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Modell der Omikron-Welle RKI hält bis zu 300.000 Neuinfektionen für möglich

Treffen die Annahmen des RKI zu, könnte Deutschland einer Überlastung des Gesundheitssystems noch entgehen.

Treffen die Annahmen des RKI zu, könnte Deutschland einer Überlastung des Gesundheitssystems noch entgehen.

(Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild)

Während Nachbarstaaten lockern und feiern, hält Deutschland an den Corona-Maßnahmen fest. Erst mit dem Höhepunkt der Omikron-Welle sollen Beschränkungen fallen, wie Gesundheitsminister Lauterbach sagt. Ein RKI-Szenario zeigt nun: Dies könnte noch diesen Monat der Fall sein.

Norwegen lockert, Großbritannien hebt fast alle Corona-Beschränkungen auf, und Dänemark feiert den Freedom-Day. Wann aber ist es in Deutschland soweit? Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hält am vorsichtigen Kurs fest - zumindest solange, bis der Höhepunkt der Omikron-Welle in Deutschland erreicht ist. Dann, so Lauterbach, "kann es bei den Einschränkungen natürlich nicht bleiben". Schon jetzt liegen die täglichen Neuinfektionen bei rund 220.000. Wie hoch steigen sie noch? Wann flacht die Welle endlich ab?

Das Robert-Koch-Institut schätzt, dass der Höhepunkt der Omikron-Welle Mitte Februar erreicht sein könnte. Das ist das Ergebnis einer Modellierung möglicher Entwicklungen der Infektionswelle, die als Entscheidungsgrundlage auch Gesundheitsminister Lauterbach vorliegt. Auf dem Höhepunkt der Welle könnte es demnach täglich rund 300.000 neue Infektionen geben - noch einmal rund 65.000 mehr als heute. Täglich kämen rund 2100 neue Hospitalisierungen hinzu. Die Zahl der Patienten auf den Intensivstationen bliebe mit rund 3100 Infizierten vergleichsweise gering - falls die zugrunde liegenden Annahmen zutreffen. Das Modell zeigt jedoch recht große Schwankungsbreiten an, bei den Fällen pro Tag liegt die Streuung zum Beispiel bei 55.000 bis maximal 800.000 Neuinfektionen binnen 24 Stunden. Das wären sehr viel mehr Fälle als das deutsche Test- und Meldesystem derzeit überhaupt erfassen kann. Das RKI weist ausdrücklich auf gewisse Einschränkungen hin. Bei der gewählten Art von Modellierung zum Beispiel sei eine Überschätzung der Peak-Höhe bei großen Ausbrüchen um etwa zehn Prozent möglich, heißt es. Daher könnten die Ausbruchshöhen tatsächlich geringer ausfallen.

Bis Anfang April könnten sich insgesamt 16,5 Millionen Menschen mit der Omikron-Variante angesteckt haben, so die Autoren der RKI-Studie. Das Institut geht jedoch davon aus, dass die tatsächlich gemeldete Zahl darunter liegen wird. Weil nicht alle Infektionen durch einen PCR-Test bestätigt werden können, werde die Zahl "künstlich verringert". Das RKI rechnet damit, dass während des Höhepunkts der Omikron-Welle wohl nur noch jeder zweite Infektionsfall überhaupt erfasst wird.

Spannend ist das Ergebnis der Modellsimulation, dass bereits sanfte Maßnahmen zur Kontaktreduzierung enorme Entlastungen beitragen. Das RKI hat im Rahmen der Studie unter anderem auch verschiedene Pandemie-Verläufe mit unterschiedlich strikten Maßnahmen berechnet. Die Zahl der Neuinfektionen auf dem Höhepunkt der Welle würde dabei deutlich sinken, sobald die Kontakte auch nur geringfügig eingeschränkt würden. Im Gegensatz dazu stünde die Wirkung eines schnellen, harten Lockdowns: Strikte, kurzfristig geltende Maßnahmen würde die Welle zwar zunächst brechen, aber nach der Aufhebung der Maßnahmen zu starken Rückschlageffekten führen - die Welle käme zwar später, fiele aber mitunter heftiger aus. Die Ausbrüche könnten größer ausfallen, wenn etwa die bevölkerungsweite Wirkung von Booster-Impfungen gegen Ansteckungen zu einem späteren Zeitpunkt im Jahr bereits nachließe. Flache man die Welle ab, erreiche man kontinuierlich mehr natürliche Immunität, heißt es beim RKI, ohne das System zu überlasten.

Modellierungen hängen von einer Reihe von Annahmen ab, was immer mit Unsicherheiten behaftet ist. Das RKI-Szenario ist ausdrücklich nicht als Prognose gedacht, sondern ein simulierter Verlauf möglicher Entwicklungen. Der Vorteil: Im Modell lassen sich Trends und Ansteckungszahlen unter unterschiedlichen Rahmenbedingungen durchspielen. Das RKI legt verschiedene Parameter zugrunde, darunter die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Omikron, das allgemeine Verhalten der Bevölkerung und die Fortschritte bei der Immunisierung. Im Hauptszenario wird beispielsweise von einer Booster-Impfquote von 80 Prozent ausgegangen - davon ist Deutschland allerdings noch weit entfernt. Bisher haben erst rund 54 Prozent den dritten Piks erhalten.

Für den weiteren Blick auf das Infektionsgeschehen von Bedeutung ist die angenommene hohe Dunkelziffer. Bei einer Untererfassung von 50 Prozent werden die erwarteten Fallzahlen womöglich gar nicht sichtbar. Wenn nur jede zweite Infektion erkannt und gemeldet wird, dann können auch die Neuinfektionszahlen, die Inzidenzwerte und auch die Ansteckungsrate dem Pandemieverlauf nicht mehr richtig folgen. Das RKI weist auch darauf hin, dass die vermutlich verkürzte Generationszeit der Omikron-Variante einen starken Einfluss auf die Entwicklung der Welle haben dürfte.

Keine Überlastung des Gesundheitssystems

Über den tatsächlichen Einfluss der Booster-Impfung auf das Infektionsgeschehen trifft das RKI-Szenario keine Aussage. Mit einem Gedankenexperiment zeigen die Autoren allerdings, dass das Motto "Impfen hilft" weiterhin gilt: Hätten am 22. Januar 15 Millionen vorher Ungeimpfte stattdessen bereits über einen grundlegenden Immunschutz verfügt, dann würde das Risiko von maximal belasteten Intensivstationen stark abnehmen.

Die Modellierung aus dem RKI liefert Anlass zur Hoffnung: Wenn die Annahmen zutreffen, könnte der Höhepunkt der Omikron-Welle bereits Mitte bis Ende Februar erreicht sein. Lockerungen würden dann in greifbare Nähe rücken. Und wenn Omikron tatsächlich anteilig zu weniger schweren Verläufen führen sollte und die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen nicht weiter ansteigt, dann könnte Deutschland der befürchteten katastrophalen Überlastung des Gesundheitssystems entgangen. Anlass zur Entwarnung sieht das RKI jedoch nicht: Die hohe Zahl von im Mittel rund 300.000 Neuinfektionen pro Tag wird Deutschland massiv belasten - und unter anderem auch eine große Herausforderung für die kritische Infrastruktur.

Quelle: ntv.de, mit dpa

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