmal ratlos: Thomas Tuchel.

(Foto: dpa)

Der FC Bayern kommt nicht in Schwung. Auf den hart erkämpften Sieg gegen RB Leipzig folgt in der Fußball-Bundesliga die nächste Enttäuschung. Beim SC Freiburg werden die Punkte geteilt. Trainer Thomas Tuchel wirkt wieder einmal ratlos, vor allem angesichts der ersten 30 Minuten.

Lucas Höler gab den Partycrasher. Mit einem sehenswerten Volleyschuss traf der Stürmer des SC Freiburg am späten Freitagabend zum 2:2. Drei Minuten waren zu diesem Zeitpunkt noch auf der Uhr gewesen (reguläre Spielzeit), und der FC Bayern, der Gast im Europa-Park-Stadion, war kurz davor, sein Jubiläumsspiel mit einem Sieg zu krönen. Zum 2000. Mal waren die Münchner in der Fußball-Bundesliga aufgelaufen. Kein anderer Klub kann da mithalten. Doch ein Geschenk, drei Punkte, gab es nicht. Weil Höler eben traf.

Es war ein besonderer Tag für den FC Bayern gewesen. Nicht nur wegen des besonderen Spiels. Der Freitag war auch der erste offizielle Arbeitstag von Max Eberl, dem neuen Sportvorstand, gewesen. Der möchte den Verein wieder zu bekannter Größe und bekannter Dominanz machen. Die ist in den vergangenen Wochen, Monaten abhandengekommen. Und er möchte wieder Ruhe in diesen Klub bekommen, der so unruhig geworden ist. Sich hat anstecken lassen von dem ewig nervösen Umfeld rund um die Säbener Straße.

Vorrangig geht es für ihn darum, die vorhandene Substanz einer genauen Prüfung zu unterziehen. Kaum jemand darf sich seiner Sache sicher sein. Als unantastbar für die nächste Saison gelten nur Jamal Musiala, Harry Kane und die beiden Routiniers Thomas Müller und Manuel Neuer. Für alle anderen heißt es: Alles kann, nichts muss. Über seine ersten Erkenntnisse im Breisgau schwieg sich der neue Mann am Freitagabend indes aus: "Jetzt muss ich das erst mal auf mich wirken lassen." Man habe nur einen Punkt geholt, nicht drei. Die waren das Ziel gewesen, um den Druck auf Tabellenführer Bayer Leverkusen zu erhöhen. Geklappt hat das nicht. Die Werkself kann mit einem Sieg im Derby beim 1. FC Köln auf zehn Punkte enteilen.

"Es war teilweise Harakiri"

SC Freiburg - Bayern München 2:2 (1:1)

Tore: 1:0 Günter (12.), 1:1 Tel (35.), 1:2 Musiala (75.), 2:2 Höler (87.)
Freiburg: Atubolu - Sildillia, Ginter, Gulde, Günter - Eggestein (85. Philipp), Höfler, Doan (77. Weißhaupt), Grifo (64. Röhl) - Sallai (77. Gregoritsch), Höler. - Trainer: Streich
München: Neuer - Kimmich (64. Laimer), Dier, Kim, Guerreiro (64. Davies) - Pavlovic, Goretzka - Tel, Müller (76. Choupo-Moting), Musiala (83. Upamecano) - Kane. - Trainer: Tuchel
Schiedsrichter: Sven Jablonski (Bremen)
Gelbe Karten: Höler (3) - Tel (2), Pavlovic (5)
Zuschauer: 34.700 (ausverkauft)

Möglich gewesen wäre der Sieg allemal. Wären die Fußballer des FC Bayern über 90 Minuten konzentriert und fokussiert zu Werke gegangen. Doch das waren sie nicht. Lediglich 60 Minuten riefen sie das ab, was sie können und was sie sich mit Trainer Thomas Tuchel überlegt hatten. Der war nach dem Spiel wieder einmal rat- und in Teilen sogar fassungslos: "Wir haben komplett ohne Struktur gespielt, waren viel zu undiszipliniert und nicht in unseren Positionen. Wir haben Angriffe gehabt, wenn es überhaupt nicht losging, haben Ballverluste in der Vorwärtsbewegung gehabt", ärgerte er sich und klagte weiter: "Es war teilweise Harakiri. Wir hatten Phasen, wo unser Innenverteidiger den Außenverteidigern hinterherläuft. Wir haben Dinge gemacht, die haben wir noch nie trainiert, über die haben wir noch nie gesprochen. Dafür gibt es keine Erklärung aus meiner Sicht. Wir konnten froh sein, dass es nur 0:1 stand."

Die wieder einmal neu formierte Abwehr der Münchner erwischte einen fürchterlichen Start ins Spiel. In der Mitte verteidigten Eric Dier und Minjae Kim, beide wirkten vor allem am Ball extrem unsicher. Auf der rechten Seite stand Joshua Kimmich, der auch immer wieder Orientierungsprobleme offenbarte. So etwa in der Situation, die das 0:1 aus Sicht der Gäste einleitete. Vincenzo Grifo und Christian Günter kamen über die linke Seite und Kimmich wusste nicht, wen er aufnehmen sollte. Es folgte indes noch eine weitere Fehlerkette, ehe Günter mit einem überragenden Schuss zur Führung traf (12.). Die Münchner stürzten fortan minutenlang ins Chaos. Günter scheiterte am herausragenden Neuer (16.), Grifo verzog knapp (22.).

Den immensen Druck hielten die Freiburger aber nicht lange hoch und zogen sich überraschend schnell zurück. Und plötzlich waren sie da, die Bayern. Sie witterten die Schwäche des Gegners und kamen mit Wucht. Zwar war nicht zu übersehen, dass mit Leroy Sané, Serge Gnabry und Kingsley Coman die drei Top-Flügelstürmer fehlten, so gab es kaum Tempoläufe auf den Außenbahnen. Aber auch so gelang es den Münchnern, die Sport-Club-Spieler tief an den eigenen Strafraum zu drücken. Nicht immer hatte die Mannschaft von Tuchel daraus zuletzt Zählbares machen können. Diesmal ja. Nach einer Ecke landete der Ball bei Mathys Tel, der seinen Gegenspieler stehen ließ und mit einem wuchtigen Schuss von der Strafraumecke traf. Ebenfalls ein feines Tor (35.).

"Dass wir nicht gewinnen, liegt an einem Glückstor"

Die Münchner erhöhten die Schlagzahl massiv. Kane, der in der ersten Halbzeit viel dirigiert und geklagt hatte, war nun auch in seiner eigentlichen Rolle zu sehen, als Stürmer. Unmittelbar nach der Pause legte er sich den Ball mit der Hacke selbst vor, verzog dann aber knapp. Das ganze Spiel war jetzt von einer anderen Überzeugung geprägt. Von mehr Mut, von mehr Tempo. Das brachte auch Alphonso Davies mit, der nach gut 60 Minuten sein Comeback feierte. Freiburg wankte und die Bayern powerten. Musiala scheiterte an Atubolu (71.), einen Kopfball von Kane klärte Höler kurz vor der Linie (72.). Drei Minuten später setzte Musiala erneut an und dieses Mal war er nicht aufzuhalten. Nach einem sehenswerten Sololauf schlenzte er den Ball in die rechte Ecke.

Alles war jetzt bereitet für die Party zum 2000. Spiel. Doch dann kam Höler und entriss dem Rekordmeister die zwei wichtigen Punkte. "Dass wir nicht gewinnen, liegt an einem Glückstor nach einer Standardsituation, die wir auch besser verteidigen können", haderte Tuchel. "Von der Körperlichkeit und Verbissenheit war der Unterschied der ersten halben Stunde zur nächsten Stunde zu eklatant, um zu erwarten, dass man mit einem Sieg rausgeht." Es sei alles thematisiert gewesen, klagte Tuchel, "dass wir in einer anderen Emotionalität und Verbissenheit hier spielen wollen. Wir kommen dann mit einer Einzelaktion zurück, anders ging es in dem Moment nicht. Die zweite Halbzeit war dann okay. Am Ende kann man sagen: Eine Halbzeit ist dann nicht genug, wenn man hierherkommt, um gewinnen zu wollen."

"Wir sind Bayern München, wir hassen zu verlieren"

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Noch deutlicher wurde Musiala, bislang eher als Mann der leisen Töne bekannt. "Wir sind Bayern München, wir hassen zu verlieren. So habe ich es in meinem Kopf, seit ich hier bin: Wir sollen gewinnen, wir hassen verlieren. Es ist richtig nervig, wie es gerade läuft, für mich persönlich und für alle. Wir alle wollen gewinnen und Meister werden, Titel holen. Da müssen wir so positiv bleiben wie möglich, uns durchbeißen, so gut bis zum Schluss spielen wie möglich und vielleicht noch irgendwas rausholen."

In der Bundesliga schwinden die Chancen immer mehr. Bleibt "nur" noch die Champions League. Dort geht es am Dienstag gegen Lazio Rom. Die Hypothek aus dem Hinspiel: ein 0:1. Allerdings verpatzten auch die Römer die Generalprobe für den Auftritt in der Allianz-Arena. Gegen den AC Mailand verloren sie ein hitziges Duell mit 0:1 und drei Mann nach Platzverweisen. Was nun für die Bayern? Selbst Tuchel weiß nicht, was er erwarten kann. "Das Auf und Ab begleitet uns schon sehr lange. Deshalb ist eine Topleistung von uns am Dienstag nicht ausgeschlossen. Und wir werden eine brauchen. Wir werden positiv pushen - dann müssen wir liefern."

Quelle: ntv.de, tno

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