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Speichert Kohlenstoff als Zucker Seegras schafft süße Stellen im salzigen Meer

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Untersuchungen an einer Seegraswiese.

Untersuchungen an einer Seegraswiese.

(Foto: HYDRA Marine Sciences GmbH/dpa)

Im Wasser in der Nähe von Seegraswiesen, etwa auch in der Ostsee und der Karibik, entdecken Bremer Forscher überraschend hohe Zuckerkonzentrationen. Sie finden heraus: Die Pflanzen speichern große Mengen Kohlenstoff als Zucker im Boden. Zu welchem Zweck?

Seegraswiesen sind wahre "sweet spots" inmitten der salzigen Küstengewässer. Sie speichern große Mengen Kohlenstoff in Form von Zucker in den Sedimenten um ihre Wurzeln herum. Das berichten Forscher unter Leitung des Max-Planck-Instituts (MPI) für Marine Mikrobiologie in Bremen im Fachmagazin "Nature Ecology & Evolution". Unter Neptungraswiesen, die im Mittelmeer zu finden sind, fanden sie eine 80 Mal höhere Zucker-Konzentration, als je zuvor im Meer gemessen wurde. In weiteren Studien müsse geklärt werden, wie die Seegraswiesen und andere marine Pflanzen in Modellen zum globalen Kohlenstoffkreislauf eingerechnet werden müssen.

Dass Seegräser Kohlenstoff der Atmosphäre sehr effizient in ihrem Gewebe einlagern und in Form von organischem Material in Sedimenten speichern, ist bekannt. Gerechnet auf eine gleich große Fläche versenken sie Kohlenstoff etwa 35 Mal so schnell wie Bäume im Regenwald, schreiben die Wissenschaftler um Manuel Liebeke in ihrem Fachartikel. Die Seegraswiesen seien darüber hinaus zentrale Bestandteile des marinen Ökosystems: Sie sind Heimat vieler Fischarten und anderer Tiere, stabilisieren den Meeresboden und entfernen Schadstoffe aus dem Wasser.

Überraschend hohe Zuckerkonzentrationen

Seegräser sind eine äußerst effiziente Kohlenstoff-Senke.

Seegräser sind eine äußerst effiziente Kohlenstoff-Senke.

(Foto: HYDRA Marine Sciences GmbH/dpa)

Das Team untersuchte nun die chemische Zusammensetzung des Wassers in und um Seegraswiesen der Art Posidonia oceanica, des Neptungrases. Unterhalb der Wiesen, in der sogenannten Rhizosphäre, fanden die Wissenschaftler überraschend hohe Zuckerkonzentrationen, vor allem des Zuckers Saccharose. In einiger Entfernung nahm die Konzentration deutlich ab.

Unter der Annahme, dass 300.000 bis 600.000 Quadratkilometer der Böden von Küstenmeeren von Seegras bedeckt sind, errechneten sie eine weltweite Menge von bis zu über einer Million Tonnen Saccharose in den oberen 30 Zentimetern des Sediments. Die unter dem Neptungras gemessene Saccharose-Konzentration sei 2000 Mal höher als die Konzentration im freien Ozean. Hohe Zuckerkonzentrationen fanden die Wissenschaftler auch unter Seegraswiesen in der Ostsee und in der Karibik.

Wie aber gelangt der Zucker in die Sedimente? Die Wissenschaftler ermittelten, dass der aus der Atmosphäre aufgenommene Kohlenstoff in Zucker umgewandelt und über die Wurzeln an die Umgebung abgegeben wird. Für die Pflanzen sei die Ausscheidung des Zuckers eine Möglichkeit, sich in Zeiten hoher Produktion oder geringen Wachstums übergroßer Zuckermengen zu entledigen.

"Quasi ein Überlaufventil"

"Das Seegras produziert den Zucker während der Photosynthese. Unter durchschnittlichen Lichtverhältnissen verwenden die Pflanzen den Großteil dieses Zuckers für ihren eigenen Stoffwechsel und ihr Wachstum", erläuterte Nicole Dubilier, Direktorin am MPI für Marine Mikrobiologie. "Aber bei sehr starkem Licht, zum Beispiel zur Mittagszeit oder im Sommer, produzieren sie mehr Zucker, als sie verbrauchen oder speichern können. Dann geben sie die überschüssige Saccharose in ihre Rhizosphäre ab. Es ist quasi ein Überlaufventil."

Was die Wissenschaftler besonders erstaunte, war, dass der Zucker nicht sofort wieder abgebaut wird, obwohl er ein beliebter Energielieferant unter anderem für Bakterien in den Sedimenten ist. Sie fanden heraus, dass die Sauerstoffkonzentration mit zunehmender Sedimenttiefe rasch abnimmt. Bakterien sind dann für den Abbau von Zucker auf Stoffwechselvorgänge angewiesen, die ohne Sauerstoff auskommen. Das ist prinzipiell möglich, allerdings nicht, wenn der bakterielle Abbau durch Substanzen aus der Gruppe der Phenole blockiert wird. Und genau solche Substanzen fanden die Forscher in großer Menge in den Sedimenten. Vermutlich werden sie bei der Zersetzung abgestorbenen Materials frei. Ohne die Phenole würde der Zucker in weniger als einem Tag komplett von den Bakterien zu Kohlendioxid umgesetzt, errechneten die Wissenschaftler.

Einige Bakterienarten sind in der Lage, trotz Sauerstoffmangels und trotz der Phenole den Zucker abzubauen. Diese Saccharose-Spezialisten seien den Pflanzen vermutlich nützlich, etwa weil sie lebensnotwendigen Stickstoff bereitstellten - eine vielerorts begrenzte Ressource. "Solche vorteilhaften Beziehungen zwischen Pflanzen und Mikroorganismen in der Rhizosphäre kennen wir gut von Landpflanzen", erläuterte Erstautorin Maggie Sogin. "Aber wir fangen gerade erst an, die innigen und komplizierten Wechselwirkungen von Seegräsern mit Mikroorganismen in der marinen Rhizosphäre zu verstehen."

Bedeutung für globalen Kohlenstoffhaushalt

Die Forscher verweisen auf die Bedeutung der Seegraswiesen für den globalen Kohlenstoffhaushalt. "Unsere Studie zeigt, dass große Mengen der von P. oceanica produzierten Saccharose nicht vollständig in den mikrobiellen Kreislauf gelangen, was wahrscheinlich erhebliche Auswirkungen auf die Bindung von Kohlenstoff in diesen Küstenökosystemen hat."

Seegraswiesen sind allerdings in vielen Meeren bedroht: "Große Mengen an gespeichertem Kohlenstoff würden freigesetzt, wenn die Seegraswiesen weiter abnehmen", sagte Liebeke. "Unsere Berechnungen zeigen, dass, wenn die Saccharose in der Seegras-Rhizosphäre durch Mikroben abgebaut würde, weltweit bis zu 1.540.000 Tonnen Kohlendioxid in die Atmosphäre gelangen würden. "Das entspricht etwa der Menge an Kohlendioxid, die 330.000 Autos in einem Jahr ausstoßen."

Quelle: ntv.de, Anja Garms, dpa

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