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"Sportschau" gegen "Anpfiff" Als der Fußball-TV-Kampf um den Samstagabend entbrannte

Ulli Potofski (l.) und sein Team veränderten mit "Anpfiff" die Fußball-Berichterstattung.

Ulli Potofski (l.) und sein Team veränderten mit "Anpfiff" die Fußball-Berichterstattung.

(Foto: imago sportfotodienst)

Zur Spielzeit 1989/90 gab es im deutschen TV ein echtes Novum: RTLplus trat damals mit seiner Fußball-Show "Anpfiff" gegen das alte Schlachtross der ARD "Sportschau" an. Was vor 35 Jahren noch niemand ahnen konnte: Dieser TV-Kampf sollte die Berichterstattung revolutionieren.

"Ich glaube, von der direkten Konkurrenz profitiert in erster Linie die Video-Recorder-Industrie." ARD-Sportschau-Moderator Heribert Faßbender versuchte, im Sommer vor 35 Jahren angesichts des ersten echten Stresstests seiner erfolgreichen Samstagabend-Sendung die brisante Lage für ihn und sein Team etwas herunterzuspielen - denn RTLplus saß dem WDR-Sportschef im Nacken. Erstmals sendeten die beiden TV-Anstalten parallel zur selben Zeit ihre Berichterstattung zur Fußball-Bundesliga. Eine äußerst delikate Situation nicht nur für Heribert Faßbender, sondern auch für seinen Herausforderer, den RTLplus-Sportchef Ulli Potofski. Denn eins war damals schon klar: Langfristig überleben würde auf diesem Sendeplatz nur einer können.

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"Rex Gildo für Arme", hatte der ehemalige Meistertrainer und damalige scharfzüngige Kolumnist Max Merkel den lockigen Sportmoderator aus dem Ruhrgebiet getauft. Und tatsächlich war Ulli Potofski anders. Schon alleine seine Biografie ließ aufhorchen. Mal wurde er als früherer "Puppenspieler und Discjockey" angekündigt, dann wieder als Schlagersänger. Was übrigens tatsächlich stimmte, denn Potofski hatte als junger Mann unter dem Künstlernamen Ulli Mario eine Single mit dem Titel "Ich kann an keinem Girl vorübergeh'n" veröffentlicht. Er selbst sagte einmal in einer Sendung, bei der Otto Rehhagel als Gast auftreten sollte: "Er ist ein Anstreicher aus Essen, ich ein Bäcker aus Gelsenkirchen - da kann es doch eigentlich keine Probleme geben."

"Potofski ist ein Knallfrosch"

Der "Fernseh-Oskar", Oskar Beck, des Sportmagazins "Kicker" beschrieb ihn jedenfalls so: "Potofski ist ein Knallfrosch. Immer lustig und locker. Die frei laufenden Hühner, weiß er, legen die schönsten Eier. Augenthaler sagt: Fußball ist zu fünfzig Prozent Glück. 'Fünfzig?', sagt Potofski, und das Bäuchlein hüpft naseweis aus der Hose, bei mir sind's hundert'" Man kann sich vorstellen, dass dieser Ulli Potofski und seine Truppe von RTLplus die Fußballlandschaft im TV vor 35 Jahren ordentlich aufmischte.

Denn die ARD-Sportschau hatte an ihrer Form der Berichterstattung quasi seit ihrer Gründung im Jahr 1963 nicht mehr viel verändert. Und so präsentierte Sportchef Heribert Faßbender eine Neueinführung zur Saison 1989/90 bereits mit hörbarem Stolz: "Zum ersten Mal übertragen wir vier Spiele statt maximal drei." Da konnte Ulli Potofski allerdings nur müde lächeln. Denn auf die Frage, welche der beiden Sendungen der Zuschauer denn nun in Zukunft einschalten sollte, antwortete der Mann von RTLplus: "Ganz einfach: bei uns sind alle Spiele der ersten Liga zu sehen."

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Doch nicht nur alle Spiele waren bei RTLplus zu sehen: "Anpfiff" sollte die gesamte Fußball-Berichterstattung der damaligen Zeit revolutionieren. Aus dem reinen Ergebnisdienst der "Sportschau" machten die Männer und Frauen rund um ihren Chef Ulli Potofski aus dem Fußball eine dreistündige Unterhaltungssendung. Das Markenzeichen der Show waren die Nähe und die "menschelnden" Momente. Zusatzkameras und Mikrofone bei den Trainern waren eine Selbstverständlichkeit. Und die neuen "Darsteller" wussten diese Möglichkeiten pointiert zu nutzen. So raunte Manni Krafft, der Coach der Stuttgarter Kickers, einem Betreuer an der Seitenlinie jovial zu: "Schenk ihm doch mal ein Eis. Der hat's verdient!" Der Mann, über den Krafft da vor einem Millionen-Publikum an den Fernsehgeräten sprach, war übrigens sein eigener Spieler.

Vergnügungsdame sorgt für reichlich Kopfschütteln

Doch nicht alle Neuerungen fanden das Wohlwollen der interessierten Fußball-Öffentlichkeit. Die "Sport Bild" beschrieb damals mit diesen Worten einen eher missglückten Moment der Berichterstattung: "Das ging dann doch wohl zu weit. In ihrem Bestreben, immer etwas peppiger zu sein als ihre öffentlich-rechtliche Konkurrenz, präsentierten die Fernsehmacher von RTLplus letzten Samstag in einem Livebericht aus dem St.-Pauli-Stadion in Hamburg auch 'St. Paulis bekannteste Vergnügungsdame' (RTL-Originalton) - die mit 122 Zentimeter Oberweite ausgestattete Domenica. Die Reaktion der gesamten Fußball-Bundesliga war Kopfschütteln. Stellvertretend für alle der Kommentar von Bochums Trainer Jupp Tenhagen: "Unpassend. Bei 'Anpfiff' gucken sicher auch viele Kinder zu, da muss solch ein Auftritt nicht sein."

Doch insgesamt ließ sich Potofski von seinem Weg nicht abbringen und versprach, dass in seiner Sendung jeder zu Worte kommen dürfe: "Egal ob Schauspieler oder Nonne. Hauptsache, die Person hat einen Bezug zum Fußball." Dauergast beim "Anpfiff" war Günter Netzer, der damals allerdings noch nicht die Lockerheit und das Esprit vermittelte, das später die Zusammenarbeit mit Gerhard Delling zum Kult werden ließ. Und so schrieb die "Bild am Sonntag" damals süffisant: "Zu Potofskis größten Leistungen zählt sicher, Günter Netzer vor laufenden Kameras zum Lächeln gebracht zu haben - ohne Gewaltanwendung."

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Der "TV-Kampf" sorgte auch dafür, dass sich die Sender immer wieder neue Dinge einfallen ließen. Und so versprach im Februar 1992 RTLplus vollmundig: "Sie sehen Fußball, wie er noch nie über die Mattscheibe flimmerte." Die atemberaubende Neuerung, die den TV-Fußball komplett revolutionieren sollte, nannte eine große deutsche Sportillustrierte anschließend nur den "der flotten Aua-Dreier". Alleine die Erläuterung von Ulli Potofski zu der Dreiteilung des Bildschirms bei einem Foul hörte sich schon spektakulär an: "Sie sehen oben den, der weh getan hat, unten den, der Aua hat - und links den, der den Freistoß treten wird." Es wurde allerdings ein echter medialer Rohrkrepierer.

Und auch so schafften Ulli Potofski und sein Team - trotz aller Neuerungen, die die gesamte Fußball-Berichterstattung nachhaltig prägen und verändern sollten - es am Ende nicht, die "Sportschau" dauerhaft zu gefährden. Das alte Schlachtross der ARD sollte später schließlich auch die mediale Auseinandersetzung mit Sat1 und der Sendung "ran" langfristig für sich entscheiden. Und so wird auch in dieser Saison an jedem Samstagabend ab 18.30 Uhr wie seit nunmehr über 60 Jahren wieder die "Sportschau" über die Fußball-Bundesliga berichten. Die Video-Recorder-Industrie hat der "TV-Kampf" damals übrigens auch nicht retten können.

Quelle: ntv.de

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