Sehen ohne AugenLichttest bei Würmern
Weil Caenorhabditis elegans sowohl am Kopf als auch am Schwanz auf Licht reagierte, kamen Forscher zu dem Schluss, dass für die Wahrnehmung von Licht Augen nicht unbedingt erforderlich sind.
Der Fadenwurm Caenorhabditis elegans kann Licht auch ohne Augen wahrnehmen. Das haben US-amerikanische Wissenschaftler um Shawn Xu von der Universität von Michigan in Ann Arbor festgestellt, als sie den Kopf beziehungsweise den Schwanz der Tiere mit Licht bestrahlten und diese davor flohen.
Die dafür verantwortlichen sensorischen Nervenzellen lassen die Forscher vermuten, dass sich die Lichtwahrnehmung schon sehr früh in der Evolution der Tiere entwickelt hat. Die Ergebnisse beschreibt das Team in der Fachzeitschrift "Nature Neuroscience".
Die Forscher bestrahlten die winzigen Fadenwürmer mit einem gebündelten Lichtstrahl. Traf er den Kopf des Wurms, während dieser sich vorwärts bewegte, reagierte das Tier mit einer Rückwärtsbewegung. Wurde der Schwanz hingegen während einer Rückwärtsbewegung bestrahlt, krochen die Würmer wieder vorwärts. Ein solches Verhalten wird als negative Phototaxis bezeichnet. Es handelt sich dabei wahrscheinlich um einen Schutzmechanismus, der dem im Boden lebenden Wurm sagt, wann er sich der Oberfläche nähert und so verhindert, dass er schädlichem Sonnenlicht ausgesetzt wird. Bisher haben die Wissenschaftler vier Typen von Nervenzellen gefunden, die für die Lichtantwort verantwortlich sind. Sie vermuten jedoch, es könnten auch noch weitere Zellen dazukommen.
Viele Meinungen
Die Frage, wie die Fähigkeit zur Lichtwahrnehmung ursprünglich entstanden ist, wird unter Wissenschaftlern kontrovers diskutiert. Da es so viele verschiedene Arten von Augen gibt, vermuten manche Forscher, dass sich diese Strukturen mehrmals im Laufe der Evolution entwickelt haben. Eine zweite Gruppe von Wissenschaftlern geht hingegen von einem einzigen Augen-Prototypen aus, von dem sich alle modernen Augenstrukturen ableiten lassen. So hatte etwa schon Charles Darwin die Idee von einem Ur-Auge, das nur aus zwei Zellen besteht: einem lichtempfindlichen Photorezeptor und einer Pigmentzelle, die vor dem Rezeptor liegt und dem Tier ermöglicht, die Richtung des einfallenden Lichts zu bestimmen.
C. elegans hat zwar Photorezeptoren, aber keine Pigmentzellen. Da Licht aber in diesem Fall ausschließlich aus einer Richtung - von der Erdoberfläche - kommen kann, sind Pigmentzellen auch nicht notwendig. "Wir vermuten, dass dies die Ur-Augen sind, von denen schon Darwin gesprochen hat, und dass dieses einfache visuelle System über Hunderte von Millionen Jahren Evolution konserviert wurde", erläutert Shawn Xu.
Chemische Reaktion wie beim Menschen
C. elegans dient schon seit nahezu 40 Jahren als Modell für das Verhalten von Tieren, da das Nervensystem des Wurms mit 302 Zellen im Vergleich zu 100 Milliarden Nervenzellen beim Menschen geradezu winzig ist. Das System der Lichtwahrnehmung, das Lichtenergie in elektrische Signale umsetzt und Phototransduktion genannt wird, basiert auf denselben chemischen Reaktionen wie auch beim Menschen. Die Erkenntnisse könnten daher genutzt werden, um Störungen der visuellen Wahrnehmung auch beim Menschen besser zu verstehen.