Effekt von Smog und Vulkanen Geo-Engineering kühlt mit starken Nebenwirkungen
15.06.2022, 09:38 Uhr (aktualisiert)
Die Sonne abdunkeln, daran denken die meisten Menschen bei solarem Geo-Engineering. Tatsächlich betreffen die meisten Ideen Veränderungen der Erdoberfläche oder unserer Atmosphäre.
(Foto: imago images/Future Image)
"Die Simpsons" haben sich an Geo-Engineering versucht, Microsoft-Gründer Bill Gates ist auch dafür, aber viele Wissenschaftler sind strikt dagegen. Auch Mark Lawrence hofft, dass wir in der Klimakrise nicht darauf angewiesen sind. Dennoch will der Atmosphärenwissenschaftler die Techniken erforschen.
In einer berühmten Folge von "Die Simpsons" versucht Montgomery Burs mit einem riesigen Schirm die Sonne zu blockieren. Das Wohl der Erde liegt dem gierigen Greis nicht am Herzen. Der Kernkraftwerksbetreiber will mit der ewigen Dunkelheit den Stromverbrauch von Springfield und damit seine Einnahmen maximieren. Ideen dieser Art werden allerdings nicht nur in der US-amerikanischen Zeichentrickserie, sondern auch in der Klimawissenschaft diskutiert. Solares Geo-Engineering lautet der Fachbegriff, den Mark Lawrence allerdings nicht mag, weil niemand ernsthaft überlegt, die Sonne zu verändern, wie der wissenschaftliche Direktor am Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) in Potsdam im "Klima-Labor" von ntv.de erzählt. Das sei Science Fiction, sagt der Atmosphärenwissenschaftler. Stattdessen gehe es bei Geo-Engineering vor allem um zwei Möglichkeiten: Kann man die Erdoberfläche oder die Atmosphäre so beeinflussen, dass sie mehr Sonnenlicht reflektieren und die Erde dadurch abkühlen? Ja, man kann - mit Schwefeldioxid, weißer Farbe oder gigantischen Mengen an Alufolie. Aber nicht alle Ideen sind sinnvoll, manche sehr gefährlich.
ntv.de: Sind Sie für oder gegen Geo-Engineering?
Mark Lawrence: Ich bin für eine Welt, in dem das nicht mal eine Frage sein wird.
Weil wir es nicht brauchen?
Ja. Ich bin für eine Welt, in der wir alles daransetzen, CO2-Emissionen und Emissionen von anderen Klimatreibern so zu reduzieren, dass wir keinen Bedarf oder den Wunsch haben werden, das Klima zu steuern. Denn ich bin stark gegen einen Einsatz von Technologien, die wir nicht wirklich verstehen. Das ist der Punkt, an dem wir uns befinden.

Mark Lawrence promovierte 1996 am Georgia Institute for Technology in den USA. Von 2000 bis 2011 leitete er verschiedene Forschungsgruppen am Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz. Seitdem ist er Direktor des IASS in Potsdam.
(Foto: picture alliance / dpa)
Aber derzeit leben wir nicht in einer Welt, in der wir davon ausgehen können, dass wir solche Maßnahmen nicht brauchen. Eigentlich müssen wir doch alle Möglichkeiten ausloten, um unsere Erde abzukühlen und damit auch solares Geo-Engineering, oder? Die Sonne wird ja auch bei Vulkanausbrüchen verdunkelt.
Ich mag diesen Begriff nicht, weil wir nicht an der Sonne herumbasteln. Wenn wir davon reden, die Erdoberfläche absichtlich abzukühlen, ist die Idee häufig, dass wir etwas mit dem Sonnenlicht oder mit der Infrarotstrahlung der Erde anstellen, damit sie leichter oder stärker durch die Atmosphäre gehen. Deshalb spreche ich lieber vom sogenannten Strahlungsantrieb-Geo-Engineering. Ein furchtbarer Name, aber Sie reden mit einem Wissenschaftler (lacht). Aber anstelle des Namens können wir vielleicht auch einfach die spezifischen Ideen besprechen, die darunter verstanden werden.
Gerne. Welche gibt es denn?
Es sind drei große Bereiche: Man kann versuchen, irgendwie die Erdoberfläche aufzuhellen, damit mehr Sonnenlicht reflektiert wird. Der zweite Bereich ist, irgendwie die Atmosphäre zu modifizieren, damit ebenfalls mehr Sonnenstrahlen reflektiert oder die terrestrische Strahlung der Erde besser durch die Atmosphäre ins All durchgewinkt werden kann. Beim dritten Bereich handelt es sich um Science-Fiction: Spiegel im All, die das Sonnenlicht gesteuert reflektieren. Aber das ist mit einem so enormen Bedarf an Logistik und Ressourcen verbunden, dass es noch lange, lange, lange hin ist, bevor das überhaupt möglich wäre. Daher würde ich nur über die atmosphärischen und Erdoberflächen-Techniken sprechen.
Wozu gehören denn Vulkanausbrüche, zur ersten oder zur zweiten Möglichkeit?
Zur zweiten, der Atmosphäre: Die Beobachtung, dass Vulkanausbrüche die Erdoberfläche abkühlen, besteht schon lange. Sie kennen vermutlich das Gemälde "Der Schrei". Das entstand nach dem Ausbruch des Krakatau. Dadurch war der Himmel anders gefärbt, die Erdoberfläche abgekühlt. Diese Furcht vor der Natur wollte Edvard Munch in dieser Reaktion des Menschen darstellen.
Weil die Aschewolke den Himmel verdeckt hat?
Es passieren eigentlich zwei Dinge: erstens die Aschewolke, aber die sedimentiert sehr schnell, weil Aschepartikel relativ groß sind. Es steigen aber auch Gase auf. Unter diesen Gasen befindet sich Schwefeldioxid. Das kennen Sie von Kohlekraftwerken, Autos und anderen menschlichen Aktivitäten, die Smog in die Welt setzen.
Schwefeldioxid wird durch chemische Reaktionen mit der Zeit in Schwefelsäure umgewandelt. Das ist eine sehr klebrige Substanz. Wenn ein Schwefelsäure-Molekül in der Atmosphäre auf ein anderes prallt, kleben sie zusammen. Dann prallt das nächste darauf und klebt ebenfalls fest und immer so weiter. Und wenn man Abermilliarden von diesen Partikeln in der Atmosphäre hat, können sie Sonnenlicht reflektieren. Als 1991 der Pinatubo auf den Philippinen ausgebrochen ist, wurden 20 Millionen Tonnen Schwefeldioxid in die Stratosphäre gepustet, also in 20 Kilometer Höhe. Die Partikel sind etwa ein Jahr in der Atmosphäre geblieben und haben die Erdoberfläche um etwa 0,3 bis 0,5 Grad abgekühlt.
Das klingt nach einem extrem kühlenden Effekt. Warum sind Sie dagegen? Was sind - abgesehen von Vulkanausbrüchen - die negativen Auswirkungen?
Ja, ich bin kein Fan von Vulkanausbrüchen. Das wäre eine ganz andere Art von Geo-Engineering (lacht). Klima-Geo-Engineering ist ja diese Idee, das Klima in irgendeiner Art und Weise absichtlich zu steuern. Aber unser Verständnis davon basiert nur auf Modellen. Die sind relativ weit gediehen, wir verstehen, dass große Mengen Schwefeldioxid in der Atmosphäre eine Abkühlung verursachen, aber nicht gleichmäßig, das wissen wir auch. Die Tropen würden stärker abgekühlt als die Polargebiete. Das ist auch nicht überraschend, weil das Sonnenlicht über den Tropen stärker ist als über den Polargebieten und mehr davon reflektiert würde. Aber das hieße, wenn wir in den mittleren Breiten entscheiden, dass wir irgendwie Abermillionen Tonnen Schwefeldioxid durch Raketen, Ballons oder Flugzeuge in die höhere Atmosphäre pusten, um Europa auf seine vorindustrielle Temperatur abzukühlen, dann wäre es in den Polgebieten immer noch deutlich wärmer als im gleichen Referenzzeitraum und in den Tropen wäre es kühler. Das kann für den tropischen Regenwald genauso verheerend sein wie eine Erwärmung.
Das heißt, bevor wir darüber reden, welche Technik wir am besten einsetzen, müssten wir erst klären, wie wir international überhaupt zu einer Einigung kommen würden. In anderen Bereichen sehen wir, wie schwierig das ist.

Auch der Smog in Peking und andere Formen von Luftverschmutzung sind eine Form von Geo-Engineering und kühlen die Erde ab.
(Foto: picture alliance/dpa/HPIC)
Gibt es denn schon konkrete Pläne in diese Richtung? Mehr als 60 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben ja im Januar in einem offenen Brief davor gewarnt, solche Experimente durchzuführen.
Das ist das zweite Problem: Nein, wir sind noch nicht einmal in der Nähe dieser Techniken. Bisher wird nur in Modellen und im Labor erforscht, wie Partikelformationen in der Stratosphäre funktionieren. Eben, weil es einen starken gesellschaftlichen Widerstand gegen solche Experimente gibt. Eine andere Sorge, die geäußert wurde, ist, dass Geo-Engineering eine schnelle technische Lösung für die Klimakrise liefert und alle denken, man bräuchte seine CO2-Emissionen dann nicht mehr zu reduzieren.

Nach dem Vulkanausbruch auf Tonga breitete sich im Januar eine riesige Aschewolke über der Erde aus.
(Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com)
Sind Sie denn dagegen, dass überhaupt daran geforscht wird? Es gibt ja prominente Unterstützer wie Microsoft-Gründer Bill Gates.
Es wird sich komisch anhören, aber nein, ich bin nicht dagegen. Auch wenn die USA, Europa und ein paar andere Länder beschließen, dass sie Geo-Engineering nicht mehr erforschen wollen, heißt das nicht, dass es nirgendwo erforscht wird. Und ich denke, wir sollten verstehen, was Wirkung und Nebenwirkung von solchen Techniken sein könnten, beispielsweise der Verlust von Ozon. Wir können nicht warten, bis es existiert und dann sagen: Okay, jetzt sollten wir es untersuchen.
Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Sie gehen also schon davon aus, dass Geo-Engineering irgendwann existieren wird?
Ich gehe mit einer hohen Wahrscheinlichkeit davon aus, dass wir tatsächlich an den Punkt kommen, wo Versuche solcher Techniken durchgeführt werden. Und wir sollten uns damit beschäftigten, um die Folgen zu verstehen. Nehmen Sie die Gentechnik, Veränderungen der menschlichen DNA: Wir wissen seit dem Vorfall in China, dass es tatsächlich angegangen wird. Deswegen müssen wir schon jetzt über gesellschaftliche Aspekte wie Ethik und Governance nachdenken.
Und wie wollen Sie sicherstellen, dass niemand vorprescht? China betreibt ja auch schon Wettermanipulation, das geht in die gleiche Richtung wie Geo-Engineering.
Klima-Geo-Engineering und Wettermanipulationen unterscheiden sich in dem Aspekt, dass man bei der Wettermanipulation eine kurzzeitige Wirkung an einem Ort erzielen möchte. Klima wird definiert als das mittlere Wetter in einer Region über eine Periode von 30 Jahren oder mehr. Das heißt, wenn Sie das Wetter jedes Jahr am gleichen Ort auf die gleiche Weise manipulieren, haben Sie tatsächlich örtliches Klima-Geo-Engineering. China macht das aber nur für die Olympischen Spiele und andere Großereignisse. Andere Länder übrigens auch. Sogar in Deutschland wird versucht, mit Wettermanipulation Hagelstürme abzuwenden. Die Beweislage, ob es funktioniert oder nicht, ist allerdings sehr klein. Aber das ist ein anderes Thema als Geo-Engineering, das wird nirgendwo eingesetzt, es sei denn, Sie betrachten Aufforstung als Geo-Engineering.
Aber wie wollen Sie als Wissenschaftler oder auch als Wissenschaft gemeinsam mit Staaten und Regierungen sicherstellen, dass es dabei bleibt? Dass es niemanden gibt, der es einfach probiert?
Das ist wirklich die große Herausforderung, wir können es nicht sicherstellen. Es ist wie bei unserem letzten Gespräch: Wir können vieles nicht sicherstellen, nicht einmal Frieden in Europa. Wir müssen aber zumindest die Wahrscheinlichkeit reduzieren, dass solche Techniken ohne ein tiefes Verständnis dafür und ohne ein internationales Abkommen darüber eingesetzt werden.
Sie haben gerade schon die Brücke zu anderen Säulen des Geo-Engineering geschlagen, zur Option, CO2 mit Baumpflanzprojekten aus der Atmosphäre herauszuziehen. Welche Möglichkeiten gibt es noch?
Bisher haben wir nur darüber gesprochen, Partikel oder Partikelvorläufer wie Schwefeldioxid in die Stratosphäre einzubringen, um das Sonnenlicht zu reflektieren. Zweitens könnte man Partikel in Wolken einbringen - hauptsächlich über den Meeren in niedrigen Schichten. Das ist komplizierte Mikrophysik, aber das macht die Wolke heller, dann würde sie mehr Sonnenlicht reflektieren und die Erdoberfläche abkühlen. Die dritte Idee ist, Partikel in Cirruswolken einzutragen, also in etwa 8 bis 10 Kilometern Höhe. Das macht die Cirren nicht heller, aber dünner. Dadurch fällt der Niederschlag aus den Wolken heraus und es sind weniger von ihnen vorhanden. Cirren absorbieren aber bevorzugt die Infrarotstrahlung der Erde und schicken einen Teil davon wieder auf die Erde zurück, sie funktionieren also sehr ähnlich wie Treibhausgase. Wenn die Zirruswolken dünner werden oder verschwinden, kann diese Infrarotstrahlung effektiver durch die Atmosphäre durch. Diese drei Ideen könnten laut Modellstudien eine wirksame Reduzierung der mittleren Erdoberflächentemperatur von einem oder mehr Grad erzwingen, aber mit allen Problemen, die wir besprochen haben.
Daneben gibt es noch Ideen wie, die Erdoberfläche aufzuhellen. Diese schließe ich aber aus, weil die Nebenwirkungen in der Dimension, in der man das einsetzen müsste, so groß sind, dass man nicht vernünftig darüber nachdenken kann.
Wie würde das denn aussehen? Nur, dass wir eine Vorstellung davon bekommen.
Die häufigste Theorie ist, alle Dächer, Straßen und andere Flächen weiß zu streichen. Das bringt uns aber viel weniger als ein Zehntel Grad Celsius. Das können wir vergessen. Eine andere Idee ist, große Folien, die heller sind als Wüstenstaub, über die Wüste zu spannen.
Dafür bräuchte man sehr viel Alufolie ...
Es gibt tatsächlich wissenschaftliche Studien dazu, aber in der Tat: Die Kosten wären riesig und man würde auch das komplette Ökosystem der Wüste abtöten. Eine andere Möglichkeit wäre, dass wir Getreide und andere großflächig ausgesäten Agrarprodukte durch Genmanipulation aufhellen und dadurch mehr Sonnenlicht reflektieren. Aber dann wäre die Frage, welche Auswirkungen das auf die Getreidequalität und die Umwelt hat. Daher schließe ich diese Erdoberflächen-Techniken aus, im Gespräch sind die drei atmosphärischen Techniken. Und da sie im Gespräch sind und ihre Umsetzung in manchen Ländern erforscht wird, ist es wichtig, dass wir die ethischen, politischen und weiteren Aspekte berücksichtigen.
Mit Mark Lawrence sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
(Dieser Artikel wurde am Donnerstag, 07. April 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de