
Berti Vogts bekam seinen EM-Titel erst mit Verspätung.
(Foto: imago images/Pressefoto Baumann)
Eigentlich war das Feld für den Weltmeister von 1990 schon bestellt - doch dann gab es gegen eine mitreißend aufspielende dänische Nationalmannschaft ein kolossales Debakel. Deutschland verlor das Endspiel der EM gegen ein sympathisches Team mit Herz - und einem Hang zu Cola, Bier und Zigaretten!
"Ich finde keinen Trost!" Nach der Finalniederlage der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft 1992 gegen Dänemark saß Bundestrainer Berti Vogts zusammengesunken bei der Pressekonferenz auf seinem Stuhl und konnte nicht fassen, was seinem Team kurz zuvor auf dem Rasen im Göteborger Ullevi-Stadion widerfahren war. Als eindeutiger Favorit war die DFB-Elf in das Endspiel am 26. Juni 1992 gegen die Dänen gegangen. Und nun herrschte die totale Ernüchterung beim Nachfolger von Weltmeistercoach Franz Beckenbauer. Als sich Vogts am nächsten Tag wieder gesammelt hatte, sprach er ungewohnte Töne: "Wer die Einstellung nicht mitbringt, hat bei uns nichts zu suchen!"
Die deutsche Mannschaft war also nach der Meinung ihres Bundestrainers an der Einstellung gescheitert. In einem Finale eines großen Turniers? Das warf in der Tat damals Fragen auf, die unangenehm waren - und deren Antworten die Presse noch einige Wochen nach Turnierschluss beschäftigen sollten. Denn schon während der laufenden EM hatte besonders ein Mann für bittere Schlagzeilen gesorgt. Vier Jahre später sollte er einer der Helden des Europameisterschaftsgewinns von England werden. Nun war er aber erst einmal der Depp. Doch dazu später mehr.
"Musst rauchen, um zu spielen"
Und was machte der Finalgegner der Deutschen, die Dänen? Sie waren als großer Sympathieträger mit Überschallgeschwindigkeit durch das Turnier geflogen - denn eigentlich wären sie bei der EM 1992 in Schweden gar nicht mit dabei gewesen. Doch dann wurde wegen des Bürgerkriegs auf dem Balkan Jugoslawien ausgeschlossen und alles musste schnell gehen. Später sprach man davon, dass Dänemark direkt vom Strand aus zum Europameister geworden war. Und tatsächlich waren die Spieler der Nationalelf gerade überall in Europa und der Welt unterwegs, als die UEFA Jugoslawien vom Turnier ausschloss und Dänemark als Zweitplatzierter der Gruppe nachrücken sollte.
Im Nachhinein wurde sogar die Legende geboren, dass der dänische Coach Richard Möller-Nielsen Suchtrupps an die schönsten Strände der Welt ausgesendet haben soll, um seine Spieler einzusammeln. Egal, was auch immer die Beteiligten taten, es klappte! Zwar versuchte Dänemark den Start der EM noch zu verschieben, doch als der Anpfiff zum ersten Spiel in Schweden ertönte, war der dänische Kader gut gefüllt. Es gab nur ein Problem: Die fehlende Vorbereitungszeit!
Doch die glich Dänemarks Nationalmannschaft auf besondere Art und Weise aus, wie der ehemals beim HSV aktive Mittelfeldspieler John Jensen den Journalisten grinsend verriet: "Bei uns musst du Bier oder Cola trinken und rauchen, um zu spielen." Und so rechneten damals nicht wenige Beobachter vor Ort damit, dass den Dänen bei diesem Lebenswandel spätestens im Finale die Luft ausgehen müsste. Doch anstatt den Männern aus dem Norden präsentierten sich eher die Deutschen als "Luftnummer".
"Südländer Skandinaviens"
"Sie haben mit Herz gespielt, das muss man schon anerkennen", meinte nach dem Endspiel der deutsche Mittelfeldstar des AS Rom, Thomas "Icke" Häßler - und blies damit in dasselbe Horn, in das schon der Bundestrainer geblasen hatte. Komisch nur, dass die deutsche Elf dem dänischen "Champagner-Fußball" (Brian Laudrup über sein Team) so wenig im Finale entgegenzusetzen hatte. Schließlich hatte Berti Vogts höchstpersönlich schon vorher in den höchsten Tönen den EM-Nachrücker gelobt: "Die Dänen haben alle taktischen Regeln über den Haufen gerannt. So lange sie ihre Füße trugen, sind sie marschiert auf eine Art und Weise, die bei dieser EM ihresgleichen sucht. Mit Feuer und Herz sind sie bei der Arbeit - ich nenne sie die Südländer Skandinaviens."
Eigentlich hätte die deutsche Mannschaft also gewarnt sein müssen vor den Dänen, doch im Finale hatten die Zuschauer im Göteborger Ullevi-Stadion und vor den TV-Geräten zu Hause nie das Gefühl, dass die DFB-Elf mit allen Sinnen und Kräften auf dem Platz stand. Und so brachte hinterher Nationalkeeper Bodo Illgner die einfache Erfolgsformel der "sympathischen Dänen" (O-Ton nach dem Endspiel Guido Buchwald) auf den Punkt: "Das willensstärkste Team ist Europameister geworden."
"Haben genug Spieler mit Herz"
Ein Spieler, der schon zuvor intern wie in den Medien in der Kritik stand, war beim Finale bereits gar nicht mehr mit dabei. Auf Wunsch des Mannschaftsrates um Kapitän Andreas Brehme hatte der Bundestrainer im Halbfinale gegen die Schweden Andreas Möller aus der ersten Elf genommen. Nach dem 3:2-Sieg jubilierte Abwehrrecke Guido Buchwald: "Endlich steht eine Mannschaft auf dem Platz. Es war spät, aber nicht zu spät, um die Notbremse zu ziehen." Und Torwart Bodo Illgner hatte noch angefügt: "Wir haben genug Spieler mit Herz."
Nach der Finale-Demontage durch eine mitreißend aufspielende dänische Nationalmannschaft zeigte sich dann allerdings, dass die Probleme der deutschen Elf noch etwas tiefer lagen, als sie es selbst nach dem kurzfristigen Strohfeuer wohl gehofft hatte. Und so geriet unversehens der "tüchtige" Bundestrainer Berti Vogts in das Kreuzfeuer der Kritik. Erst vier Jahre später sollte dann das klappen, was Bodo Illgner sich bereits für den Tag heute vor genau dreißig Jahren gewünscht hätte: "Mit einem Sieg hätten wir dem Bundestrainer enorm helfen können, dass er auch in der Öffentlichkeit zu dem Ansehen kommt, das er verdient hat." Und genau das gelang dann 1996 nicht zuletzt wegen eines phasenweise bei diesem Turnier groß aufspielenden Andreas Möller.
Quelle: ntv.de