Countdown zum Tod Menschenopfer bei den Inkas
29.10.2007, 13:57 UhrDas Opfern von Menschen war bei den Inkas ein fester Bestandteil der Kultur. Die Auserwählten wurden umsorgt und gefeiert, ihr Ansehen stieg. Ein Jahr lang wurde der grausame Ritus vorbereitet.

Eine von drei im Jahr 1999 auf dem Llullaillaco entdeckten Mumien; sie wurden vor etwa 500 Jahren begraben.
(Foto: picture-alliance / dpa)
Ein gutes Jahr dauerten die Vorbereitungen: Die Auserwählten wurden in die Hauptstadt gebracht, umsorgt und gefeiert. Sie bekamen reichlich zu Essen, ihr soziales Ansehen stieg. Dann begann die letzte Wanderung zu den heiligen Gipfeln der Anden. Dort wurden die Erwählten, oft waren es Kinder, schließlich den Göttern geopfert. Aus heutiger Sicht ist die Opferung von Menschen ein grausiger Ritus. Bei den Inkas waren sie jedoch fester Bestandteil der Kultur. Wie sind diese Rituale abgelaufen? Wie wurden die Opfer auserwählt und welche Stationen durchliefen sie?
Antworten auf diese und weitere Fragen lieferte eine Gruppe internationaler Forscher um Andrew Wilson von der Universität Bradfort (Großbritannien) nach der Analyse von Haaren der Opfer. Sie analysierten das darin enthaltene Erbgut und bestimmten die Zusammensetzung der Isotope verschiedener Elemente. Isotope sind Varianten von Elementen, die sich in der Zahl ihrer Neutronen im Atomkern unterscheiden. Verschiedene Lebensmittel enthalten unterschiedliche Anteile von Isotopen. Die Isotopenzusammensetzung biologischer Proben, zum Beispiel der Haare, ermöglicht Rückschlüsse auf die Ernährung – in diesem Falle der geopferten Menschen. Unter der Annahme, dass Haare etwa einen Zentimeter pro Monat wachsen, stellten Wilson und seine Mitarbeiter zudem einen zeitlichen Zusammenhang her. Die Ergebnisse ihrer Untersuchung stellen die Forscher nun in den "Proceedings" der US-Akademie der Wissenschaften vor.
Insgesamt hatten sie Überreste von vier kindlichen Opfern untersucht: "Sarita", ein 15-jähriges Mädchen, wurde 1996 auf dem Gipfel des Vulkans Sara Sara im heutigen Peru entdeckt. Die drei anderen – 15, 7 und 6 Jahre alten – Kinder fanden Wissenschaftler 1999 in einem Schrein auf dem Vulkan Llullaillaco im Nordwesten des heutigen Argentiniens. Für das "Llullaillaco-Mädchen" ermittelten die Wissenschaftler einen Todeszeitpunkt zwischen den Jahren 1430 und 1520. Auch die anderen Kinder starben vermutlich noch vor der Ankunft der spanischen Eroberer im 16. Jahrhundert.
Aufstieg vor dem Tod
Alle Kinder stammten ursprünglich aus dem Hochland, was in der Inka-Kultur mit einem niedrigen sozialen Status verbunden war. Um dennoch angemessene Opfer aus ihnen zu machen, wurde der soziale Status wahrscheinlich zunächst durch rituelle Handlungen gehoben. So zeigte die Untersuchung, dass sich die Ernährung des Llullaillaco-Mädchens etwa ein Jahr vor ihrem Tod drastisch änderte. Das Kind bekam Fleisch zu essen und vermutlich Mais – bei den Inkas ein Lebensmittel der Oberschicht.
Durch den "Aufstieg" des armen Mädchens verhinderte die Oberschicht vermutlich auch, ihre eigenen Kinder zu opfern. Alle Opfer trugen einen Beutel mit abgeschnittenen Haaren bei sich. Dabei handelte es sich entweder um ihr eigenes Haar oder das einer nahen Verwandten mütterlicherseits, ergaben die Untersuchungen. Im Beutel des Llullaillaco-Mädchens befanden sich dessen eigene Haare, sechs Monate vor dem Tod abgeschnitten. Vermutlich war auch das Haareschneiden ein Weg, den sozialen Status zu verbessern. Es besitze in vielen Kulturen einen symbolischen Gehalt und versinnbildliche oft das Ende eines Lebensabschnitts. Vor dem Tod des Mädchens wurde ihr Haar aufwendig geflochten, berichten die Forscher weiter. Dies lasse sich als Symbol für die endgültige Abtrennung von der lebendigen Welt interpretieren.
Lange letzte Reise
Die "letzte Reise" der Opfer begann wahrscheinlich stets in der Hauptstadt des Inkareiches, in Cuzco. Von dort wanderten sie dann samt der Priester und dem Gefolge über Wochen und Monate zum Ort ihrer Opferung. Für die 1420 Kilometer von Cuzco nach Llullacillaco hätte ein Fußmarsch mindestens zweieinhalb Monate gedauert, nach Sara Sara etwas über zwei Wochen, errechneten die Forscher. Mitsamt Gefolge und mehreren Zwischenstopps für rituelle Handlungen hätten die Reisen aber vermutlich länger gedauert.
Wahrscheinlich lagen entlang des Weges zur Opferstätte zahlreiche Stationen, in denen Maisvorräte gelagert waren. Darauf deute auch die Haaranalyse des Llullaillaco-Mädchens hin. Denn in den viereinhalb Monaten vor ihrem Tod, während das Mädchen wohl schon auf dem Marsch zur Opferstätte war, stieg der Maisanteil im Essen deutlich. Nach den monatelangen Vorbereitungen und der Wanderung in die Berge näherte sich schließlich das Ende. Der spanische Chronist Hernandez de Principe zitiert die letzten Worte eines kindlichen Menschenopfers: "Macht jetzt ein Ende mit mir, die Feierlichkeiten, die für mich in Cuzco gehalten wurden, waren genug." Wie die Kinder getötet wurden, ist nur für das Mädchen Sarita sicher nachgewiesen: Sie starb durch einen Schlag auf den Kopf.
Quelle: ntv.de, dpa