
Robin Gosens und Union Berlin sind in der Champions League bislang noch ohne Punktgewinn.
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Heute startet der vierte Spieltag der Champions League. Noch ist Union Berlin ohne Sieg. Und das könnte noch zu einem Problem für den deutschen Fußball werden. Auch Borussia Dortmund steht in der Verantwortung. Immerhin geht es um einen zusätzlichen Startplatz in der Champions League.
Im alten Fußball gab es immer wieder diesen einen Moment, in dem Fans aller Vereine plötzlich per Zwangsbefehl zu Fans der letzten verbliebenen Mannschaft in den europäischen Wettbewerben werden mussten. "Sie müssen an die Fünfjahreswertung denken!", war dann die Aufforderung, und einer wühlte sich immer durch die Datenbanken und erklärte den deutschen Fußball für gescheitert. Damals ging es um mögliche Qualifikationsplätze für die Champions League und somit auch für die anderen europäischen Wettbewerbe. Doch spätestens mit der Reform der Königsklasse zur Spielzeit 2018/2019 war der Zwangsbefehl aufgehoben.
Die vorher noch so wichtige Fünfjahreswertung war eine für Nerds und Fatalisten, die den Absturz der Bundesliga hinter die französische Ein-Team-Liga rund um den katarischen Milliardenklub Paris Saint-Germain befürchteten. Mit der Reform gab es jetzt nämlich vier feste Startplätze für die vier besten Nationen in der Fünfjahreswertung und dank Bayern München und hinreichenden Leistungen anderer Vereine wie Eintracht Frankfurt oder Borussia Dortmund langte es immer für die Top 4.
Das wäre vor der Reform kaum ausreichend gewesen. Denn der vierte Platz brachte nur zwei feste Startplätze, das hatte sich erledigt. Die Erzählung von der so wichtigen Fünfjahreswertung war auserzählt. Es wurde langweilig für diejenigen, die sich nicht mit dem Zwangsbefehl gemein machen, sondern viel lieber mit dem Zeigefinger auf andere Klubs zeigen wollten.
Wieso jedes einzelne Spiel wichtig ist
Gute Neuigkeiten gibt es nun genau für diese Klientel, die einzelne Klubs für den Untergang des deutschen Fußballs verantwortlich machen will. Gute Neuigkeiten gibt es jetzt also auch für die, die der unheilvollen Niederlagenserie von Union Berlin noch ein "die zerstören den deutschen Fußball" hinzufügen wollen. Denn diese Neuigkeiten hängen natürlich mit der neuen Champions League zusammen, die im kommenden Jahr mit erstmals 36 Klubs und im sogenannten Schweizer Format an den Start gehen wird. Dieses besagt eigentlich nur, dass es keine Gruppenphase mehr gibt. Es besagt auch, dass es noch mehr Spiele für die teilnehmenden Mannschaften geben wird.
Sie spielen in dieser Liga der 36 Teams gegen acht andere, nicht ganz willkürlich ausgeloste Mannschaften, bevor so etwas wie eine K.-o.-Phase beginnt (Details lesen Sie bitte hier beim Statistik-Fuchs Kevin Schulte nach). Die Klubs können mit diesen Extraspielen selbstverständlich auch Extrageld scheffeln, um ihre Vormachtstellung in den nationalen Ligen weiter auszubauen und den Wettbewerb noch ein Stück mehr auszuhebeln.
Weil an dieser neuen Königsklasse 36 Klubs und nicht nur 32 teilnehmen, sind urplötzlich vier weitere Startplätze verfügbar und zwei davon gehen an die in der neu eingeführten Einjahreswertung bestplatzierten Ligen. Diese heißt im offiziellen UEFA-Sprachgebrauch "Saison-Verbandsklubkoeffizienten-Rangliste" und basiert auf den Punkten, die alle Klubs des entsprechenden Verbands in einer bestimmten Saison in der Champions League, der Europa League und der Conference League geholt haben. Die gibt es für Siege und Unentschieden in allen Phasen der Wettbewerbe, es gibt Bonuspunkte für die Qualifikation für das Erreichen der K.-o.-Phase der Königsklasse und noch viel mehr. Dann werden alle Punkte der Teilnehmer eines Landes addiert und durch die Anzahl der aus dem jeweiligen Verband teilnehmenden Klubs geteilt.
Wie die Bundesliga acht Klubs nach Europa bringen kann
Sollte die Bundesliga am Ende der Saison wirklich unter den zwei besten Nationen landen, erhält sie fünf Startplätze in der Champions League, zwei in der Europa League und einen in der Conference League. Acht Mannschaften dürften dann in Europa ins Rennen gehen. Fast die halbe Liga. Unter ganz bestimmten Bedingungen sind sogar noch mehr Startplätze möglich. Doch diese Bedingungen sind so bestimmt, sie dürften nicht eintreffen.
Was so theoretisch herüberkommt, ist bei jedem einzelnen Spiel eines deutschen Vertreters wichtig. Jedes frühe Aus einer Bundesliga-Mannschaft reduziert die Punkte eines Landes allein dadurch, dass die Mannschaft keine Punkte mehr sammelt. Sollte so etwa Union Berlin mit null Punkten aus der Gruppenphase der Champions League gehen, tragen sie nur ihre vier gesammelten Punkte bei, was bei sieben Teilnehmern gerade einmal 0,571 Punkte ausmacht. Die verbliebenen Klubs dürften trotzdem nur ein Siebtel ihrer gewonnenen Punkte zur Wertung beisteuern.
Noch sind die Ausgangsbedingungen nahezu perfekt. Das hat in erster Linie mit dem Scheitern von CA Osasuna zu tun. Der spanische Vertreter verlor in den Playoffs zur Conference League gegen den FC Brügge und wird durch das Aus nur mit 0,063 Punkten zum spanischen Ergebnis beitragen. Jeder Sieg von Real Madrid wird in dieser Saison durch diese Katastrophe getrübt. Denn: Nur zweimal in den vergangenen acht Spielzeiten konnte sich ein Land einen Platz unter den ersten zwei Nationen sichern, wenn nicht alle angetretenen Klubs die Gruppenphase erreicht haben. Beides Mal, in der Saison 2015/2016 und 2018/2019, war es die der Konkurrenz ohnehin enteilte Premier League.
Wie der aktuelle Stand ist
Noch sieht es somit für die Bundesliga in dieser Saison ganz okay aus. Mit bisher 6,357 gesammelten Punkten liegt der deutsche Fußball auf dem vierten Rang. Von den Top-Ligen kann nur Italiens Serie A mit 6,571 Punkten einen besseren Wert vorweisen. Doch die Giganten aus der englischen Premier League (6,25 Punkte) und die Schwergewichte aus Spaniens La Liga (6,187) warten, wenn auch im Falle Spaniens schon dezimiert, nur auf die Patzer der Bundesliga-Teams. Dank guter Ergebnisse in den Qualifikationswettbewerben hat Belgiens Quintett um den Champions-League-Teilnehmer Royal Antwerpen aktuell mit 7,4 Punkten die Nase vor den Top-5-Ligen. An der Spitze hat die Türkei einen Blitzstart hingelegt. Zwar sind sie nach dem Aus von Adana Demirspor mit nur noch drei von vier angetretenen Mannschaften im Rennen, doch das Istanbul-Trio Galatasaray, Fenerbahçe und Besiktas sammelte bis hierhin einen Großteil der 8,75 Punkte.
Ein Blick auf die letzten Jahre verrät: Es könnte zwar alles auf einen Top-Wert für die Türkei hinauslaufen, doch mit einem Platz in der neuen Champions League werden sie dafür eher nicht belohnt werden. In den letzten sieben Spielzeiten waren die Plätze ohnehin recht einfach vergeben. England und Spanien krallten sich 11 der 14 möglichen Top-Platzierungen, mit Italien im vergangenen Jahr, den Niederlanden im Jahr zuvor und der Bundesliga in der Pandemiespielzeit 2019/2020 konnten nur drei Ligen die Dominanz der Gigantenligen durchbrechen. Besonders knapp ging es dabei im August 2020 zu. Bayern München hatte das Finale der Champions League erreicht und nur der vom brillanten Kingsley Coman besiegelte Triumph ließ Deutschland an England vorbeiziehen. Es war das einzige Jahr, in dem der Premier League ein weiterer Platz in der Königsklasse versagt worden wäre.
Die Bundesliga kam in der Spielzeit auf 18,714 Punkte - ein Wert, der danach nicht mehr erreicht wurde und gewöhnlich auch nicht ausreicht. Und deswegen zählt dieser Tage jeder Sieg eines Bundesliga-Teams. Denkt denn Union Berlin überhaupt nicht an die Einjahreswertung? Das gilt auch für Borussia Dortmund, die heute in der Champions League gegen Newcastle United den Lieferbefehl erhalten. Punkte für die Bundesliga sind in diesem Spiel keine Punkte für die Premier League.
Quelle: ntv.de