"Was für ein Quatsch!" Als die untergehende DDR noch einmal auf die DFB-Elf treffen sollte
08.02.2025, 09:50 Uhr
Vor dem Spiel gegen Österreich waren die Fans aus der DDR noch optimistisch.
(Foto: imago images/Sportfoto Rudel)
Vor 35 Jahren spielte das Schicksal den beiden deutschen Staaten noch einmal einen Streich. Bei der Auslosung zur EM 1992 wurde die DDR in den Topf der BRD gelost. Das schlug natürlich Wellen. Nur Franz Beckenbauer hatte schon früh eine Ahnung, was passieren würde.
"Eine dufte, ganz große Sache. Die Fans in der DDR sind heiß drauf. Selbst Leipzigs großes Zentralstadion ist zu klein, um alle Interessierten zu fassen." Der DDR-Nationalspieler Andreas Thom war vor 35 Jahren begeistert. Gerade erst war er als erster Spieler der DDR auf offiziellem Weg ("Ich find' das gut, der erste Legale zu sein. Denn abgehauen wär ich nie!") von seinem Ost-Klub BFC Dynamo Berlin zu Bayer Leverkusen in den Westen gewechselt, da zwinkerte in Stockholm bei der Auslosung zur Qualifikation der Europameisterschaft 1992 die "Glücksfee" auf besondere Art und Weise den beiden deutschen Staaten zu. Denn im Lostopf 5 versammelten sich neben Belgien, Luxemburg und Wales auch die DDR und die BRD.
Doch während sich Andreas Thom und andere Fußballfans hüben und wie drüben der mittlerweile geöffneten Grenze auf die beiden Spiele freuten, titelte der Boulevard am nächsten Morgen für den Rest der Bevölkerung der beiden deutschen Staaten gewohnt plakativ: "Wir gegen uns. Was für ein Quatsch!" Beide Sichtweisen - die sportliche wie die eher politische - konnte man damals allerdings gut teilen, denn es waren, man kann es nicht anders sagen, wilde und unglaublich dynamische Zeiten, die beide Länder tief bewegten und für viele Monate kaum zur Ruhe kommen ließen.
Sofort werden Erinnerungen an 1974 wach
"Ich schicke lieber Franz Beckenbauer. Er hat stets die Glücksgöttin im Gepäck", hatte der kommende Bundestrainer Berti Vogts - er sollte nach der WM 1990 in Italien die Nachfolge des "Kaisers" antreten - noch vor der Auslosung in Stockholm gemeint und sich lieber nach Brasilien in den Urlaub verabschiedete. Dass dann in Schweden ausgerechnet die DDR in die Gruppe der DFB-Auswahl gelost wurde, fand der frühere Terrier zwar nicht so glücklich, aber sportlich durchaus machbar. Die Brisanz dieser beiden Spiele ("Ausgerechnet DDR - das kann ja heiter werden", titelte eine große deutsche Sportillustrierte) bereitete jedoch auch Berti Vogts Sorgen. Schließlich waren die Erinnerungen an ein früheres Zusammentreffen nicht nur bei ihm noch relativ frisch.
Und so war es auch kein Wunder, dass der 1965 geborene Andreas Thom direkt auf dieses unvergessliche Ereignis zu sprechen kam, als er nach den Aussichten für das DDR-Team im Duell gegen die DFB-Elf befragt wurde: "Für mich ist die BRD-Auswahl klarer Favorit, aber das war sie ja 1974, als wir 1:0 gewannen, auch. Ich hoffe natürlich, dass ich dabei bin. Ich wünschte mir zudem, das entscheidende Tor, wie seinerzeit Sparwasser, zu schießen." Ein durchaus verständlicher Wunsch, wenn man die unglaubliche Bekanntheit und Popularität von Jürgen Sparwasser bis auf den heutigen Tag sieht.
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Da sich die DDR jedoch zuvor noch nie für eine EM-Runde qualifiziert hatte, war auch verständlich, dass die westdeutsche Elf den beiden Spielen dennoch relativ gelassen entgegensah. So meinte Teamchef Franz Beckenbauer bereits direkt nach der Auslosung: "Ich bin sicher, dass die Europameisterschaft 1992 mit der DFB-Elf stattfinden wird." Und mit ein bisschen Abstand fügte der "Kaiser" gewohnt weise und vorrausschauend noch etwas Wesentliches hinzu: "Wenn die Geschwindigkeit so anhält, wenn die Wiedervereinigung kommt, dann wird es auch nur einen Fußballverband geben. Möglich, dass der Wunsch von Berti Vogts doch noch in Erfüllung geht. Er wollte eine Vierer-Gruppe!" Und genau so kam es.
Die USA durften noch einmal in den Prenzlauer Berg reisen
Am 19. Juli 1990 entschieden der DFB und der DFV gemeinsam, die Mannschaft der DDR aus der Qualifikation für die Europameisterschaft 1992 in Schweden zurückzuziehen. Angesichts der mittlerweile beschlossenen deutschen Einheit, die noch vor dem ersten Spiel der Qualifikation am 3. Oktober 1990 in Berlin vollzogen werden sollte, war der Weg nun frei für eine gesamtdeutsche Mannschaft. Doch bis am 20. November 1990 in Leipzig auf einem außerordentlichen Verbandstag der DFV seine Selbstauflösung und Neukonstituierung als Nordostdeutscher Fußballverband e.V. beschloss, traf die DDR-Auswahl noch in einigen Länderspielen auf andere Nationen. Dabei kam es immer wieder zu kuriosen Ereignissen.
So trat das DDR-Team beispielsweise am 28. März 1990 im Friedrich-Ludwig-Jahn-Stadion gegen die USA an. Zuvor hatten die Amerikaner zwei Sachen für die Partie eingefordert: Das Spiel müsse zwingend in Ost-Berlin stattfinden - und die komplette Delegation müsse die Gelegenheit bekommen, sich "Steine aus der Berliner Mauer mitnehmen zu dürfen." Beides wurde zugesagt und so leitete Wolf-Günter Wiesel aus Ottbergen im Frühling vor 35 Jahren eine denkwürdige Begegnung.
Die DFB-Elf sicherte sich, wie wir heute natürlich wissen, das Ticket für das EM-Turnier in Schweden am Ende relativ souverän mit 10:2 Punkten vor Wales, Belgien und Luxemburg. Beim Finale 1992 in Göteborg gegen Dänemark standen schließlich drei Akteure aus der ehemaligen DDR auf dem Feld. Thomas Doll und Matthias Sammer - und ab der 80. Minute auch ein gewisser Andreas Thom. Aus seinem Traum, selbst einen zweiten Sparwasser-Moment in einem rein deutschen Spiel erleben zu dürfen, war zwar nichts geworden. Aber das hat der Mann aus Rüdersdorf in Brandenburg angesichts seiner imposanten Karriere nach der Wende sicherlich schnell verschmerzen können.
Quelle: ntv.de