Fußball

Irre Endspiele ohne Sieger Die unglaublichste Meisterschaft aller Zeiten

Erinnerungen im HSV-Museum.

Erinnerungen im HSV-Museum.

(Foto: imago)

Es ist bis heute die einzige deutsche Fußball-Meisterschaft ohne Sieger. In zwei unglaublich intensiven Partien standen sich vor genau 100 Jahren der Hamburger SV und der 1. FC Nürnberg gegenüber. Doch selbst nach knapp 300 Minuten war nichts entschieden.

"Nur die Dunkelheit macht dem fast vierstündigen Ringen ein Ende. Ungeheure Anforderungen an den Schiedsrichter, der nach dreieinhalb Stunden zeitweise zusammenbricht." Das sind die spektakulären Ereignisse dieses 18. Juni 1922 in Berlin in den Worten des staunenden Beobachters des "Fußball"-Magazins. Und tatsächlich hatte Schiri Peco Bauwens, der spätere Präsident des DFB, zwischenzeitlich am Boden gelegen, von Krämpfen geplagt und sich nur mühsam wieder aufrappeln können. Die Partie im Grunewald war der spektakuläre Aufgalopp im zähen Kampf um die deutsche Fußball-Meisterschaft 1922 zwischen dem Hamburger SV und dem 1. FC Nürnberg - und sie sollte am Ende tatsächlich erstmals und bis heute einmalig ohne Sieger bleiben.

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Die Zuschauer, die an diesem legendären Sommerabend 1922 in Berlin mit dabei waren, erzählten noch viele Jahre später mit leuchtenden Augen von den Erlebnissen dieses ganz besonderen Spiels, das zuerst in glühender Hitze begann und dann von kräftigen Regenschauern begleitet wurde. In der "Festschrift zum Stiftungsfest" des Hamburger SV erinnerte sich der ungläubige Fan Franz Bunge so an das Spiel: "Es ereigneten sich groteske Szenen. Oft war ein Spieler, der zu Fall gekommen war, nicht mehr in der Lage aus eigener Kraft aufzustehen. Dann liefen Zuschauer auf den Platz und stellten den Mann behutsam wieder auf die Beine." Doch nach 189 gespielten Minuten ging - gegen 21 Uhr - im Grunewaldstadion bei beiden Mannschaften und dem Schiedsrichter gar nichts mehr. Aber Schiri Bauwens pfiff nicht etwa wegen der kaum mehr auszuhaltenden Erschöpfung aller Männer auf dem Rasen ab - sondern aus einem anderen, fast schon banalen Grund: Mittlerweile war es dunkel in Berlin geworden.

Über Titania Stettin und Wacker München

Dass der Hamburger SV überhaupt im Finale stand, war eine kleine Sensation, denn die Hanseaten hatten in der Saison nur den dritten Platz in der Tabelle belegt, durften aber als Titelverteidiger dennoch an der Endrunde zur norddeutschen Meisterschaft teilnehmen. Und nachdem sie diese gewonnen hatten, schalteten sie völlig überraschend nicht nur Titania Stettin, sondern auch die hoch favorisierte Mannschaft von Wacker München aus. Doch im Finale gegen den Sieger des letzten Endspiels, den 1. FC Nürnberg, sollte nach Meinung fast aller Experten nun endgültig Endstation für den HSV sein. Aber es kam anders. Spektakulär anders.

Bereits nach 17 Minuten gingen die Hanseaten gegen den Club, der ohne seinen Starspieler Hans Kalb auskommen musste ("Club ohne Kalb - halb"), in Führung. Dann allerdings drehten die Nürnberger auf und schossen innerhalb von nur sechszehn Minuten ein 2:1 heraus. Und das Ergebnis hielten die Franken lange. Sehr lange. Bis zur 86. Minute. Dann erlöste die in der zweiten Halbzeit konstant drängenden Hamburger Hans Flohr mit seinem Treffer zum 2:2-Unentschieden. Nun gab es Verlängerung.

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Und es wurde ein Kampf auf Biegen und Brechen. 19 Mal eilten an diesem Abend die Sanitäter auf den vom Regen aufgeweichten Rasen, um verletzte Spieler zu behandeln. Beide Teams schenkten sich nichts. Doch besonders ein Akteur des Clubs war den Hamburgern ein Dorn im Auge. Anton Kugler, ein beinharter Abwehrrecke, wurde von den Hanseaten beschuldigt, besonders rabiat zur Sache zu gehen. Doch der Nürnberger öffnete nur kurz seinen blutenden Mund - und zeigte auf fünf Zähne, die man ihm an diesem Tag bereits ausgeschlagen haben sollte. Irre, unglaubliche Szenen spielten sich an diesem Tag des Endspiels um die deutsche Fußball-Meisterschaft im Berliner Grunewaldstadion ab.

Und da es damals noch kein Elfmeterschießen gab, musste die Verlängerung so lange gespielt werden, bis eines der beiden Teams ein Tor schießt. Doch genau da begannen die Probleme dieses Abends. Weder den Hamburgern noch den Nürnbergern gelang ein Treffer. Und nachdem Schiedsrichter Peco Bauwens, wie beschrieben, irgendwann einfach nicht mehr konnte, waren alle Beteiligten froh, dass die hereinbrechende Dunkelheit die Partie nach über drei Stunden endlich beendete.

Mannschaften stecken in der Menge fest

Doch auch das zweite Endspiel am 6. August in Leipzig ging in die Geschichte des deutschen Fußballs ein. Über 60.000 Zuschauer wollten der Partie beiwohnen, doch das Stadion war nur für 40.000 zugelassen. Und nachdem auch noch die Sonderzüge aus Hamburg Verspätung hatten (HSV-Starspieler Tull Harder: "Kommen unsere Schlachtenbummler nicht hinein, dann ohne uns"), entwickelte sich das Ganze langsam aber sicher zu einer echten Zuschauer-Katastrophe. Erst mit über einer halben Stunde Verspätung konnte die Begegnung schließlich angepfiffen werden, weil beide Mannschaften in der Menge feststeckten - und überhaupt nicht auf den Platz gelangten.

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Und wieder kam es zur Verlängerung. Beide Teams gaben alles - doch besonders die Nürnberger traf es an diesem Nachmittag hart. Auswechslungen waren noch nicht erlaubt und so standen nach 107 Minuten und zwei Platzverweisen sowie zwei Verletzungen nur noch sieben Club-Spieler auf dem Rasen. Acht mussten es aber sein. Und so beendete Schiedsrichter Peco Bauwens die Partie - beging dabei allerdings einen Formfehler, weil er verbotenerweise die Begegnung in der Spielpause der ersten Verlängerung abbrach. Als der DFB anschließend den Hamburger SV zum Sieger kürte, legten die Nürnberger erfolgreich Protest ein. Doch der Fußball-Bund kam noch einmal zusammen und entschied endgültig, dass der HSV der Gewinner der deutschen Fußball-Meisterschaft 1922 sei.

Die Hanseaten im Vorstand der Rothosen waren sich allerdings im Nachgang einig, dass man keinen Anspruch auf den Titel erheben werde. Und obwohl die Fans des HSV dies natürlich anders sahen, ist die Meisterschaft des Jahres 1922 deshalb bis heute die einzige, die trotz zweier unglaublicher Finalpartien, am Ende keinen Sieger hatte. Auf eine gewisse Art und Weise macht dies allerdings die gesamten Geschehnisse des Sommers vor einhundert Jahren so phänomenal besonders.

Quelle: ntv.de

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