Auf dem Weg zum "Friesennerz" Als 1823 das Material für Regenmäntel erfunden wurde
17.06.2023, 15:37 Uhr Artikel anhören
Mit einer im Volksmund oft "Friesennerz" genannten Regenjacke lässt sich auch unfreundlichem Wetter trotzen. Die Grundlage für das wasserdichte Material wurde mit Charles Macintoshs Erfindung vor 200 Jahren gelegt.
(Foto: picture alliance / Westend61)
Patent zum Trockenbleiben: Im Jahr 1823 presste der Schotte Charles Macintosh Kautschuk zwischen zwei Lagen Stoff. Ergebnis war ein wasserdichtes Gewebe, aus dem auch Regenmäntel geschneidert wurden. Und werden: Die heutigen Funktionsjacken sind vom Aufbau her gar nicht so viel anders.
Es gibt kein schlechtes Wetter, sondern nur falsche Kleidung, heißt es im Volksmund. Doch in der längsten Zeit der Menschheitsgeschichte gab es im Grunde nur falsche Kleidung. Ob in der Steinzeit, bei den Römern oder im Mittelalter: Gegen Regen konnten sich Menschen allenfalls mit dem wappnen, was die Natur unmittelbar hergab. Mit einem Umhang aus geflochtenem Stroh vielleicht oder mit Tierhaut. Da blieben sicher Wünsche offen.

Polizeihund in Gent (Belgien): Bei Regen trug der Hund, ebenso wie sein Führer, eine gummierte Macintosh-Wasserjacke. Aus "Sunday", London, 1907.
(Foto: Ann Ronan Picture Library / Heritage Images/dpa)
Irgendwann bestrich man Leinen mit Teer und im 18. Jahrhundert kam das Imprägnieren mit Leinöl auf - und damit die Anfänge des sogenannten Ölzeugs. Aber dieser wasserabweisende Überzug bot keinen dauerhaften Regenschutz und musste regelmäßig erneuert werden.
Britisches Patent für wasserdichten Stoff
Vor diesem Hintergrund läutete der Schotte Charles Macintosh (1766-1843) eine neue Ära ein, als er in den 1820er-Jahren daran tüftelte, Stoffe mit Kautschuk zu beschichten. Am 17. Juni 1823 erhielt er für sein Verfahren, Stoffe wasserfest zu machen, das britische Patent, dem später die Nummer 4804 zugewiesen wurde.
Kautschuk ist die Masse, die übrig bleibt, wenn man den milchigen Saft von Kautschukbäumen trocknet. Weil Kautschuk klebrig und damit als äußere Schicht etwa von Kleidung eher ungeeignet ist, legte der Schotte zwei derart beschichtete Stofflagen so aufeinander, dass er eine Art Sandwich-Aufbau erhielt - mit der wasserdichten Kautschukschicht in der Mitte. Das Ganze schickte er dann über eine Walze, wie er in seinem Patent ausführte. Ebenso zählte er dort auf, dass das Verfahren unter anderem mit Wolle, Baumwolle, Leinen oder Seide als Stoffbasis funktioniere.
In dem Buch "Noble Obsession", das von den frühen Experimenten mit Naturkautschuk handelt, beschreibt der US-amerikanische Autor Charles Slack die Erfindung. Bis dahin war Macintosh ein Industrieller, der im Raum Glasgow Chemikalien produzierte. Dabei verarbeitete er auch Steinkohlenteer, der bei der Produktion von Leuchtgas aus Kohle zurückblieb. Bei dessen Verarbeitung wiederum blieb der Unternehmer laut Slack auf einem Abfallprodukt sitzen: dem Lösungsmittelgemisch Naphtha. In dieser Flüssigkeit, so fand er heraus, verteilt sich fester Kautschuk fein und lässt sich dann gut auf Stoffe auftragen.
Um das patentierte Verfahren kommerziell zu nutzen, startete er mit Partnern aus der Baumwollverarbeitung ein neues Unternehmen in Manchester: Charles Macintosh & Co. Aus dem wasserdichten Stoff wurden dort Segeltuch, Seemannskleidung und im Laufe der Zeit unter anderem auch Luftmatratzen, Rettungsreifen, Kissen, Blasebälge sowie Taucheranzüge gefertigt. Und Regenmäntel.
Schwieriger Anfang, Durchbruch 1843
Doch ganz so einfach waren die Anfänge nicht. Wie Slack in seinem Buch ausführt, roch die Kautschuklage zwischen den Stoffbahnen unangenehm und war temperaturempfindlich. So wurde der Mantelstoff bei Kälte steif, bei zu viel Hitze verlor er die Form. Slack weist darauf hin, dass erste Mäntel mit dem Warnhinweis versehen waren, die Nähe zu offenem Feuer zu meiden.
Es war vor allem Thomas Hancock, zunächst Lizenznehmer für das Verfahren und später Partner von Macintosh, der diese Probleme mit einer Reihe von Prozessverbesserungen löste, was er ausführlich in seinem 1857 veröffentlichten Buch über die frühe englische Kautschuk-Industrie beschreibt.
Einen besonderen Durchbruch gab es 1843. Da entwickelte Hancock, fast zeitgleich mit dem US-Amerikaner Charles Goodyear, einen Weg, die Molekülketten im Kautschuk durch Schwefeleinheiten miteinander zu vernetzen. Dieses Vulkanisieren überführte den klebrigen und bei Hitze labberigen Kautschuk in festes und trockenes Gummi. Viele Probleme waren damit gelöst, und auch die äußere Stoffschicht war nun nicht mehr zwingend nötig.
Dann kam der Kunststoff
Danach waren Mackintosh-Mäntel - irgendwann hatte sich ein "k" in den Namen eingeschlichen - über mehr als 100 Jahre ein Erfolgsprodukt. Britische Eisenbahner trugen sie, das Militär und auch die breite Bevölkerung schwor auf einen Mac oder Mack, wie es bald hieß. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts leiteten Kunststoffe wie Polyvinylchlorid (PVC) den Niedergang des Regenschutzes aus Gummi ein.

Franz Romer überquerte 1928 als erster Mensch den Atlantik in einem Faltboot - in einem Klepperboot (Foto in der Ausstellung des Klepper-Faltbootmuseums in Rosenheim).
Das musste auch die Rosenheimer Firma Klepper erleben. Ihr Mitgründer Johann Klepper hatte in den 1920er-Jahren eine Art deutschen Mac entworfen. Inspiriert von der wasserdichten Gummihaut der damaligen Klepper-Faltboote tüftelte er an einem Regenmantel aus gummierter Baumwolle, der 1926 auf den Markt kam. Bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Kleppermäntel verbreitet, aber auch sie verloren an Boden, als es einfacher und billiger wurde, Stoffe mit PVC regenfest zu beschichten. Auch beim besonders in den 1960er- und 1970er-Jahren äußerst beliebten "Friesennerz" bestand die wasserdichte Beschichtung lange Zeit aus PVC.
Doch egal, ob Mac, Klepper oder Friesennerz - in allen Fällen hatten Träger damit zu kämpfen, dass die regendichte Kautschuk-, Gummi- oder eben PVC-Schicht auch undurchlässig für die transpirierte Feuchtigkeit war. Schon bei frühen Macintosh-Mänteln sollte daher ein Cape-ähnliches Design für einen gewissen Luftaustausch sorgen. Klepper wiederum nähte für eine bessere Zirkulation irgendwann kleine Luftkanäle in die Rückenpartie ein. Materialien, die von sich aus sowohl regendicht als auch atmungsaktiv sind, kannte man zu der Zeit nicht.
Atmungsaktive Gore-Tex-Membran

"Waterproof": Jacken aus dem Material Gore-Tex bei einer Outdoor-Messe 2010.
(Foto: picture alliance / dpa)
Dann kam der US-Amerikaner Robert Gore, der 1969 in einer Folie aus Polytetrafluorethylen (PTFE) durch ruckartiges Strecken unzählige kleine Poren erzeugte. Diese waren klein genug, um undurchlässig für Wassertropfen zu sein, aber groß genug, um Wasserdampf passieren zu lassen. Ende der 70er-Jahre kamen die ersten Bekleidungsstücke mit dieser atmungsaktiven Gore-Tex-Membran auf den Markt.
Außen Stoff, innen Stoff, dazwischen die atmungsaktive Membran: Das war nun das Prinzip für das bald boomende Segment der Outdoorkleidung. Im Grunde war diese Dreilagigkeit gar nicht so weit weg von Charles Macintoshs Ansatz - nur dass dessen Kautschukschicht zwischen den beiden Stofflagen noch eine echte Sperrschicht für die ausgeschwitzte Feuchtigkeit war. Und sie war viel dicker. Moderne Membranen sind dünner als ein menschliches Haar.
Membran ohne Poren
Nach einigen Jahren bekam die mikroporöse Membran Konkurrenz durch eine Membran, die ohne Poren funktioniert. Dabei löst sich die ausgeschwitzte Feuchtigkeit in bestimmten Zonen der Membran und diffundiert dann entlang definierter Pfade nach außen. "Beide Membrantypen haben Vor- und Nachteile", sagt René Bethmann vom Outdoorhersteller Vaude. So sei die Atmungsaktivität der porösen Membranen in der Regel höher. Allerdings können die Poren auch verstopfen. Dem soll regelmäßiges Waschen vorbeugen, was wiederum die Lebensdauer der Klebeschichten zwischen den einzelnen Lagen verringere, so der Bekleidungsingenieur.
Noch etwas ist bei moderner Funktionskleidung anders als zu Zeiten Macintoshs: Für den Regenschutz wird die äußere Stoffschicht in der Regel noch wasserabweisend imprägniert. Das verhindert, dass die äußere Lage nass und klamm wird, denn die eigentliche Barriere für die Regentropfen bietet ja erst die darunter folgende Membran.
Imprägnierende Materialien oft problematisch
Jahrzehnte lang bestand diese Imprägnierung aus sogenannten Fluorcarbonen (FC), die zu den PFAS (per- oder polyfluorierte Alkylsubstanzen) gehören. Weil viele Vertreter dieser Gruppe toxisch, umweltschädlich und äußerst langlebig sind, stehen sie derzeit unter Druck und vermutlich vor einem Verbot.
"Etliche Hersteller nutzen inzwischen alternative Imprägnierungen", sagt Boris Mahltig von der Hochschule Niederrhein. Als Beispiele nennt der Experte für das Funktionalisieren von Textilien "Siloxane, Polyurethane und sogenannte Dendrimere, also stark verzweigte Moleküle". Vaude-Experte Bethmann räumt allerdings ein, dass die wasserabweisende Wirkung dieser Alternativen hinter der von FC-Beschichtungen zurückbleibe.
"Wasserabweisend bedeutet nicht wasserdicht"
PTFE, das klassische Polymer für die Gore-Tex-Membran, gehört ebenfalls zu den PFAS. Gore bietet inzwischen aber auch eine fluorfreie Alternative aus Polyethylen an. Aber wieso eigentlich noch eine Membran, wenn die äußere Stofflage doch wasserabweisend beschichtet ist? "Wasserabweisend bedeutet nicht wasserdicht", erklärt Bethmann. "An Stellen, wo etwa ein Rucksack aufliegt, kann trotz Imprägnierung Wasser in den Stoff eindringen. Daher hat die Membran bei entsprechenden Produkten ihre Berechtigung."
Auch bei Dauer- oder Schneeregen, der auf der Kleidung liegen bleibe, könne es sonst Probleme geben. Hinzu komme, dass der wasserabweisende Effekt mit der Zeit nachlasse, etwa aufgrund mechanischen Abriebs oder durch Waschen.
Es hat sich also eine Menge getan seit Charles Macintoshs Erfindung vor 200 Jahren. Seit 2007 gehört die Marke Mackintosh übrigens zur japanischen Gruppe Yagi Tsusho. Für das Hochpreissegment lässt diese in einer Manufaktur im britischen Lancashire sogar noch immer Mäntel nach dem klassischen Produktionsprinzip herstellen.
Quelle: ntv.de, Karl Hübner, dpa