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Depp und Heard vor Gericht Als hätte es die Me-Too-Debatte nie gegeben

Wird in sozialen Netzwerken als eine verrückte Frau dargestellt: Amber Heard.

Wird in sozialen Netzwerken als eine verrückte Frau dargestellt: Amber Heard.

(Foto: picture alliance/dpa/Pool EPA via AP)

Ein Urteil im Prozess zwischen Johnny Depp und Amber Heard steht noch aus. Aber die Öffentlichkeit hat sich bereits eine Meinung gebildet. Und sie erinnert an eine Zeit, in der Frauen die Wucht der mächtigen Männer fürchten mussten.

Der Verleumdungsprozess, den Johnny Depp und Amber Heard gegeneinander führen, hält die Welt seit mehr als einem Monat in Atem. Der Prozess vor einem Gericht im US-Bundesstaat Virginia zeichnet ein erschütterndes Bild der kurzen, aber turbulenten Ehe. Die Zeugenaussagen auf beiden Seiten waren schmerzhaft und anstrengend: Heards Anwälte setzten Depp stundenlang wegen seines Drogenkonsums unter Druck, während seine Zeugen Behauptungen über Heards angebliche Persönlichkeitsstörung aufstellten. Ein Urteil steht vor dem Fairfax County Circuit Court noch aus.

Die Öffentlichkeit scheint dies in den sozialen Medien jedoch bereits gefällt zu haben. Auf Tiktok wurden Videos mit dem Hashtag #justiceforjohnnydepp bisher satte 13,8 Milliarden Mal angesehen. Inhalte mit dem Hashtag #justiceforamberheard wurden dagegen nur 48 Millionen Mal aufgerufen. Die Videos und Bilder verherrlichen Depp und verteufeln Heard. Sie zeichnen das Bild eines süßen, hilflosen und verzweifelten Künstlertyps, der im Gerichtssaal Bilder kritzelt. Und von einer verrückten Frau, die nur schauspielert und Grimassen schneidet, wenn sie davon berichtet, wie ihr Hund auf eine Biene getreten ist.

Die öffentliche Reaktion auf diesen Fall erinnert an die Zeit vor Harvey Weinstein und all den Hunderten von "Me Too"-Fällen, die eine neue Ära einläuteten und unsere Sicht auf Frauen, die über sexuelle Gewalt sprechen, grundlegend veränderten. An eine Zeit, in der Frauen nur selten Anschuldigungen wegen Machtmissbrauchs und Gewalt vorbrachten, weil sie Angst vor der Wucht hatten, mit der mächtige Männer zurückschlagen könnten.

Wem sollte man glauben?

Klar, es gibt gute Gründe, Amber Heard nicht zu glauben. Heard gibt zu, dass sie sich nicht an ihre Scheidungsvereinbarung gehalten hat, sieben Millionen US-Dollar an die Menschenrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) und das Kinderkrankenhaus in Los Angeles zu spenden. Es gibt Hinweise darauf, dass sie in der Beziehung auch gewalttätig wurde. Zeugenaussagen von Polizisten, die nach einer angeblichen Auseinandersetzung zwischen Depp und Heard im Mai 2016 zu Depps Penthouse gerufen wurden, stimmen nicht mit den Behauptungen der Schauspielerin überein. Die Liste geht noch weiter.

Aber es gibt auch viele Gründe, Johnny Depp nicht zu glauben. Vor Gericht hat er behauptet, er habe "nie eine Frau geschlagen". Das sieht aber ein Gericht in London anders. Im Prozess gegen die britische Zeitung "The Sun", die Depp einen "Frauenschläger" nannte, hat der Schauspieler verloren. Das Gericht entschied, dass 12 der 14 Anschuldigungen gegen Depp in dem Prozess "substanziell wahr" waren.

Es ist nicht das erste Mal, dass eine Frau Depp Gewalt und toxische Eifersucht vorwirft: Die US-Schauspielerin Ellen Barkin, die 1994 mehrere Monate lang eine "sexuelle Beziehung" mit ihm hatte, erinnerte sich an einen Vorfall in einem Hotelzimmer in Las Vegas, bei dem Depp während eines Streits mit einem Freund eine Weinflasche in Barkins Richtung warf. Ihm wurde in der Vergangenheit vorgeworfen, ein Crew-Mitglied an einem Filmset grundlos geschlagen zu haben. Über seinen exzessiven Drogen- und Alkoholkonsum und dessen unberechenbare Auswirkungen wurde viel berichtet.

Der Vertrauensvorschuss liegt auf Depps Seite

Bei all diesen Anschuldigungen kann es schwer sein, den Überblick zu behalten. Aber eines wird in diesem Prozess immer deutlicher: Beide Schauspieler scheinen große psychische Probleme zu haben. So hat Alan Blaustein, Depps ehemaliger Psychiater, vor Gericht ausgesagt, dass Depp "bipolar" ist und "Wutprobleme" hat. Die Rechtspsychologin Shannon Curry hingegen sagte aus, dass sie bei Heard eine Borderline-Persönlichkeitsstörung festgestellt habe.

Amber Heard ist nicht das perfekte Opfer. Auch sie hat Fehler gemacht - das hat sie sogar vor Gericht zugegeben. Niemand verlangt, Heard blind zu glauben, nur weil sie eine Frau ist. Doch die Wucht, mit der sie in der Öffentlichkeit auseinandergenommen wird, ist beängstigend. Sie erinnert an eine Zeit, die wir längst überwunden haben wollten: In der Frauen, sobald es auch nur einen kleinen Grund dafür gibt, nicht geglaubt wird - Männern hingegen immer noch ein großer Vertrauensvorschuss entgegengebracht wird, auch wenn vieles dagegen spricht.

Quelle: ntv.de

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