Eindrücke vom Comic-Salon Comic und Künstler, Krieg und Krisen


"Wie geht es dir?" Ausschnitt aus dem Comic von Barbara Yelin und der Holocaust-Überlebenden Emmie Arbel, die am 7. Oktober 2023 in Deutschland war, später aber nach Israel zurückkehrte.
(Foto: Barbara Yelin / Emmie Arbel)
Den Comic-Salon in Erlangen muss man sich als fröhlichen Ort vorstellen. Cosplayer und Nerds durchstreifen Messehallen und Ausstellungen. Donald Duck und Lucky Luke werden gefeiert. Doch in diesem Jahr gibt es mehr Krisen als sonst. Wie können Comickünstler darauf reagieren?
Krisen, wohin man schaut: Krieg in der Ukraine, Krieg in Nahost. Erstarkender Rechtspopulismus in Europa und grassierender Antisemitismus weltweit. Klimakrise. Schließlich massive Überschwemmungen in Teilen Süddeutschlands, etwa in Augsburg. Auch etwas nördlicher, in Erlangen, gibt es Dauerregen, wenn auch nicht im selben Ausmaß. Regenschirme gehören jedoch zur Grundausstattung der Besucherinnen und Besucher des 21. Internationalen Comic-Salons.
Selten war das größte deutschsprachige Comic-Festival, das an diesem Sonntag endet, von so vielen Konflikten und Krisen geprägt. Die Frage, wie sich die Kunstform Comic gegenüber den Herausforderungen der Zeit verhalten kann und muss, streift nicht wenige Programmpunkte. Das sorgt für ein Spannungsverhältnis auf dem insgesamt auch diesmal fröhlichen Comicfest mit seinen Begegnungen und Entdeckungen, Ausstellungen und Workshops.
Ein Ehrengast wie aus dem Bilderbuch
Insofern ist der Stargast Joann Sfar ein Glücksgriff. Der französische Comiczeichner hat sich zuletzt in seinen Werken mit seiner Kindheit und jüdischen Identität sowie dem Antisemitismus nach dem Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober auseinandergesetzt - worüber er auch im Interview mit ntv.de sprach. Gleichzeitig lässt sich Sfar nicht auf diese Kategorien beschränken, dazu ist sein Werk zu vielschichtig. Und seine Herangehensweise ist auch bei ernsten Themen stets humorvoll. "Ich bin nicht mehr als 15 Minuten am Tag jüdisch", sagt er im Künstlergespräch am Donnerstag, in dem es vor allem um seine Prägung und Identität als Künstler geht.
Sfar, der mit Lederkutte, Stiefeln und massiven Ringen an Motorradrocker erinnert, ist ein Publikumsmagnet. Das Künstlergespräch in der Orangerie des Erlanger Schlossparks ist genauso überlaufen wie die Signierstunden und der Empfang in der Ausstellung "Die Katze des Rabbiners", benannt nach seinem bekanntesten Werk. Die noch bis 1. September geöffnete Schau im Stadtmuseum zeigt anhand zahlreicher Originale Sfars Leben und Schaffen, dokumentiert Antisemitismus, präsentiert aber daneben aber auch Sfars Kinderbücher und Fantasy-Comics.
Der Künstler, der am Freitag schließlich auch den Max-und-Moritz-Preis für sein Lebenswerk entgegennahm, erträgt die vielen Termine und Menschen voller Freundlichkeit und stets mit einem großen Lächeln. Ein Ehrengast wie aus dem Bilderbuch.
Wie geht es dir?
Thematisiert wurde der Nahost-Konflikt dennoch in mehreren Veranstaltungen. So wurde etwa das von der Stadt Erlangen unterstützte Comic-Projekt "Wie geht es dir?" vorgestellt, das sich auch in einer Ausstellung präsentierte. Mit der einfachen Frage wollen Zeichnerinnen und Zeichner ein Zeichen gegen Antisemitismus, Hass und Rassismus setzen. Ausgangspunkt war das Hamas-Massaker und der daraus resultierende massive Anstieg an Antisemitismus, aber auch Rassismus gegen andere Gruppen. In kurzen Comic-Sequenzen werden Gespräche wiedergegeben mit Menschen, die von dieser Situation auf verschiedenste Weise betroffen sind.
Man wolle diesen Menschen einen Raum geben, sagt die Zeichnerin Barbara Yelin, aber auch aus der persönlichen Beklemmung herauskommen. "Schweigen war keine Option", fügt die Medienwissenschaftlerin Véronique Sina an, die das Projekt begleitet und selbst Protagonistin eines Comicstrips ist. Inzwischen liegen mehr als 30 Beiträge vor, die auch auf Instagram veröffentlicht werden. Wurden anfangs vor allem jüdische Menschen befragt, wie es ihnen geht, hat sich mittlerweile der Blickwinkel angesichts des Verlaufs des Gaza-Kriegs stark geweitet. Zusammen ergeben die Comics ein Bild von Ängsten und Sorgen von Menschen, die auf die eine oder andere Weise unter der Situation im Nahen Osten leiden.
Zeichnen im Krieg
Der russische Überfall auf die Ukraine ist derweil bereits mehr als zwei Jahre her. Seitdem kämpfen die Menschen ums Überleben. Auch Comiczeichner. Das Comicmagazin "Moga Mobo" hat dazu bereits im vergangenen Jahr eine Ausgabe mit mehr als 20 ukrainischen Zeichnerinnen und Zeichnern vorgelegt. Deren Werke sind nun in Erlangen zu sehen. Der Ausstellungsraum ist interessant gestaltet: Von außen wirkt er hell, doch je weiter man vordringt, desto dunkler wird er - Querwände bremsen das Tageslicht aus, zudem sind die Wände schwarz gestrichen.

Blick in die Ausstellung mit Zeichnungen ukrainischer Künstlerinnen und Künstler.
(Foto: Erich Malter / Internationaler Comic-Salon Erlangen)
Düster sind auch einige der Kurzcomics: Leo Reznik schildert den Angriff auf eine Schule in Charkiw wie eine Schlacht aus den "Herr der Ringe"-Filmen. Oleksandr Shatokhin erzählt wortlos von einer Soldatin, die in einer Pause eine Zeichnung ihrer Tochter betrachtet, und erzeugt mit einfachsten Mitteln eine beklemmende Szenerie. Einen anderen Ansatz wählt Tetiana Kremen: Sie schildert den russischen Überfall aus der Sicht von Hunden, die sich über fliehende Menschen und leere Straßen wundern, aber auch über ausbleibendes Futter.
Auf einer Gesprächsrunde spricht Kremen von der unausgesprochenen Erwartung an Künstler, ihrem Land nützlich zu sein, also den Krieg zu thematisieren. "Ich gehe mit der Situation eher auf humorvolle Weise um", sagt sie, so wolle sie Aufmerksamkeit erregen. Letztlich wisse auch bei ihrem Hunde-Comic jeder, worum es gehe.
Empathie für die Opfer
Comics können Kriege und Krisen darstellen. Nur haben sie damit auch einen Nutzen? Was die Künstler der Ukraine und die Beschäftigung mit dem Nahost-Konflikt eint, ist die Darstellung des oder der Einzelnen. "Einzelschicksale können Empathie erzeugen", sagt die Zeichnerin Birgit Weyhe auf einem weiteren Panel zum Nahost-Konflikt. Gleichzeitig sei es schwierig, Bilder für drastische Ereignisse und Emotionen zu finden. Der Comic sei dabei jedoch im Vorteil, weil er mehr Möglichkeiten als die Fotografie habe. Wichtig ist ihr, dass es um die Opfer auf allen Seiten gehe, nicht um Politik oder Ideologie.
Der Comic, sagt die Medienwissenschaftlerin Sina, zeige eine persönliche Perspektive der Zeichnerin oder des Zeichners. Er sei eine Interpretation, aber auch Teil der persönlichen Verarbeitung. Das steigere jedoch die Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Sie wünscht sich vor allem Comics, die die Ereignisse reflektieren. "Produktive Arbeiten sind die, die Fragen aufwerfen", sagt sie.
Dann wird bei dem Gespräch ein gerade erschienener Comic der israelischen Zeichnerin Rutu Modan gezeigt. Anhand so karger wie schockierender Zeichnungen von getöteten Kindern und eines Abzählreims stellt sie die Grauen des Hamas-Massakers und des Gaza-Kriegs dar. Der Comic zeige die Entmenschlichung des gesamten Nahost-Konflikts, sind sich die Teilnehmer des Gesprächs einig. Und Weyhe verweist auf die Stärke der Kunst: Reduktion.
Quelle: ntv.de