Fußball

Was bleibt von der Giganten-Ära? Wie sich Messi und Ronaldo gierig schrumpfen

Ewige Rivalen: Lionel Messi und Cristiano Ronaldo.

Ewige Rivalen: Lionel Messi und Cristiano Ronaldo.

(Foto: picture alliance / dpa)

Der eine spielt bereits in Saudi-Arabien, der andere ist aus vertraglichen Gründen wohl auf dem Weg dorthin. Knapp 15 Jahre lang waren Lionel Messi und Cristiano Ronaldo die Megastars des Weltfußballs, aber mittlerweile ist ihre Ära zu Ende. Wie kam es dazu?

Natürlich musste jede große Ära zu Ende gehen - ob die von Michael Jordan im Basketball, Tiger Woods im Golf oder Tom Brady im Football. Und trotzdem ist es immer wieder aufs Neue schwer zu fassen, wenn nahezu unantastbare Athletinnen und Athleten so langsam von der Weltspitze verschwinden. Die vergoldete Heimstätte für Bald-Pensionäre im Fußball befindet sich momentan wohl in Saudi-Arabien.

Spätestens seit dem geglückten Einstieg beim englischen Erstligisten Newcastle United über den vom Königshaus gelenkten Public Investment Fund (PIF) haben die Saudis so richtig Lust, den Fußball mit ihren schier endlosen Finanzressourcen aufzumischen. Übrigens spielt Newcastle bereits in der kommenden Saison, also nach nur einer ganzen Saison unter saudischer Aufsicht, in der Champions League.

Zugleich möchten die Strippenzieher in Riad immer mehr bekannte Fußballstars zu sich holen. Cristiano Ronaldo war dabei der erste große Name, als er am 1. Januar dieses Jahres einen Vertrag mit Al-Nassr unterschrieb. Schon bald könnte Lionel Messi sowie sein langjähriger Barcelona-Mitspieler Sergio Busquets für Al-Hilal ebenfalls in der sportlich schwachen Saudi Pro League auf dem Rasen stehen. Am vergangenen Donnerstag verkündete PSG-Trainer Christophe Galtier immerhin schon mal den Abgang seines Superstars zum Saisonende.

Ronaldo und Messi in Saudi-Arabien: Diese Vorstellung klang vor ein paar Jahren noch lachhaft. Ronaldo schien derart ehrgeizig und trainingsbesessen, dass man vermuten musste, er würde auch noch mit 40 um den Champions-League-Titel mitspielen. Messi wiederum wirkte wie eine unumstößliche Institution beim FC Barcelona, die so lange im Nou Camp ihre grandiosen Ballfertigkeiten zeigen würde, wie sie Lust darauf hätte.

Vom Hyperaktiven zum Hyperfokussierten

Schauen wir der Reihe nach auf die beiden Weltstars: Cristiano Ronaldo war nie auf dem technischen Ausnahmeniveau eines Messis, aber kompensierte jegliche minimale Unzulänglichkeit mit brachialer Athletik - eine Erfolgsformel, die Ex-Dortmund-Stürmer Erling Haaland momentan auf höchstem Level wieder anwendet. Ronaldos Arbeitsrate ging jedoch über die Jahre zurück. Aus dem einstmals fast hyperaktiven Dribbler in Diensten von Manchester United wurde erst unter der Aufsicht von Trainer Sir Alex Ferguson und erst recht nach seinem Wechsel zu Real Madrid im Jahr 2009 ein abschlussorientierter Außenstürmer.

Kritiker warfen Ronaldo vor, er würde nur für sich spielen, jeden Abschluss nehmen und wenig auf die taktische Struktur seines Teams achten. Bis zu einem gewissen Grad stimmte das auch, aber Ronaldo sorgte für Tore und nochmals Tore. Deshalb verrichteten Mitspieler wie Marcelo und Isco wohl ohne großes Murren quasi Butler-Dienste für Ronaldo, um diesen in Torschussposition zu bringen. Allerdings lebte Ronaldo in dieser Karrierephase, die ungefähr bis 2015 lief, auch von seiner Dynamik, seinem Antritt und seiner physischen Robustheit.

Wenn Ronaldo von der angestammten linken Seite nach innen zog, um einen Abschluss zu versuchen, kamen wenige Gegenspieler überhaupt in den Zweikampf. Es brauchte schon taktische Ausnahmekönner wie Bayern Münchens Rechtsverteidiger Philipp Lahm oder Borussia Dortmunds Außenverteidiger Lukasz Piszczek, um durch nahezu perfektes Stellungsspiel Ronaldo über 90 Minuten zu neutralisieren. Für Real Madrid sprangen mit Ronaldo vier Champions-League-Titel, darunter zwischen 2016 und 2018 drei in Folge, heraus.

Ronaldo will nur noch schießen

Auch zum Schluss seiner Zeit bei den Madrilenen war Ronaldo immer noch ein Torgarant. Mit 15 Treffern wurde er beispielsweise Torschützenkönig der Champions League 2018. Der 3:1-Sieg im Finale gegen Liverpool markierte jedoch das Ende von Ronaldos Zeit in der spanischen Hauptstadt, weil es ihn zum damaligen italienischen Serienmeister Juventus zog. Jedoch muss erwähnt werden, dass der Portugiese schon zuvor immer weniger am Spiel teilnahm - das galt fürs Pressing und generell die Defensivarbeit, als auch fürs offensive Kombinationsspiel.

Ronaldo fokussierte sich auf Schüsse und versuchte, diese so häufig wie möglich zu nehmen. In seiner letzten Real-Saison verbuchte er einen Wert von 6,8 Schussversuchen pro 90 Minuten, deutlich höher als in den Spielzeiten davor. Er kam aber nicht 40 oder mehr Tore, sondern "lediglich" auf 26. Die zahlreichen Schüsse bedeuteten eben auch, dass beispielsweise der taktisch klug agierende Mittelstürmer Karim Benzema, der teilweise für Ronaldo im Pressing mitarbeitete, nicht so zur Geltung kam.

Einmal in Turin angekommen und das Trikot von Juventus übergestreift, befand sich Ronaldo in einer neuen Umgebung. Massimiliano Allegri hatte als Cheftrainer so langsam sein Ideenbuch ausgereizt und der neue Stürmerstar wurde aus dem Mittelfeld rund um Miralem Pjanic nicht so gut gefüttert. Ronaldo war kein Fremdkörper, aber die Umstellung auf das Juve-System fiel ihm schwer. Zudem gab es keine Konstanz auf der Trainerbank - im ersten Jahr war Allegri in Verantwortung, im zweiten Maurizio Sarri, im dritten Trainernovize Andrea Pirlo. Juventus befand sich in Regression und so auch Ronaldo.

Sein letzter vermeintlicher Trumpf war eine Rückkehr zu Manchester United, aber in einer fast schon dysfunktionalen Mannschaft konnte der Portugiese anfangs noch als starker Vollstrecker einige Spiele mitbeeinflussen. Allerdings fiel seine geringe Arbeitsrate in der Defensive und selbst im offensiven Positionsspiel immer mehr auf. Interimstrainer Ralf Rangnick und ab dem vergangenen Sommer erst recht der neue Cheftrainer Erik ten Hag waren unzufrieden mit Ronaldos etwas antiquierten Spielweise, die sich im Übrigen auch bei der portugiesischen Nationalmannschaft während der letzten Turniere punktuell negativ niederschlug. Der Portugiese verließ fast schon verbittert seine alte Wirkungsstätte und gab auf dem Weg nach draußen noch ein Interview mit der britischen Journalismus-Allzweckwaffe Piers Morgan.

Mittlerweile kickt Ronaldo mit 38 in Saudi-Arabien, wo von ihm sowieso nicht verlangt wird, dass er direkt nach dem Auslösen eines "Pressingtriggers" den gegnerischen Ballführenden perfekt anläuft und unter Druck setzt. Aber der immer noch weltberühmte Fußballer soll unzufrieden bei Al-Nassr sein. Ob ihn ein europäischer Top-Club, der sich das horrende Gehalt leisten könnte, noch nimmt, ist fraglich. Die Verpflichtung Ronaldos wäre aktuell vor allem ein Marketingschachzug, aber keine signifikante Aufwertung des Kaders.

Barcelona konnte sich Messi nicht mehr leisten

Während man bei Ronaldo zusammenfassen kann, dass ein einst hyperathletischer Spieler irgendwann ins höhere Fußballeralter kam und zugleich seine taktische Verhaltensweise nie entscheidend anpasste, ist die Story des langsamen Niedergangs von Lionel Messi komplexer. Denn Messi gewann im Dezember noch die WM mit Argentinien und spielt für ein europäisches Top-Team.

Zur Erinnerung: Ab spätestens 2009 bis 2021 war Messi nicht nur ein Teil des FC Barcelona, er war der offensive Fokuspunkt. Natürlich hatten die Katalanen in jener Periode auch andere Ausnahmekönner, allen voran Andrés Iniesta und Xavi, aber vieles war darauf zugeschnitten, dass Messi stets seine Füße bei Angriffen im Spiel haben sollte. Ähnlich wie bei seinem ewigen Rivalen um den imaginären Thron für den besten Fußballer des Planeten, sprich Ronaldo, glänzte auch Messi nicht unbedingt mit starkem Defensivverhalten. Einige Barça-Trainer entbanden den Argentinier sogar bewusst von defensiven Aufgaben, um ihn für den eigenen Ballbesitz frisch zu halten.

Während Ronaldo vor allem über Brachialität kam, brillierte Messi allen voran mit seiner Ballführung auf engstem Raum. Die Dribblings von der rechten Seite in die und durch die Spielfeldmitte, oftmals in eine massierte Defensive hinein, hat jeder Fußballfan zuhauf gesehen. Wenn wir auf die nackten Zahlen schauen, so blieb Messis Scorerquote über 90 Minuten lange bei 1,4 und mehr. Lediglich in seiner letzten Spielzeit für Barcelona 2020/21 sank sie auf 1,16. Viele Profispieler würden wohl ihre Seele für solch einen Wert verpfänden.

Der Abgang Messis aus seiner langjährigen Heimat war begleitet von Barça-internen Kämpfen und auch ein Resultat von jahrelangem Missmanagement. Bei einer Vertragsverlängerung im Sommer 2021 hätten Barcelonas Transferausgaben rund 110 Prozent der Einnahmen betragen – das wäre ein Verstoß gegen die Auflagen der Liga gewesen. Somit kam es nicht zu einer Vertragsverlängerung, sondern zum Abgang Messis zu Paris Saint-Germain, das aus Katar finanziert wird. Es sah auf den ersten Blick so aus, als könnte Messi zusammen mit Neymar und Kylian Mbappé eine Art Äquivalent zu den "Big Three" der NBA-Franchise Miami Heat von 2010 bis 2014 bilden.

Für alle Romantiker gibt es eine Hoffnung

Doch anders als bei LeBron James, Dwyane Wade und Chris Bosh im Basketball blieb das Zusammenspiel der drei PSG-Stars vieles schuldig. Messi wurde von Cheftrainer Mauricio Pochettino des Öfteren weit auf dem rechten Flügel platziert, genoss nicht die positionellen Freiheiten wie zuvor in Barcelona und war ebenso nicht mehr der zentrale Anker im Offensivspiel seines Teams. Ähnlich wie bei Ronaldo in Turin kam auch Messi mit dieser neuen Situation allenfalls bedingt zurecht. Er erzielte nur alle vier Partien ein Tor und war in einigen Spielen so unauffällig wie wohl zuletzt in seiner Anfangszeit im Profiteam von Barça.

Die zweite Spielzeit verläuft zumindest aus statistischer Sicht besser für den Argentinier. Doch allein das indisponierte Auftreten von PSG im Champions-League-Achtelfinale gegen Bayern München unterstrich, dass der Pariser Klub und seine katarischen Geldgeber weit von ihren eigentlichen Zielen entfernt sind. Das wird durch zwei französische Meisterschaften mit Messi im Kader nicht aufgewogen.

Für alle Romantiker gibt es eine Hoffnung, weil eine Rückkehr von "La Pulga" zum FC Barcelona aktuell im Raum steht. Messis Vater soll jedoch einen Abstecher nach Saudi-Arabien bevorzugen, da sein Sohn von Al-Hilal angeblich ein Jahressalär von 450 Millionen Euro geboten bekommt. So ein wenig scheint es ohnehin, als wäre Messi mit sich und der Welt zufrieden, denn der WM-Titel vor einigen Monaten war das letzte große Ziel, das er über viele Jahre verfolgte, jedoch nie erreichte. 2014 gab es die Finalniederlage gegen Deutschland, bei anderen Turnieren wurde Argentinien vorzeitig nach Hause geschickt.

Der WM-Titel ist besonders Trainer Lionel Scaloni zu verdanken. Dem jungen Trainer gelang es während der vier Wochen in Katar, das eigene Team so einzustellen, dass eigentlich alle für Messi arbeiteten und die Meter, die er selten gehen konnte, zusätzlich auf ihre Kilometerzähler nahmen. Die Mannschaft der "Albiceleste" kämpfte gewissermaßen auch für das Vermächtnis ihres Anführers, der nun in seinem Heimatland endgültig auf einer Stufe mit Diego Armando Maradona steht.

Wahrscheinlich ist es menschlich, dass einige von uns gar nicht daran glauben, eine Ära im Sport könnte zu Ende gehen. Aber auch Messi und Ronaldo sind alt geworden und haben nicht immer die besten Karriereentscheidungen getroffen. Aber die Fußballwelt zieht natürlich weiter - nun sind Mbappé, Haaland, Vinicius und ein paar mehr die neuen Superstars.

Was konkret von der Messi-Ronaldo-Ära bleibt, sind nicht nur spektakuläre Szenen in Clásicos oder generell spektakuläre ihrer Teams, sondern eine Art ewig währender Zweikampf. Dabei ging es auch darum, welche Art von Offensivfußballer man präferiert: den Superathleten oder den Supertechniker. Stellvertretend beförderte auch der Kampf zwischen Real Madrid und Barcelona eine Art Glaubensfrage: Bevorzugt man ein Starensemble, das der Trainer nur führt, aber nicht unbedingt formt? Oder sieht man lieber ein Team mit dem Drang zu totaler Kontrolle und Trainern mit immer neuen Ideen?

Quelle: ntv.de

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen