Gefährliche gute CO2-Staubsauger "Dürfen uns nicht zu früh einreden, dass es funktioniert"
27.05.2022, 16:14 Uhr
Die weltgrößte Maschine, mit der CO2 direkt aus der Luft gesaugt wird (Direct Air Capture), hat im September in Island ihre Arbeit aufgenommen.
(Foto: imago images/Cover-Images)
In etwas mehr als 20 Jahren will die EU klimaneutral sein. Das aber klappt nur, wenn wir CO2 großflächig aus der Atmosphäre herausziehen, sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Denn egal, wie wenig Treibhausgase wir ausstoßen, Landwirtschaft, Luftverkehr oder Industrie werden nie neutral sein. Im "Klima-Labor" von ntv berichtet der Leitautor des sechsten Sachstandsberichts des Weltklimarates von mehreren Methoden, mit denen das möglich ist: ökosystembasierte wie Aufforstung mit begrenztem Potenzial; ozeanbasierte mit noch unklaren Nebenwirkungen; technologische, die noch sehr teuer sind. Schöpfen wir alle Möglichkeiten vollständig aus, erleichtern wir uns den Kampf gegen Klimawandel erheblich, sagt Oliver Geden. Dennoch empfiehlt er, den Einsatz politisch zu begrenzen.
ntv: Deutschland will bis 2045 klimaneutral werden. Sie sagen, ohne negative Emissionen geht das nicht, wir müssen der Atmosphäre CO2 entziehen. Warum?
Oliver Geden: Weil zum Zeitpunkt der Klimaneutralität oder Treibhausgas-Neutralität immer noch Emissionen übrig bleiben. Es ist nur ein Netto-Null-Ziel. Wir werden immer noch Emissionen in der Landwirtschaft, im Luftverkehr oder der Industrie haben. Die müssen wir ausgleichen. Dafür brauchen wir die CO2-Entnahme. Das ist das Ziel der Netto-Nullemissionen.
Es ist also ausgeschlossen, dass Menschen auf der Erde leben, ohne sie überzustrapazieren?

"Es gibt politische und wirtschaftliche Erwägungen, warum wir nicht in erster Linie auf diese Maßnahmen setzen sollten", sagt Oliver Geden.
(Foto: Stiftung Wissenschaft und Politik)
Es gibt keine vorstellbare Welt ohne Emissionen. Ich habe welche, wenn ich Tiere halte, ein Haus, eine Straße oder eine neue Bahnlinie baue. Das ist aber nicht problematisch, man kann das ausgleichen. Aber um den weiteren Temperaturanstieg zu begrenzen, muss man auf Netto-Null. Sollte die Temperatur um mehr als 1,5 Grad steigen und wir uns vornehmen, dorthin zurück zu wollen, müssen wir global mehr CO2 aus der Atmosphäre entnehmen als wir ausstoßen, also Netto-Negative-Emissionen erreichen.
Das heißt, Klimaneutralität und negative Emissionen sind zwei unterschiedliche Dinge?
Das ist sprachlich im Deutschen tatsächlich nicht leicht. Der letzte IPCC-Bericht, in dem ich dieses Thema betreut habe, macht deshalb diese Unterscheidung zwischen CO2-Entnahme und netto negativen Emissionen. CO2-Entnahme, im Englischen Carbon Dioxide Removal, beschreibt Methoden wie Aufforsten, um CO2 wieder aus der Atmosphäre zu bekommen. Der Begriff Netto-Negativ-Emissionen wird verwendet, wenn die CO2-Entnahme größer ist als die CO2-Emissionen oder die Emission von anderen Treibhausgasen, die wir noch haben.
Welche Möglichkeiten gibt es denn, CO2 wieder aus der Atmosphäre herauszuholen?
Ein breites Spektrum. Üblicherweise klassifiziert man die in ökosystembasierte Methoden wie Aufforstung und andere Dinge, die wir heute schon machen. Es gibt auch Methoden, die wir noch nicht machen, aber gewissermaßen schon verstanden haben. Zum Beispiel können wir Bioenergie, das können Bäume sein, aber auch eigens angebaute Biomasse, zur Stromnutzung verbrennen und das CO2 abscheiden und unterirdisch speichern. Auch das wäre für sich genommen eine CO2-Entnahme. Wir können auch mit Filteranlagen CO2 direkt aus der Umgebungsluft abschneiden und unterirdisch speichern. Das ist das sogenannte Direct Air Capture. Noch sehr wenig verstehen wir Methoden, bei denen man bestimmte Substanzen in den Ozean geben könnte, um dort mehr CO2 zu binden. Das ist insofern relevant, als dass 70 Prozent der Erdoberfläche mit Wasser bedeckt sind.
Das Spektrum reicht also von Methoden, die wir kennen, nutzen und die auch relativ günstig sind, in ihrem Potenzial aber möglicherweise beschränkt, hin zu technologischen Möglichkeiten, die noch sehr teuer sind, wo es sehr viel Forschungsbedarf gibt und wo es auch sein kann, dass es unerwünschte Nebenwirkungen gibt, die einen Einsatz unmöglich machen.
Aber wenn wir all diese Möglichkeiten ausschöpfen, würden wir uns den Kampf gegen den Klimawandel erheblich erleichtern, oder?
Ja, aber es gibt politische und wirtschaftliche Erwägungen, warum wir nicht in erster Linie auf diese Maßnahmen setzen sollten.
Die wären?
Das Klima-Labor finden Sie bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Angenommen, wir realisieren die CO2-Entnahme und Speicherung mit Direct Air Capture zu einem recht günstigen Preis. Dann könnte man auf die irregeleitete Idee kommen, dass wir einfach eine zweite Infrastruktur aufbauen, mit der wir quasi alles, was wir emittieren, wieder herausziehen und ansonsten keine Klimapolitik machen. Das wäre nicht nur irrsinnig teuer, wir haben auch nicht die CO2-Speicherkapazitäten dafür. Und wir würden ignorieren, dass es andere gute Gründe gibt, Klimaschutz zu betreiben, unter anderem Energieunabhängigkeit oder Luftverschmutzung. Das heißt, man muss politisch definieren, welchen Prozentsatz unserer Emissionen wir mit solchen Methoden wieder aus der Atmosphäre ziehen wollen.
Es klingt so, als sei die größte Befürchtung, diese Methoden könnten zu gut funktionieren?
Die größere Gefahr ist wahrscheinlich, dass man sich in manchen Ländern einredet, dass alles ganz toll funktioniert, bevor man es tatsächlich weiß, und deshalb kein Öl, Gas und keine Kohle mehr einspart. Das erwarte ich nicht unbedingt in Deutschland oder der EU, aber wenn man sich die Debatten in den USA und anderen Ländern ansieht, bekommt man den Eindruck: Ja, das ist die große technologische Lösung!

Auch der CO2-Sauger auf Island namens Orca muss gewartet werden.
(Foto: picture alliance/dpa/MAXPPP)
Ich würde sagen, dass wir die Treibhausgas- Neutralität mit mindestens 90 Prozent klassischer Reduktion erreichen und den Rest mit diesen Methoden der CO2-Entnahme. In Deutschland und in der EU erreichen wir mit Aufforstung und Wiederaufforstung übrigens schon jetzt eine Entnahme in relevantem Umfang, die man bislang nicht auf die Klimaziele anrechnet, weil man das dubios fand.
Reden wir von Aufforstung in Europa oder im globalen Süden?
In Europa. Bis zum Jahr 2020 durften auch Offsets oder Gutschriften aus Klimaprojekten in anderen Ländern angerechnet werden. Aber weil es wie gesagt viele dubiose Projekte gab, wurden die europäischen und damit auch deutschen Regeln so geändert, dass nur noch zählt, was wir "zu Hause" erreichen.
Wer soll denn die Verantwortung dafür übernehmen, diese CO2-Emissionen wieder zu entfernen? Wie will man das regeln?
Das weiß noch keiner, aber die Debatten beginnen tatsächlich. Es ist so: Wenn wir eine Erwärmung von 1,5 Grad als Ziel festlegen, kann man das umrechnen in ein CO2-Budget, das der Welt noch für den CO2-Ausstoß verbleibt. Dieses sogenannte CO2-Restbudget ist fast aufgebraucht. Auch Länder wie Indien formulieren jetzt Netto-Null-Ziele, aber natürlich viel später als Industrieländer. Das ist eine Rechnung, die insgesamt nicht aufgeht, deshalb müssen einige Länder früher netto negative Emissionen aufweisen als andere, nämlich die historischen Verschmutzer wie die USA und Europa, um Ländern wie Indien eine längere Phase des Übergangs zu erlauben. Zu meiner Überraschung hat der Sonderbeauftragte der US-Regierung für Klimaschutz, John Kerry, dazu im Grunde sofort Ja gesagt. Jetzt steht als Versprechen im Raum, dass die USA und Europa den "Emissions-Müll" irgendwann wieder aufräumen, vorläufig aber weiter auf Kohle, Gas und Öl setzen. Das ist eine Wette auf die Zukunft, von der ich bezweifle, dass sie aufgeht.
Hängt die Zusage vielleicht damit zusammen, dass die USA die entsprechenden Maschinen entwickeln und sich erhoffen, den Markt dafür langfristig kontrollieren zu können?
Das wäre eine Möglichkeit, dass sich nordamerikanische Unternehmen als Weltmarktführer für solche Technologien etablieren. Womöglich ist es eine ähnliche Story wie bei Wind- und Solarkraft: Die Produktionskosten gehen schnell runter, man kann es in alle Welt verkaufen und muss die heimische Wirtschaft nicht so schnell umstellen. Dieser Gedanke ist in den USA tatsächlich weit verbreitet, genauso wie ozeanbasierte Lösungen, bei denen man bestimmte Substanzen ins Wasser gibt, um mehr CO2 zu speichern. Solche Debatten erleben in den USA einen Boom.
Von welchen für Substanzen reden wir da?
Es gibt zwei Möglichkeiten, die diskutiert werden: Ich bringe bestimmte Nährstoffe wie zum Beispiel Eisen in nährstoffarme Ozeangebiete ein, zum Beispiel im Südpazifik, und trage damit im Grunde zur Planktonblüte bei. Dadurch entsteht mehr Biomasse, die absinkt. Das wurde 2009 kurz vor der Klimakonferenz in Kopenhagen auch in Deutschland versucht, hat aber für große Unruhe gesorgt.
Warum?
Das sah einfach nicht besonders gut aus, dass kurz vor einer wichtigen Klimakonferenz Experimente durchgeführt werden, die unter dem Label Geo-Engineering diskutiert werden. So, als arbeite man schon an Plan B oder C. Darüber diskutiert man heute aber nicht mehr so viel, obwohl britische Forscher kürzlich für den Indischen Ozean entsprechende Experimente angekündigt haben. Das nennt man oftmals Ozean-Düngung für die Plaktonblüte. Der zweite Strang ist die Ozean-Alkalinisierung: Man bringt Substanzen wie gemahlenes, mineralisches Gestein ein, die CO2 binden.
Eine Art Wundergestein?
Nein. Das gibt es auch als natürlichen Prozess. Wenn Sie große, leicht grün gefärbte Felsblöcke sehen, ist das auch ein Mechanismus der CO2-Bindung. Ein Nebeneffekt davon könnte im Ozean sein, dass die Versauerung gleich mit bekämpft wird. Also, der pH-Wert würde sich durch dieses Gestein ändern, aber die Frage ist, in welchem Stil man das durchführt. Das ist aber Zukunftsmusik und durch internationales Recht sehr stark eingeschränkt.
Und deswegen CO2-Entnahme mit diesen Maschinen?
Auch. Der Vorteil dieser Methode ist, dass man den Effekt leicht messen und feststellen kann, ob das CO2 wirklich unter der Erde bleibt. Und geologische Speicher in tiefen Gesteinsschichten haben den Vorteil, dass sie als sehr sicher und sehr langlebig gelten. Das ist der Vorteil gegenüber ökosystembasierten Lösungen: Ich weiß, was ich erreicht habe.
Und wie muss man sich diese Maschinen vorstellen? Es heißt ja immer, es würde CO2 aus der Luft gesaugt. Stimmt das?
Es gibt noch nicht sehr viele Anlagen, und die sind sehr unterschiedlich gebaut. Aber die größte steht im Moment auf Island und ist in der Tat eine Mischung aus Container mit Staubsauger. Im Grunde ist es eine Vorrichtung, die die Umgebungsluft ansaugt, weil der CO2-Gehalt darin wirklich nicht hoch ist. Dann wird es chemisch gebunden. Wenn man diesen Filter erwärmt, kann man das CO2 unter der Erde speichern.
Wenn Sie sagen, das kann man gut und lange unterirdisch speichern: Ist das wirklich eine Dauerlösung? Es klingt irgendwie gefährlich, wenn tonnenweise CO2 irgendwo unter der Erde lagert.
Aber das lagert ja jetzt auch schon da, zum Beispiel in Form von Gas. Im Prinzip kann ich überall dort, wo Gasfelder oder Gasspeicher sind, auch CO2 speichern. Nichtsdestotrotz gibt es in Deutschland große Vorbehalte. Das wird gerne mit atomaren Endlagern verglichen, was wirklich ein schiefer Vergleich ist. Momentan sieht es eher so aus, als würden wir unser CO2 lieber ins Ausland transportieren, denn es gibt Länder, die sagen: Wir haben ausgebeutete Gasfelder, wir nehmen euch das CO2 gerne ab. Aber dafür bräuchten wir dann wieder eine Infrastruktur und müssten berechnen: Lohnt sich diese Transportkette ökonomisch überhaupt? Entstehen vielleicht neue Emissionen?
Wie würde man das CO2 denn transportieren?
Ganz einfach in Pipelines.
Davon sind in Deutschland ja ein paar übrig, die wir nicht länger brauchen.
Wenn man die umwandelt, ginge das. Wir reden im Moment auch sehr viel über diese LNG-Terminals an der Nordseeküste. Bei dem Terminal in Wilhelmshaven ist in der Projektplanung bereits ein CO2-Export-Terminal mitgedacht.
Das heißt, man könnte diese Infrastruktur nach dem Ausstieg aus dem Gas wiederverwenden?
Manches. Aber auch bei einer Pipeline, die ungeeignet ist, hätte man zumindest schon die Route für eine neue, ohne die Strecke neu definieren zu müssen. Ich kann CO2 aber auch per Schiff oder LKW transportieren.
Funktioniert die CO2-Entnahme denn? Sie haben die Anlage auf Island angesprochen, die ist im vergangenen September in Betrieb gegangen.
Ja, das funktioniert. Das war auch nicht die erste Anlage, der Prozess ist schon länger bekannt. Auf Island geht es darum, den Prozess zu optimieren. Man muss sich das vorstellen wie bei frühen Solaranlagen: Der Mechanismus ist verstanden, aber noch zu teuer. Wo kann ich einsparen? Beim Material? Bei den Prozessen, wie man diese Anlagen baut?
Von welchen Preisen reden wir aktuell?
Die liegen im Bereich von 500 Euro pro Tonne CO2. Das ist sehr viel, wenn man sich anschaut, was Emissionszertifikate in Europa kosten. Aktuell stehen wir bei 80 Euro. Wenn man die hundertfache oder zehntausendfache Kapazität bei diesen Anlagen hat, kann niemand vorhersagen, bei welchem Preis man landet. Wir wissen aber von Solar und Wind, dass er deutlich sinken wird. Manche sind optimistisch und halten 100 Euro pro Tonne CO2 für realistisch. Dann sind wir nicht mehr weit vom Preis der Zertifikate entfernt und bei dem Problem angekommen, das Sie ansprachen: Wenn die CO2-Entnahme aus der Luft zum Preis wie der Emissionshandel funktioniert, könnte jemand vorschlagen: Jetzt können wir ohne Klimaschutz weitermachen.
Und wieder Benziner kaufen.
Genau. Deshalb muss man das politisch regulieren und auf ein bestimmtes Maß beschränken.
Mit Oliver Geden sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der ntv Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen und Behauptungen prüfen, die toll klingen, es aber selten sind. Klimaneutrale Unternehmen? Gelogen. Klimakiller Kuh? Irreführend. Kunstfleisch? Das Grauen 4.0. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. LNG? Teuer.
Das Klima-Labor - jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+ Musik, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts, Spotify, RSS-Feed
Quelle: ntv.de