Deutscher Müll entlastet andere "Dänemark ersetzt mit Biogas 30 Prozent seines Erdgases"
24.03.2024, 06:39 Uhr Artikel anhören
Biogas lässt sich unter anderem aus Bioabfall gewinnen.
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Wind, Sonne, Geothermie, Wasserkraft und Biomasse sind die fünf erneuerbaren Energien. Speziell Biogas spielt in den Plänen der Bundesregierung bisher keine große Rolle, obwohl Städte wie Trier gerne umfangreich darauf setzen möchten als Reserve für den Winter. Ein Fehler, sagt Simone Peter im "Klima-Labor" von ntv. Den Vorwurf der Flächenkonkurrenz zum Nahrungsmittelanbau weist die frühere Grünen-Chefin zurück. Stattdessen verteidigt sie Biogas als "echte Alternative" zu Erdgas: Es kommt aus Deutschland, verschafft Landwirten eine neue Einnahmequelle und ist eine energetische Allzweckwaffe, die für Strom, Wärme und als grüner Kraftstoff eingesetzt werden kann. Peter verspricht: "Stellt uns auf Augenhöhe und wir zeigen im Wettbewerb, dass wir schneller, besser und ein zigfaches günstiger sind." Allerdings landet deutscher Bioabfall bisher vorwiegend in Dänemark.
ntv.de: Der größte Vorwurf, der Biomasse gemacht wird, ist: Wenn man das großflächig als Energieträger nutzt, fehlen Ackerflächen für Nahrungsmittel. Sie setzen sich trotzdem dafür ein. Warum?

Simone Peter war von 2013 bis 2018 Grünen-Chefin. Seit März 2018 ist sie Präsidentin des Bundesverbandes Erneuerbare Energie.
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Simone Peter: Die Debatte, ob nachwachsende Rohstoffe dieselben Flächen beanspruchen wie Nahrungsmittel, wurde bereits vor einem Jahrzehnt intensiv geführt. Das stimmt nicht, wir nutzen unterschiedliche Flächen für Energiepflanzen, Futterpflanzen oder Pflanzen für den menschlichen Konsum.
Der Mais, den wir gerne als Maiskolben oder Popcorn essen, pflanzt man auf anderen Flächen als den Energiemais, aus dem später Biogas wird?
Ja. Allein deshalb, weil die Lebensmittelstandards für Menschen in der Regel höher sind als für andere Nutzungsformen. Tatsächlich werden Flächen frei, denn Mais wird etwa oft ins Tierfutter gegeben. Der Fleischkonsum nimmt aber ab. Weniger Tiere auf der Weide benötigen weniger Futter. Wir haben auch noch ein großes Reservoir an Rest- und Abfallstoffen. Dänemark ersetzt mit Biogas ungefähr 30 Prozent seines Erdgasverbrauchs. Die Dänen importieren auch deutschen Abfall aus Biotonnen, Gülle, landwirtschaftliche Reststoffe oder Stroh. Die könnten wir genauso gut selbst nutzen.
Als erneuerbare Energien bezeichnet man Energieträger, die natürlich stattfinden oder nachwachsen. Insgesamt gibt es fünf: Sonnenenergie, Windkraft, Erdwärme (Geothermie), Wasserkraft und die aus nachwachsenden Rohstoffen gewonnene Biomasse. Dazu gehört neben dem Holzbau primär die Herstellung von Biogas: Energiepflanzen, aber auch pflanzliche oder biologische Abfälle, Grünschnitt oder Reststoffe können in Biogasanlagen von Bakterien abgebaut werden. Bei diesem Gärprozess entstehen Gase wie Methan, die anschließend zur Strom- und Wärmegewinnung genutzt werden können.
Und das haben Umweltbundesamt und Bundesregierung nicht verstanden?
Wir führen die Debatte um die Flächenkonkurrenz vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine neu. Der hat zu einer fossilen Kosten- und Versorgungskrise geführt, denn wir mussten uns von der einseitigen Abhängigkeit von russischem Erdgas lösen. Auch dadurch gingen die Preise nach oben. Jetzt wird diversifiziert und teilweise Frackinggas aus den USA importiert. Biogas hätte einen stärkeren Resilienz- und Umweltfaktor, weil es aus Deutschland kommt. Es ist auch umweltfreundlicher, denn es stammt nicht von Übersee, sondern unseren Landwirten. Denen wurde bisher versprochen, sie könnten in Zukunft Geld mit Strom, Wärme und Treibstoffen verdienen. "Der Landwirt als Energie- und Rohstoffwirt" war mal ein geflügeltes Wort …
Steht denn ausreichend Biogas zur Verfügung, dass es mehr wäre als ein Tropfen auf den heißen Stein?
Ja, in Deutschland stehen gut verteilt etwa 10.000 Biogasanlagen auf den Höfen, die dringend benötigte Flexibilität schaffen können, indem das Gas gespeichert und im Bedarfsfall genutzt wird. Wir nutzen immer mehr Sonnen- und Windenergie, die sind mal da und mal nicht. Wenn ich keine Quelle habe, die das ausgleicht, bekomme ich ein Problem. Gleichzeitig ergänzen sich Wind und Sonne wunderbar: Scheint die Sonne, weht wenig Wind und umgekehrt. Je mehr wir nutzen, desto kleiner werden die Ausgleichsfenster. Deswegen brauchen wir keinen großen Kraftwerkspark. Das hat auch die Bundesregierung eingesehen. Die Zahl der neuen Gaskraftwerke, die später mit Wasserstoff geführt werden sollen, fällt in der Kraftwerksstrategie deutlich kleiner aus als ursprünglich geplant.
Bioenergie wäre anstelle der neuen Gaskraftwerke unsere Reserve?
Bioenergie aus Anbaubiomasse, Rest- und Abfallstoffen ist eine echte Alternative. Und wenn sie im Strombereich nicht benötigt wird, kann in sogenannten Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen stattdessen Wärme erzeugt werden und umgekehrt. Letztes Jahr gab es große Diskussionen über das Heizungsgesetz: Viele Kommunen planen jetzt klimafreundliche Wärmenetze, damit die Bürgerinnen und Bürger ihre Heizungen nicht selbst austauschen müssen. Gerade im ländlichen Raum spielt Bioenergie neben Solarthermie und Großwärmepumpen daher eine große Rolle. Die Verfügbarkeit kann man mit Speichern steuern.
Das klingt so, als gäbe es gar kein Problem.

Die vorhandenen Biogasanlagen können rein rechnerisch 11 Prozent des deutschen Erdgasverbrauchs ersetzen.
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Bei der Frage, ob wir genug Bioenergie haben, ja. Politisch sieht es anders aus. Gut zwei Jahre nach der Ankündigung wird die Biomassestrategie zwar endlich diskutiert, es geht aber nur bruchstückhaft voran. In dieser Frage gibt es tatsächlich einen Dissens mit der Regierung: Die Bioenergie bietet nachhaltige und heimische Potenziale für die Versorgungssicherheit. Anders als bei Gaskraftwerken, bei denen niemand weiß, wann die genehmigt werden, wer die baut und inwieweit die subventioniert werden müssen. Das ist unser Angebot: Stellt uns auf Augenhöhe mit den Gaskraftwerksbetreibern und wir zeigen im Wettbewerb, dass wir mit einem regionalen, erneuerbaren Back-up schneller, besser und ein zigfaches günstiger sind.
Augenhöhe bei der Förderung? Denn die Stadtwerke Trier stehen bei der Stromversorgung schon in zwei Jahren bei 100 Prozent Erneuerbaren, bauen anschließend ihre Reserven und Flexibilitäten auf und setzen dafür unter anderem auf Bioenergie. Wenn das bereits geplant wird, warum muss das dann noch gefördert werden?
Stimmt, Erneuerbare Energien werden immer günstiger. Trier sagt aber auch, dass Fördermittel notwendig sind, um das Wärmenetz auszubauen und Menschen bei der Heizungsumstellung zu unterstützen. Das sind riesige Summen und die Kommunen tragen bereits große Kosten für Sozialleistungen, Infrastruktur, Straßenbau und Digitalisierung. Es braucht Anreize, wenn noch gebuddelt werden soll und man die Kommunen nicht im Regen stehen lassen will. Aber diese sind rentierlich. Die Stadtwerke Trier bauen auch eine Biomethanisierungsanlage. Dafür benötigen sie Biogas. Das produzieren Bauern günstiger als konventionelle Energien, aber wenn sie das in den nächsten Jahren weiterhin machen sollen, brauchen sie auch dafür Anreize.
Sie haben gesagt, man könne Bioenergie auch als grünen Treibstoff einsetzen.
Das stimmt. In diesem Bereich haben Biokraftstoffe den größten Dekarbonisierungseffekt. Das Umweltbundesamt hat gerade neue Zahlen vorgelegt: Vergangenes Jahr wurden im Verkehrssektor 10,5 Millionen Tonnen CO2 durch Biokraftstoffe eingespart. Durch Elektromobilität waren es 5 Millionen Tonnen, weil viele Ladesäulen über Ökostrom laufen oder sich Menschen, die ein E-Auto kaufen, auch eine Photovoltaikanlage auf dem Dach haben. Es ist klar, dass die Elektromobilität mit wachsendem Ökostrom im Netz der Kern der Verkehrswende sein wird. Aber wir haben einen großen Fahrzeugbestand und einen gewissen Fuhrpark, der schwer elektrifiziert werden kann: Land- und Forstmaschinen, diverse Baugeräte. Dafür kann man Biotreibstoff einsetzen.
Früher war Erdgas die Brückentechnologie, um von Kohle und Erdöl wegzukommen. Im Verkehrsbereich ist es jetzt Bioenergie?
Biokraftstoffe sind eine Möglichkeit, um die Antriebswende zu organisieren und die Elektromobilität hochzuziehen. Und das Beste ist: Sie stammen vom heimischen Markt. Wir können die Nachhaltigkeit kontrollieren und Wertschöpfung generieren, bis die Lücke zur Elektrifizierung geschlossen ist.
Mit Simone Peter sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.
Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.
Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?
Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.
Quelle: ntv.de