
Es gibt beim FC Bayern derzeit viel zu bereden.
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Noch hat der FC Bayern sechs Wochen Zeit, den Kader für die kommende Saison zu formen. Der neue Sportdirektor Christoph Freund greift noch nicht ein, stattdessen müssen sie in München bis zu den ersten Pflichtspielen in Bundesliga und Champions League noch viele Fragen selbst klären.
Es dauert noch ein wenig, dann beginnt für den FC Bayern ein neues Zeitalter. Am 1. September tritt der Österreicher Christoph Freund seinen neuen Job als Sportdirektor an und übernimmt die Nachfolge für Hasan Salihamidžić. Aber nicht nur das: Mit ihm, so die Hoffnung, zieht auch ein neuer Stil in die Säbener Straße ein. Präsident Herbert Hainer formulierte das in der "Süddeutschen Zeitung" sinngemäß so: In einer Fußball-Welt mit Multi-Club-Ownership, katarischen Projekten und dem saudischen Staatsfonds soll Freund den FC Bayern "ein Stück weit" aus dem "Transfermarktwahnsinn" herausführen.
Heißt: Beim nächsten norwegischen Tormonster wollen die Münchner nicht diejenigen sein, die beim Versuch mitzubieten, kläglich scheitern - sondern diejenigen, die es rechtzeitig entdeckt und zu sich geholt haben. Junge Talente statt Wettbieten auf (fast) fertige Stars. In den vergangenen Jahren hat das mit Ausnahme von Jamal Musiala kaum einmal geklappt. Freund ist dafür prädestiniert, er hat schließlich das norwegische Ur-Tormonster Erling Haaland entdeckt, während seiner acht Jahre als Sportdirektor bei Red Bull Salzburg.
So viel zur neuen Zeitrechnung und potenziell rosigen Aussichten. Die Probleme liegen eher in der Gegenwart und dem aktuellen Wahnsinn. Die Münchner können sich wahrlich nicht beschweren, dass in den letzten Wochen vor Freunds erstem Arbeitstag nicht genug zu tun wäre. Solche Transfersommer lassen sich mit einem Puzzle vergleichen: Es gibt eine Idealvorstellung, aber das ganze Bild zeigt sich erst, wenn es fertig ist - also mit Ende der Wechselperiode. Das erfordert viel Geduld und die richtigen Schritte zur richtigen Zeit.
Kim, Kane, Hoeneß
Die ersten Puzzle-Teile liegen schon auf dem Tisch der Münchner. Etwa in der Abwehr: Der verletzungsanfällige Innenverteidiger Lucas Hernández wurde erfolgreich zu Paris St. Germain transferiert, im Gegenzug kam Kim Min-Jae von der SSC Neapel. Ein "richtiger Kerl", wie Trainer Thomas Tuchel den hochgewachsenen Südkoreaner lobte. Die Ablösezahlungen heben sich ungefähr auf, theoretisch könnten die Münchner die Überweisung aus Paris gleich nach Italien weiterschicken. Dazu kommt Raphael Guerreiro, der ablösefrei vom BVB wechselte und den Tuchel schon aus dessen Zeit in Dortmund kennt. "Als Bayern bei mir angeklopft hat, habe ich alles getan, um hierherzukommen", sagte der Linksverteidiger, der auch im Mittelfeld spielen kann. Der Engländer Kyle Walker soll noch kommen, dafür Benjamin Pavard gehen, so wird es berichtet.
Wer sich mit dem Puzzeln auskennt, weiß, dass der Rand das Wichtigste ist. Wenn der Rahmen fertig ist, liegt das Bild erstmal stabil. Auf die Fußball-Welt übertragen, sind das die Stützen der Mannschaft. Denn genau da hat es am Ende der vergangenen Saison beim FC Bayern gehapert: unerklärliche Einbrüche, endlose Debatten um Mentalitätsfragen und die Diskussion darum, wer eigentlich regelmäßig Tore schießt - mit all dem soll möglichst schon Schluss sein, wenn Freund seinen Dienst an der Säbener Straße antritt.
Ein weiteres entscheidendes Teil ist deshalb Harry Kane, der Kapitän der englischen Nationalmannschaft. Der Bald-30-Jährige hakt gleich zwei Dinge auf der Suchliste ab: Mentalität und Mittelstürmer. Die Verpflichtung gestaltet sich jedoch schwierig. Dass die Transfersaga so schnell wohl keinen Abschluss finden wird, daran trägt auch Bayern-Patriarch Uli Hoeneß seinen Anteil. Am Rande des Trainingslagers sprach er am Wochenende über dies und das, wollte gar nicht über Transfers reden - und erzählte dann doch ausgiebig von Kane. Dass der 29-Jährige doch so gerne nach Deutschland wolle und solange das so bleibe, werde irgendwann "Tottenham einknicken müssen".
Ein Satz mit Folgen, schließlich schwächt er Bayerns Verhandlungsposition. Der ohnehin dünne Gesprächsdraht nach London wird nicht nur belastet, sondern in Verhandlungen ist es selten gut, der Gegenseite zu zeigen, dass man etwas unbedingt haben möchte. Schließlich steigert das den Preis, der schon jetzt bei 100 Millionen Euro mindestens liegen dürfte. So viel Geld hat der deutsche Rekordmeister noch nie für einen einzigen Spieler ausgegeben. Die Frage ist, wie weit der FC Bayern noch gehen kann. Und so sah sich Kahn-Nachfolger Jan-Christian Dreesen dazu genötigt, nochmals öffentlich Zurückhaltung anzumahnen. Denn der Druck steigt. Andere Interessen wie PSG bringen sich schon in Stellung.
Neuer, Sommer, Nübel
Für den Rahmen des Transfer-Puzzles fehlt aber nicht nur jemand wie Harry Kane. Sondern auch Manuel Neuer, der nach seinem Unterschenkelbruch offenbar doch nicht bis Saisonbeginn wieder fit wird. Es scheint äußerst fraglich, wann der 37-Jährige wieder voll belastbar ist. Die Vereinsführung räumt ihm öffentlich die Zeit ein, wieder voll zu genesen. Und trotzdem soll er Nummer eins bleiben.
Bei den Münchnern beginnt deshalb auch auf der Torhüterposition das Puzzeln. Kann Aushilfs-Nummer-eins Yann Sommer vielleicht noch weiter aushelfen? Eher nicht. Wie der "Kicker" berichtet, plant Inter Mailand, die acht Millionen Euro schwere Ausstiegsklausel zu ziehen. Sommer will zudem nicht auf die Bank zurückkehren, sobald Neuer sich fit meldet. Schließlich steht im kommenden Jahr auch eine Europameisterschaft an, bei der Sommer für die Schweiz im Tor stehen will.
Ähnlich sieht das bei Alexander Nübel aus, der nach seine Leihe zur AS Monaco nie wieder in die zweite Bayern-Reihe rücken will. Es bleibt die Frage: Wer hütet in der nächsten Saison das Bayern-Tor? Vielleicht gar jemand ganz anderes? Zuletzt berichteten georgische Medien, dass mit angeblich 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit Giorgi Mamardashvili verpflichtet werden soll. Aktuell spielt der 22-Jährige noch beim FC Valencia. Verdichtet haben sich die Hinweise bislang allerdings nicht.
Goretzka, Kimmich, irgendwie doch Rice?
Und wie sieht das eigentlich mit der Mittelfeldzentrale aus? Das Aufgebot ist riesig: Leon Goretzka, Konrad Laimer, Marcel Sabitzer, Ryan Gravenberch. Einer von ihnen soll die defensive Position neben Joshua Kimmich spielen. Doch keiner ist dafür wirklich optimal. Geht es nach Tuchel, will der Berichten zufolge noch jemanden holen, nachdem sein Favorit Declan Rice für 115 Millionen Euro von West Ham zu Arsenal gewechselt ist. Fraglich, ob er diesen Wunsch erfüllt bekommt. Schließlich hat Hoeneß das am Wochenende plaudernd ausgeschlossen.
Die Frage ist deshalb eher nicht, wer noch dazu kommt, sondern vielmehr, wer noch geht. Es werden wohl kaum alle spielen. Auf Goretzka erhöhte Tuchel zuletzt spürbar den Druck, ein Abgang ist Berichten zufolge vorstellbar. Und auch Kimmich, der immer als unantastbar galt, ist offenbar nicht mehr unverkäuflich. Der große Umbruch im Mittelfeld steht also noch bevor, so richtig zeichnet sich noch kein Bild ab. Zudem soll der einstige Königstransfer Sadio Mané noch den Verein verlassen, kolportiert ist Interesse aus Saudi-Arabien.
Um diesen Sommer kümmert sich noch die Transfer-Task-Force um Uli Hoeneß, Karl-Heinz Rummenigge, Thomas Tuchel und Co. Deshalb sind das noch nicht Freunds Probleme. Die Gruppe wird bis zum September weiter fleißig puzzeln dürfen - und dabei tief ins Portmonee greifen. Erst danach beginnt für die Münchner ein neues Zeitalter.
Quelle: ntv.de